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Hartz IV ist eine der umstrittensten Sozialreformen in Deutschland

© imago images/Müller-Stauffenberg

Keine höheren Regelsätze: Bringt das Bürgergeld die „Überwindung“ von Hartz IV?

Mit dem neuen Bürgergeld soll sich einiges ändern. Doch die Regelsätze tasten die Ampel-Parteien nicht an - zumindest vorerst.

Sozialdemokraten und Grüne versprachen im Wahlkampf nicht weniger als die „Überwindung“ von Hartz IV. In den Koalitionsverhandlungen beschlossen sie gemeinsam mit der FDP, die Grundsicherung durch ein Bürgergeld zu ersetzen. Dieses solle „die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein“, heißt es im Koalitionsvertrag. Doch ändert sich tatsächlich mehr als der Name?

Komplett sanktionsfrei wird die Leistung jedenfalls nicht, es wird auch weiter „Mitwirkungspflichten“ geben. Bis Ende 2022 sollen die gesetzlichen Regelungen allerdings grundlegend überarbeitet werden. Entsprechende Änderungen hatte das Bundesverfassungsgericht ohnehin angemahnt. In einem Urteil aus dem Jahr 2019 bezeichneten die Richter die bisherige Praxis in Teilen als verfassungswidrig.

Konkret haben sich die künftigen Koalitionspartner schon auf zwei Punkte festgelegt. Die Kosten der Unterkunft sollen von Sanktionen komplett ausgenommen werden. Wer jünger als 25 Jahre ist, muss außerdem keine verschärften Sanktionen mehr fürchten. Fachleute fordern dies schon länger, weil ansonsten ein Abdriften in die Wohnungslosigkeit drohe.

In den Verhandlungen wurde außerdem diskutiert, keine Sanktionen mehr bei Verstößen wie versäumten Terminen zu verhängen. Details werden aber erst im Gesetzgebungsverfahren geregelt. Bis dahin gilt ein Sanktionsmoratorium.

Das Fördern soll stärker im Vordergrund stehen als das Fordern

Auch wenn es bei der Logik des „Forderns“ und „Förderns“ bleibt, soll letzteres stärker im Vordergrund stehen. Es soll mehr Weiterbildung und Qualifizierung geben. Nach Ansicht von Arbeitsmarktexperten ist das nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern macht auch volkswirtschaftlich Sinn.

In den nächsten Jahren geht die Generation der Babyboomer in Rente. Angesichts der demographischen Entwicklung fehlen in Deutschland zunehmend Arbeits- und Fachkräfte. Durch Zuwanderung allein lässt sich diese Lücke nur schwer schließen.

Konkret ist geplant, dass der so genannte Vermittlungsvorrang abgeschafft wird. An erster Stelle soll nicht mehr stehen, Arbeitslose in einen Job zu vermitteln, egal wie prekär dieser ist. Stattdessen soll häufiger qualifiziert werden. Während der Dauer der Ausbildung soll als Anreiz ein Weiterbildungsgeld von 150 Euro im Monat gezahlt werden.

Eine Veränderung wird es auch bei der Übernahme der Miete durchs Jobcenter geben. Künftig soll zwei Jahre lang nicht überprüft werden, ob diese als angemessen gilt. Bisher kam es immer wieder vor, dass Hartz-IV-Empfänger nicht gedeckte Wohnkosten aus den Regelleistungen gezahlt haben. Im Jahr 2020 belief sich die Differenz zwischen den tatsächlichen und den vom Jobcenter anerkannten laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung auf 474 Millionen Euro, wie der Sozialwissenschaftler Stefan Sell von der Hochschule Koblenz berechnet hat.

Kritiker sagen, dass das Existenzminimum nicht gedeckt sei

Am wenigsten ändert sich beim Geld. Sozialverbände kritisieren seit Jahren, dass der Regelsatz nicht das Existenzminimum deckt. Aktuell liegt dieser für einen Erwachsenen bei 446 Euro. Regulär soll er zum Jahreswechsel um drei auf dann 449 Euro steigen. Angesichts der steigenden Preise etwa für Lebensmittel oder Energie führe dies faktisch zu einer Leistungskürzung, kritisierte der Sozialverband Deutschland. Für viele Haushalte reiche das Geld hinten und vorne nicht, heißt es bei der Caritas.

Die Grünen forderten noch im Sommer einen Sofortaufschlag von 50 Euro, konnten sich aber damit in den Verhandlungen nicht durchsetzen. Ein solcher Aufschlag hätte einen mehrstelligen Milliardenbetrag gekostet.

Im Jahr 2023 wird die nächste Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) vorliegen, die als Grundlage für die Berechnung der Regelsätze dient. Spätestens dann wird es in der Koalition erneut Diskussionen über die Berechnungsgrundlage geben.

Die aktuelle Systematik ist stark umstritten: Die Grundsicherung soll nicht nur das physische, sondern auch das soziokulturelle Existenzminimum abdecken. Zahlreiche Kritiker sagen, dass für die soziale Teilhabe nicht ausreichend Geld im Regelsatz veranschlagt sei und zu viele entsprechende Posten aus dem Warenkorb der EVS herausgerechnet würden. Sobald man das Statistik-Modell ändert, könnten deutlich höhere Regelsätze herauskommen. Angesichts der "Not der Betroffenen" und der verfassungsrechtlichen Verpflichtung, das soziakulturelle Existenzminimum abzudecken, könne hier das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Eine "substantielle und bedarfsgerechte Erhöhung" der Regelsätze sei nötig.

Immerhin soll es nach dem Willen der Ampel-Parteien zusätzlich zum Bürgergeld einen Bonus geben, wenn jemand an einer Unterstützungsmaßnahme teilnimmt. Das kann beispielsweise eine Sucht- oder Schuldnerberatung sein. Eine konkrete Höhe beziffert der Koalitionsvertrag allerdings noch nicht.

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