zum Hauptinhalt
Der Papst besuchte 2013 Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa.

© Reuters

Katholische Kirche und die Angst vor Migranten: „Ein Gift, das menschliche Beziehungen zersetzt“

Der Papst stellt sich immer wieder an die Seite Geflüchteter. Sein Beauftragter für Migration erklärte jetzt in Berlin, warum Wanderung ein Kernthema der Bibel ist.

Sein Pontifikat fällt in eine Zeit, da die Zahl der Flüchtlinge in aller Welt zum ersten Mal das Niveau von Ende des Zweiten Weltkriegs erreichte – und es mit 68,5 Millionen jetzt übertrifft. Wenn es um sie geht, hat Papst Franziskus es nie an deutlichen Worten und Gesten fehlen lassen. Gleich seine erste Reise im Amt galt 2013 dem sizilianischen Lampedusa, später besuchte er die griechische Insel Lesbos, wo für Tausende die Flucht endet, weil Europa sie nicht weiterziehen lässt.

„Eine Schande“ nannte der Papst die Lage der Flüchtlinge und machte auch deutlich, dass Kriege und Umweltkatastrophen, vor denen sie fliehen, nicht selten die Schuld derer seien, die jetzt ihre Grenzen schließen und sie dem Sterben auf dem Mittelmeer aussetzen. Franziskus stärkte das Thema Flucht und Migration auch in seiner Kirche. Vor zwei Jahren legte er bisher vier päpstliche Räte zu einer Abteilung (Dikasterium) für „ganzheitliche menschliche Entwicklung“ zusammen und unterstellte die neue Stelle für Flüchtlings- und Migration sich selbst. Seit Januar 2017 ist ein Mann sein Beauftragter für Flüchtlinge, dessen Familie selbst Fluchterfahrung hat: der 1946 in der Tschechoslowakei geborene kanadische Jesuitenpater Michael Czerny.

Von Abraham bis zur Flucht aus Ägypten

Für den Papst ist Migration „die Sache Christi selbst“. Was das heißt, buchstabierte sein wichtigster Mitarbeiter jetzt in einem Vortrag in der Katholischen Akademie in Berlin aus. Czerny erinnerte an die Flucht- und Wanderungserzählungen der bedeutendsten Stellen im Alten und Neuen Testament – die Flucht Marias und Josephs vor der Geburt Jesu, Josephs Exil in Ägypten, den Nachzug seiner Brüder und schließlich die erneute Flucht aus der ägyptischen Sklaverei, die bis zur Ankunft im Gelobten Land vierzig Jahre Heimatlosigkeit bedeutete. Auch die Geburtsstunde Israels beginnt mit Migration, die den Ur-Eltern Abraham und Sarah sogar befohlen wird: „Der Herr sprach zu Abraham: Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich werde dich zu einem großen Volk machen.“

Der Auftrag, den Czerny heute hat, klingt vor diesem Erbe bescheiden: Sein Dikasterium soll Kirchen in aller Welt dabei helfen, lokal und regional Menschen zu unterstützen – diejenigen, die fliehen, aber auch die, die sich freiwillig aufgemacht haben. Kann die Kirche, eine globale Institution seit 2000 Jahren, da nicht als Weltkirche handeln? Nein, sagt Pater Czerny entschieden. „Die Krise ist global, aber die Antworten sind es nicht. Die Situationen, in denen Migranten stecken, ihre Erfahrungen sind zu unterschiedlich. Hilfe funktioniert nur regional. Das ist anders als beim Klimawandel, gegen den sich nur weltweit ankämpfen lässt.“

Pater Michael Czerny, Migrationsbeauftragter des Papstes
Pater Michael Czerny, Migrationsbeauftragter des Papstes

© Frank Vetter

Enttäuschung über Regierungen trifft die Armen

Am Abend des Brüsseler Gipfels will Czerny sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel nicht über die noch frischen Beschlüsse äußern, die Europa weiter gegen Migration abschließen sollen. Aber er äußert sich zur Atmosphäre, in der sie entstehen. Diplomatischer als sein Chef, der Papst – Franziskus warf Europa „erschreckenden Egoismus“ vor –, aber ebenso deutlich. Es sei völlig in Ordnung, wenn Menschen sich fürchteten. „Aber diese Ängste führen seit 2015 ein Eigenleben und haben jene vergiftete Auseinandersetzung in Gang gesetzt, die menschliche Beziehungen zersetzt.“

Und sie hätten nichts mit den Geflüchteten zu tun. „Am Anfang steht die Finanzkrise und die Enttäuschung von Menschen, die sie wirtschaftlich traf, über die Unfähigkeit der Regierenden, sie zu lösen. Diese Enttäuschung wird jetzt auf notleidende Menschen übertragen“, sagt Czerny.

Zur Startseite