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Linken-Chefin Katja Kipping beim Tagesspiegel-Interview.

© Mike Wolff

Katja Kipping und die linke Sammlungsbewegung: "Ich will keine Partei mit Basta-Sprüchen"

Wollen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht eine Spaltung der Linkspartei? Katja Kipping ist sich nicht sicher. Ein Interview.

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Frau Kipping, die Grünen haben zwei Realos an die Spitze gewählt, die SPD will wieder in eine große Koalition. Es wird ein Platz frei für linke Politik. Was machen sie daraus?

In der Tat: Es wird ein Platz frei, den wir von links besetzen können. Wir sollten anfangen, die Linke größer zu denken, auch einflussreicher. Wir haben uns ja selbst in schwierigen Zeiten bei zehn Prozent gehalten.

Projekt 18, wie einst bei der FDP?

15 Prozent wären auch schon mal gut. Aber es geht ja nicht allein um die Prozentzahl. Linke Politik muss einladender werden. Lust auf Visionen ausstrahlen. Und widerständiger werden. Um das mit einem Beispiel zu untersetzen: Viele Menschen werden durch explodierende Mieten enteignet. Wir müssen die Eigentumsfrage stellen und eine Grenze für Bodenspekulation setzen.

Nochmal zur Konkurrenz: Die Grünen befinden sich momentan in geradezu euphorischen Aufbruchsstimmung. Neidisch?

Dass sich die Grünen gut verkaufen können, ist schön für sie. Trotzdem hat diese Partei ein strukturelles Problem. Es reicht eben nicht, beispielsweise vor der Autolobby ein „Elektro“ zu setzen, also im Klein-Klein zu verharren. Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, müssen wir viel grundsätzlicher ran. Der ökologische Ansatz muss zudem mit sozialen Fragen verbunden werden, die Energiewende darf nicht zum kollektiven Frieren für die Ärmsten führen. Und: Eine Wirtschaft, bei der Profite über allem stehen, führt automatisch zu einem Höher, Schneller, Weiter. Sie wird nie ökologisch sein können.

Die Grünen schaffen es, Begeisterung auszulösen. Bei Ihrer Partei ist davon momentan eher wenig zu spüren. Woran liegt das?

Da muss ich widersprechen. Bei jedem unserer Neumitgliedertreffen erlebe ich Begeisterung. In Leipzig habe ich danach die Nacht durchgetanzt. 2018 ist ja nicht nur „200 Jahre Karl Marx“, sondern auch 50 Jahre nach 1968. Beides ist Grund zum Feiern. Und wir werden dieses Jahr beide Traditionslinien stark machen.

Visionen hin oder her: Die Stimmung in der Linkspartei ist mies, es gibt großen Frust über den Dauerstreit der Funktionäre. Was wollen Sie dagegen tun?

Es gibt bei uns Kontroversen in der Sache. Da ist vor allem die Frage, wie man mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck umgeht. Ich meine, wir müssen – als letzte in der Parteienlandschaft – Bastion für Flüchtlingssolidarität bleiben, klare Kante gegen rechts zeigen. Und dies verbinden mit unermüdlichem sozialen Engagement für alle Menschen.

Befinden sich Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine noch auf Linie der Partei?

Ihre öffentlichen Bemerkungen zum Projekt Sammlungsbewegung sind zumindest ein Spiel mit Zweideutigkeiten. Inhaltlich konkret wurde allein die Forderung nach einer Kurskorrektur in der Flüchtlingsfrage. Und genau diese Forderung finde ich nicht überzeugend. Im Gegenteil: Wir müssen hier klare Haltung zeigen. Es gibt doch sehr ermunternde Beispiele – Peter Fischer, der Präsident des Fußballclubs Eintracht Frankfurt, zeigt klare Kante gegen die AfD und wurde mit 99 Prozent wiedergewählt. Geht doch.

Lafontaine sagt, wer in seinem Projekt Sammlungsbewegung den Versuch einer Spaltung sehe, sei ein Trottel. Fühlen Sie sich angesprochen?

Nein, mein Stil ist dieser Ton sowieso nicht. Es gibt Aussagen, die sagen vor allem viel über den Sprechenden. Geht es bei der Sammlungsbewegung darum die Linke zu stärken? Oder geht es um eine Aufspaltung? Alle Aussagen bleiben diffus. Diese Doppeldeutigkeit habe doch nicht ich mir ausgedacht.

Fürchten Sie Versuche, vom Posten der Parteichefin weggemobbt zu werden?

Da bin ich sehr gelassen. Bernd Riexinger und ich werden auf dem Parteitag im Juni in Leipzig wieder antreten. Und wir werden uns an einem verbalen Aufrüsten nicht beteiligen. Jedoch kämpfe ich leidenschaftlich für meine Überzeugungen in der Sache, für eine Linke, die nicht auf Basta-Sprüche oder eine Person ausgerichtet ist, sondern für eine Linke, die eine demokratische Mitgliederpartei ist.

Irritiert es Sie nicht, dass Frau Wagenknecht in der Öffentlichkeit so gut ankommt?

Es freut mich, wenn linkes Spitzenpersonal und linke Positionen gut ankommen. Kontroversen allerdings müssen in der Sache ausgetragen werden. Am Ende muss die Partei entscheiden. Wer eine Kurskorrektur in der Asylpolitik möchte, muss das auf einem Parteitag beantragen und die Delegierten überzeugen.

Es gibt den Vorwurf, dass Sie sich zunehmend um die modernen, urbanen Milieus kümmern und immer weniger um Arbeitslose und unterbezahlte Arbeitnehmer.

Sind die diejenigen, die das behaupten, auch so oft früh morgens vorm Job-Center um mit den Hartz-IV-Betroffenen ins Gespräch zu kommen, wie ich? Ich kämpfe gegen Hartz IV, seit es erfunden wurde.

Warum hat die Linke bei der Bundestagswahl im Osten denn so stark verloren?

Offenbar haben manche auf eine Partei gewartet, die rassistische Vorurteile auf den Punkt bringt und nicht ganz das Schmuddel-Image der NPD hat. Schuld an den AfD-Erfolgen ist auch eine Regierungspolitik, die auf soziale Notlagen selten positiv reagiert, während sie nach rassistischen Protesten immer wieder Forderungen von Pegida & Co. nachgibt. Wir als Linke müssen deutlicher machen, dass wir um Terrains kämpfen, die andere längst aufgegeben haben. Dass wir auch unbeirrt in die vernachlässigten und ärmeren Viertel gehen. Deshalb haben Bernd Riexinger und ich zum Beispiel die Haustürbesuche angeschoben.

Also auch zu den sogenannten Wutbürgern?

Wenn man in der Platte unterwegs ist und mit den Menschen über ihre Rente redet, versteht man den Unmut. Das Schlimme ist nur: Die Rechten reden den Leuten ein, ihr müsst nur nach unten, auf die Geflüchteten, treten, dann wird es euch bessergehen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Rechtspopulismus und Linkspopulismus. Rechtspopulismus ist Rebellion auf den Knien vor den Herrschenden. Linkspopulismus ist eine Revolte des aufrechten Ganges – macht also deutlich, nicht die Armen und Ärmsten müssen gegeneinander ausgespielt werden. Sie müssen sich gemeinsam gegen die Superreichen wenden.

Lassen sich denn AfD-Wähler für die Linke zurückgewinnen?

Ich will sehr gern ehemalige Linke-Wähler zurückgewinnen. Es gibt allerdings auch Leute, deren rassistisches Weltbild so verfestigt ist, dass dies nicht gelingen kann. Die wählen das Original – egal wie sehr man denen nach dem Munde redet. Aufgabe der Linken muss es sein, die Oben-Unten-Konflikte – man kann auch sagen: Klassenkonflikte – stärker zu thematisieren. Übrigens: Die meisten AfD-Wähler kommen von CDU, SPD oder haben vorher gar nicht gewählt.

Kleine Zwischenbilanz zu den Verhandlungen über eine große Koalition: Verstehen Sie die SPD noch?

Es ist ein Trauerspiel, was da gerade stattfindet. Ich glaube auch noch nicht, dass die Groko in trockenen Tüchern ist, die SPD hat doch kaum Verhandlungserfolge. Der sogenannte Kompromiss beim Familiennachzug gibt ja nur einen Vorgeschmack: Beim Umgang mit Menschen in Not setzt man auf menschliche Kälte. Sozialpolitisch sieht es ähnlich aus. Für Menschen, die von Hartz IV betroffen sind, gibt es keinerlei Verbesserung. Letztlich arbeitet die SPD an einer Strategie, sich selbst überflüssig zu machen.
Träumen Sie noch von Rot-Rot-Grün?

Aktuell ist das fortschrittliche Lager kaputt, nicht mehrheitsfähig. Das ist ein Zustand, mit dem wir uns nicht abfinden können. Deshalb denke ich nicht an eine Sammlungsbewegung, die nur von einer Partei ausgeht. Es wäre gut, wenn Linke, SPD und Grüne etwa gleich stark würden, also Verhältnisse wie aktuell in Berlin und nicht das autoritäre Koch-Kellner-Verhältnis. Die drei Parteien könnten sich dann auf Augenhöhe begegnen. Und dann kommt es darauf an, der gesellschaftlichen Fantasie Futter zu geben, dass eine soziale Alternative links von Merkel möglich ist und zu einer gerechteren und zukunftsfähigeren Gesellschaft führt. Das setzt aber den Mut voraus, die Umverteilung von Konzernprofiten hin zu einem reichen Gemeinwesen in Angriff zu nehmen.

Katja Kipping (40) ist seit 2012 Vorsitzende der Linkspartei. Die Sächsin steht gemeinsam mit dem Gewerkschafter Bernd Riexinger an der Spitze. Das Gespräch führten Matthias Meisner und Rainer Woratschka. 

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