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Dringend benötigt: Blutspenden. Nach wissenschaftlicher Überprüfung sollen nun auch Beschränkungen für Homosexuelle gelockert werden.

© Christian Charisius/dpa

Keine Gefahr bei Vier-Monats-Regelung: Blutspende-Vorgabe für Homosexuelle soll gelockert werden

Die einen sahen darin Diskriminierung, andere eine nötige Schutzmaßnahme. Nun soll die Blutspende-Beschränkung für Homosexuelle gelockert werden.

Zeitlich passend zur Debatte um Signale gegen Homophobie bei der Europameisterschaft und gegenüber Ungarn, aber strikt evidenzbasiert: Ein Fachgremium – bestehend aus Experten des Paul-Ehrlich-Instituts, des Robert-Koch-Instituts, des dort angesiedelten Arbeitskreises Blut (AK Blut) sowie eines Beirats der Bundesärztekammer (BÄK) – hat sich nun darauf geeinigt, dass die bestehenden Blutspendevorgaben für Homosexuelle in Deutschland gelockert werden können. Dies bestätigte ein BÄK-Sprecher dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health auf Anfrage.

Konkret verständigte sich die Arbeitsgruppe darauf, dass eine Zulassung zur Spende vier Monate nach Beendigung von sexuellem Risikoverhalten „nicht zu einer Erhöhung des Risikos für die Empfängerinnen und Empfänger von Blut und Blutprodukten“ führt. Insofern könnten künftig alle – also auch Homosexuelle und Transpersonen – Blut spenden, die seit mindestens vier Monaten nur noch in auf Dauer angelegten Partnerschaften sexuell aktiv sind. 

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„Spätestens nach vier Monaten“, so die Experten in ihrem Statement könnten Infektionen mit den Hepatitis-Viren HBV sowie dem HIV-Virus „sicher ausgeschlossen werden.“. 

Bisher dürfen schwule, bisexuelle und transsexuelle Männer nur nach einer Wartefrist von zwölf Monaten seit ihrem letzten Sexualverkehr Blut spenden. Um dieses Verbot hatte es zuletzt heftige Debatten auch im Bundestag gegeben. Vor der Arbeitsgruppenentscheidung hatte die Bundesärztekammer zusammen mit sieben Fachgesellschaften und Berufsverbänden Diskriminierungsvorwürfe bei der Diskussion über Zulassungskriterien zur Blutspende zurückgewiesen.

Allein evidenzbasierte, wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten seien Grundlage von Richtlinien in der Medizin. Die mindestens alle zwei Jahre nach dem Transfusionsgesetz durchzuführende Aktualitätsprüfung der Richtlinie Hämotherapie sei „gleichermaßen gründlich, zügig und ergebnisoffen“.

SPD-Politikerin: Diskriminierung hoffentlich bald zu Ende

Der De-Facto-Ausschluss von Homosexuellen und Transpersonen von der Blutspende könne damit „bald ein Ende haben“, freute sich Hilde Mattheis, Berichterstatterin der SPD-Fraktion für LGBTIQ*-Gesundheit. „Wenn diese Änderung so kommt und von den zuständigen Wissenschaftler:innen und Expert:innen angenommen wird, ist das ein großer Erfolg – und zwar einerseits für die Gewährleistung der Sicherheit von Blut und Blutprodukten und andererseits für LGBTIQ*, die endlich nicht mehr wie bisher als besondere Risikofaktoren aufgrund ihrer Sexualität oder Identität betrachtet werden.“

Wissenschaftlich sei der De-Facto-Ausschluss von Männern, die mit Männern Sex haben (MSM), und die besondere Erwähnung von Trans* in der Richtlinie „nicht erklärbar“, behauptete Mattheis. Das hätten die parlamentarischen Anhörungen verdeutlicht. Die Bundesärztekammer habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn informiert, eine diskriminierungsfreie Blutspende sei „nun hoffentlich auf dem Weg“.

Wenn eine zustimmende Kenntnisnahme durch den AK Blut und den Vorstand der Bundesärztekammer erfolgt sei, könne das Beratungsergebnis in die derzeit laufende, turnusgemäße Aktualitätsprüfung der Richtlinie Hämotherapie einfließen, teilte die BÄK mit. Zuvor hatte auch Großbritannien seine Zulassungsbeschränkung zum Blutspenden für homosexuelle und bisexuelle Männer gelockert. Dort gilt allerdings eine Drei-Monats-Regelung.

Hilferuf der Berliner Charité

Die Festlegung des Fachgremius fällt mit einem Hilferuf der Berliner Charité zusammen. „Sorgen macht uns derzeit, dass mit dem Start der Sommerferien bereits jetzt die Versorgungslage mit lebenswichtigen Blutspenden deutlich kritisch ist“, sagte heute Martin Kreis, Vorstand Krankenversorgung der Charité. „Das betrifft uns, aber andere Häuser auch.“ Für planbare Eingriffe und Notfälle seien immer auch Blutkonserven nötig. „Ich kann nur alle Menschen auffordern, dringend Blut spenden zu gehen und auf diese Weise einen solidarischen Beitrag zur Versorgung von Patientinnen und Patienten zu leisten.“

Das Problem wiegt umso schwerer, als die Charité ab sofort Operationen nachholen will, die wegen der Coronakrise verschoben wurden. Aus Sorge vor Ansteckung wollten während der Pandemie weniger Menschen als sonst Blut spenden. Auch das sogenannte Blutspende-Barometer der Roten Kreuzes zeigt für Deutschlands Nordosten bereits Engpässe an, insbesondere für seltene Blutgruppen wie 0- und A-. Doch auch bei den Gruppen A+,B+ und B- sei die Vorratslage nicht gut, hieß es. Zudem sei gespendetes Blut nur begrenzt haltbar. Und die Hitze der vergangenen Woche sowie der Beginn der Sommerferien hätten bereits zu einem Rückgang der Spenden geführt.

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