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Blick nach vorne und hinaus: Der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, am Dienstag nach der Urteilsverkündung.

© dpa

Kein NPD-Verbot: Die Schlappe für die Politik ist ein Sieg für die Demokratie

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nichts für die Geschichte, sondern für die Zukunft: Es zeigt, wo Toleranz ein Ende hat. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Eine Niederlage ist eine Niederlage, und am Scheitern ist nichts schönzureden. Es wäre hilfreich und – nach jahrzentelanger Duldung des Unerträglichen – höchste Zeit gewesen, über den hässlichen braunen NPD-Fleck in der politischen Landschaft das grüne Gras der Demokratie wachsen zu lassen. Sicher, menschenverachtender Rechtsextremismus ist politisch zu bekämpfen – aber auch ein Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht ist ein probates Abwehrmittel. Das eine zu tun, sollte nicht bedeuten, das andere allein deshalb zu lassen.

Daher war es angemessen und richtig, erneut eine Zerschlagung der Nazipartei anzustreben. Anders als im ersten Verfahren haben sich die Beteiligten nicht vom Lichterketten-Fieber anstecken lassen und alle Bedenken verdrängt, dass eine von Staatsspitzeln durchdrungene Partei keine Chance auf ein faires Verfahren hat. Diesmal wurde sauber und kühl gearbeitet, aufwendig recherchiert und Material beschafft, das für das Verbot von zwei Parteien ausgereicht hätte. Doch Karlsruhe wollte nicht. Es mangele an Umsturz-„Potentialität“, meinen die Richter, im Klartext: Die angeblich gefährlichen Verfassungsfeinde haben den Wirkungsgrad von Hampelmännern.

Ein im Wortsinn politisches Urteil, das die im Grundgesetz angelegten Hürden ein gutes Stück nach oben setzt. Bisher galt, dass Parteiverbote gerade präventiven Charakter haben, also nicht abgewartet werden muss, bis verfassungsfeindliche Politik in parlamentarischer Blüte steht. Dem haben die Richter jetzt die Spitze genommen. Es wäre für dieses Ergebnis vermutlich nicht nötig gewesen, die Sache öffentlich zu verhandeln. Die Richter hätten die Anträge im Vorverfahren zurückweisen können, statt, wie sie es vor einem Jahr getan haben, ein Verbot noch für aussichtsreich zu halten.

Das Verfahren hat klare Regeln herbeigeführt

Doch dann wäre der wohl wichtigste Effekt des Verfahrens verloren gewesen, jener, auf den manch weitsichtige Politiker, aber offenkundig auch das Gericht großen Wert legt: Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem letzten erfolgreichen Verfahren umfassend die Maßstäbe zu aktualisieren, unter denen sich eine rechtsstaatliche Demokratie Parteien erwehren darf, die sie abschaffen möchten. Rechtssicherheit also, die für solche Verfahren nicht mehr gegeben war. Den Antragstellern ist daher nichts anzulasten, im Gegenteil. Sollte die NPD wieder politische Erfolge erzielen, ohne ihre Linie zu ändern, wird sie ohne Federlesen aufgelöst werden können. Alle Vorarbeiten sind geleistet.

Ohnehin ist es weniger die NPD, die künftig zählt. Einiges von ihrer Programmatik und Rhetorik ist wieder sagbar, die Abgrenzung zu angeblichen „Systemparteien“ geradezu politische Mode geworden. Der einst so schön staatsfinanzierte und regierungsamtlich propagierte „Kampf gegen Rechts“ verläuft nicht mehr nur Saubermannweiß gegen Nazibraun, sondern an den diffusen Fronten von Internet-Hetze, Pegida und völkischem Zuspruch für Twitterparolen der AfD. Das Urteil ist auch für diesen Streit gedacht: Es sagt klar, wo Toleranz ein Ende haben muss. Es ist ein Urteil für die Zukunft, nicht für die Geschichte. So ist es mit Niederlagen – es dauert, bis man sie als Sieg erkennt.

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