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Die Reisen israelischer Jugendgruppen in frühere Konzentrationslager auf polnischem Gebiet „schüren den Hass auf Polen“ - das glaubt zumindest der polnische Außenminister Pawel Jablonski.

© imago/Eastnews

„Keine Angst vor antisemitischen Drohungen“: Israel und Polen streiten über Enteignungsgesetz – doch der Konflikt liegt tiefer

Der Streit zwischen Israel und Polen über ein Enteignungsgesetz ist nur das jüngste Kapitel in einem seit Jahren schwelenden Konflikt. Nun wird der Ton rauer.

Der Ton zwischen der polnischen Regierung und der israelischen Regierung wird rauer. „Wir haben keine Angst vor antisemitischen Drohungen und keine Absicht, die Augen vor dem beschämenden Verhalten der antidemokratischen polnischen Regierung zu verschließen“, erklärte Israels Außenminister Yair Lapid Anfang der Woche. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wiederum warnte vor einem „Anstieg von Hass gegen Polen“. Israel hatte am Samstag seine Gesandte aus Polen zurückbeordert, auch Polen zog am Montag seinen Botschafter aus Israel ab.

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Anlass des Streits ist eine Änderung des polnischen Verwaltungsrechts, die Polens Präsident Andrzej Duda am Samstag unterzeichnet hatte. Sie betrifft Menschen, deren Grundeigentum unter kommunistischer Herrschaft konfisziert wurde. Demnach dürfen von nun an Verwaltungsentscheidungen nach 30 Jahren nicht mehr angefochten werden. Damit versperrt es Betroffenen und ihren Nachkommen jeden Rechtsweg, einstige Besitztümer wiederzuerlangen.

Dies gilt zwar für jüdische ebenso wie für nichtjüdische Personen. Kritiker argumentieren jedoch, dass Holocaustüberlebende sowie die Nachkommen ermordeter Juden in besonderem Maße betroffen seien. Auch die USA kritisierten die Gesetzesänderung. Sie werde, sagte US-Außenminister Anthony Blinken, „alle polnischen Staatsbürger schädigen, deren Eigentum auf ungerechte Weise konfisziert wurde, darunter jenes polnischer Juden, die Opfer des Holocausts wurden“.

Das Außenministerium in Warschau ließ verlauten, „die von Israel unternommenen Schritte schaden unseren Beziehungen sehr stark“. Polens Vize-Außenminister Pawel Jablonski kündigte zudem an, die Bildungsreisen zu früheren Konzentrationslagern auf polnischem Boden, die viele israelische Schulen organisieren, zu überprüfen. „Diese Reisen finden nicht in angemessener Weise statt“, sagte er. „Manchmal schüren sie Hass auf Polen in den Köpfen junger Israelis.“

In dem Grundkonflikt geht es um die Rolle polnischer Bürger im Holocaust

Der Streit um die Gesetzesänderung ist nur das jüngste Kapitel in einem seit Jahren schwelenden Konflikt. Dabei geht es um die Rolle polnischer Bürger während des Holocausts, Erinnerungspolitik und Nationalstolz. Rund 90 Prozent der 3,3 Millionen Juden, die vor dem Angriff der Nazis in Polen lebten, wurden während der Schoa ermordet.

Anfang 2018 beschloss Polen ein Gesetz, das Geld- und Haftstrafen vorsieht für jene, die „faktenwidrig“ der polnischen Nation „die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen“ zugeschrieben, „die durch das Dritte Deutsche Reich begangen wurden“. Israelische Politiker rügten, das Gesetz habe den Zweck, „die polnische Mitschuld am Holocaust zu leugnen“, sagte der heutige Außenminister Jair Lapid, damals in der Opposition. „Es gab polnische Todeslager, kein Gesetz kann das jemals ändern.“ Polens Regierung lehnt den Begriff der „polnischen“ Lager vehement ab und verweist darauf, dass die deutschen Nationalsozialisten die Lager auf besetztem polnischen Boden errichteten.

Der damalige Bildungsminister und heutige Ministerpräsident Naftali Bennett kritisierte das Gesetz, woraufhin Polen aus Protest einen geplanten Besuch Bennetts absagte. Zwar veröffentlichten Warschau und Jerusalem wenige Monate später eine gemeinsame Erklärung, indem sie unter anderem Antisemitismus verurteilen, die Rettung von Juden durch polnische Bürger im Zweiten Weltkrieg hervorheben und ihre Absicht versichern, „zu einem höflichen und respektvollen Dialog im öffentlichen Diskurs zurückzukehren“ – letzteres offensichtlich mit begrenzter Wirkung.

Als Bildungsminister hatte Bennett die gemeinsame Erklärung schon 2018 kritisiert, weil sie die offizielle Geschichtsschreibung Polens zu bestätigen schien. Nun könnte das Außenministerium sie Berichten israelischer Medien zufolge sogar offiziell zurückziehen – als Zeichen seines Protests gegen das polnische Vorgehen.

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