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An alles gedacht, voll wurde es trotzdem nicht. Szene vom Katholikentag in Stuttgart.

© THOMAS KIENZLE, AFP

Katholikentag 2022 in Stuttgart: So krisenhaft wie die ganze Kirche

Corona kann nichts dafür! Beim Katholikentag trifft sich nur noch eine Blase aus Funktionären und Engagierten, der jede Repräsentativität fehlt. Eine Analyse.

Auf den ersten Blick war auf dem Stuttgarter Schlossplatz alles wie immer bei einem Katholikentag: Ordensschwestern liefen strahlend aufeinander zu und umarmten sich. Menschen mit orangefarbenen Schals bevölkerten die Wiese rund um den Springbrunnen. Und in einer großen Prozession zogen die Geistlichen zum Himmelfahrtsgottesdienst zur Bühne. Auf den zweiten Blick allerdings entwickelt sich das Treffen der katholischen Laien, der Engagierten aus Gemeinden und Verbänden, zu einem mittelschweren Debakel.

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Denn nur 25.000 Menschen hatten sich zur Eröffnung des Katholikentags angemeldet. Von 19.000 Dauerteilnehmern berichteten die Veranstalter, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Und unter ihnen waren noch einmal 7000 Mitwirkende: Podiumsgäste, Musiker oder Standbetreuer. Zum Vergleich: Beim letzten Katholikentag vor der Pandemie, 2018 in Münster, kamen die Veranstalter am Ende noch auf 90.000 Teilnehmer, davon 50.000 Dauerteilnehmer.

Omikron wird angeführt

Und natürlich: Die Corona-Pandemie spielt dabei eine Rolle. Nicht jeder hat unmittelbar nach dem Abflauen der Omikron-Welle Lust auf eine Massenveranstaltung mit tausenden Teilnehmern. Und für die Organisation der traditionellen Gruppenfahrten zum Katholikentreffen fehlte oftmals schlicht die Zeit. ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp hat Recht, wenn sie sagt, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei, und Corona noch immer den Alltag präge. Aber: Mit dem Virus allein lassen sich die nur 25.000 Besucher nicht erklären.

Längst treten auch die Engagierten aus, die in den Gemeinden gebraucht werden

Die Krise des Katholikentags ist hausgemacht. Sie steht beispielhaft für die Krise der katholischen Kirche. Denn längst sind es nicht mehr nur sogenannte Karteileichen, die die Kirchen etwa wegen der Kirchensteuer verlassen. Gerade in der katholischen Kirche verabschieden sich unter dem anhaltenden Eindruck des Missbrauchsskandals und den teils unwillig, teils auch stümperhaft wirkenden Aufarbeitungsversuchen durch die Institutionen auch die engagierten Kirchenmitglieder: die vielen Menschen aus den Pfarrgemeinderäten, die vielen Menschen aus der Mitte der Gemeinde. Und auch jene vielen Menschen, denen es nicht mehr reicht, bei Katholikentagen über mögliche Reformen zu diskutieren, die dann am Ende aber nicht umgesetzt werden.

Denn wenn alle mal ehrlich sind, ist auch allen klar, dass über Fragen zum Fortbestand des Pflichtzölibats, zum Frauenpriestertum oder zur Abendmahlsgemeinschaft mit den Protestanten seit Jahrzehnten immer und immer wieder debattiert wird. In der Praxis geändert hat sich allerdings in der ganzen langen Zeit kaum etwas.

Evangelische würden nicht weggeschickt, sagen sie. Nun ja...

Zwar kündigte der Stuttgarter Ortsbischof Gebhard Fürst an, dass beim Katholikentag kein Evangelischer von der Eucharistie weggeschickt werde – aber mehr als Rhetorik war das auch nicht. Schließlich steht niemandem das Evangelischsein auf die Stirn geschrieben. Und immer wieder hörte man in Stuttgart auch das Gerücht, das namhafte Referenten ihre Teilnahme am Katholikentag im Unterschied zu früheren Jahren abgesagt hätten: Mit der katholischen Kirche wollten sie sich besser nicht mehr sehen lassen.

Konservative haben ihre eigenen Veranstaltungen

Umgekehrt freilich muss man auch sagen: Wem die katholische Kirche so gefällt, wie sie nun einmal ist, den trifft man auch nicht bei einem Katholikentag. Konservative Gruppen haben längst ihre eigenen Veranstaltungen geschaffen, im Augsburger Gebetshaus des Theologen Johannes Hartl oder bei den eucharistischen Kongressen. Und wer das Programm des Stuttgarter Katholikentags durchblättert, wird feststellen, dass viele konservative Vertreter der katholischen Kirche in Stuttgart schlicht fehlen.

Kardinal Rainer Maria Woelki ist nicht in Stuttgart.
Kardinal Rainer Maria Woelki ist nicht in Stuttgart.

© IMAGO/Panama Pictures

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki etwa ist am Himmelfahrtstag auf einer Wallfahrt in Neviges unterwegs, und auch sein Regensburger Kollege Rudolf Voderholzer fehlt in Stuttgart. Das kann man begrüßen, das kann man verurteilen, aber klar ist: Der Katholikentag und das ZdK stehen nicht mehr für „die“ katholische Kirche in Deutschland. In Stuttgart trifft sich eine Blase aus Funktionären und Engagierten, die längst die Repräsentativität verloren hat.

Gäbe es ihn nicht, müsste man ihn erfinden

Und das ist das eigentlich Ärgerliche: Denn gäbe es die Kirchen- und Katholikentage nicht, müsste man sie eigentlich erfinden. Wo sonst nämlich machen sich tausende Menschen Gedanken über die Probleme der Welt? Wo sonst wird auf mehr als 1500 Veranstaltungen über Krieg und Frieden in der Ukraine, den Missbrauchsskandal oder die Lage der Entwicklungsländer debattiert? Wo sonst findet so konzentriert so viel religiöse und politische Bildungsarbeit statt?

Es wäre fatal, würde sich die katholische Kirche mit ihren permanenten Krisen so zerstören, dass solche Formate sang- und klanglos untergehen. Deswegen ist es gut und richtig, dass der erste Mann im Staate, Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier, den in Stuttgart versammelten Katholiken am Mittwochabend Mut zusprach und darauf verwies, dass der vom ZdK und der Deutschen Bischofskonferenz veranstaltete Reformprozess „Synodaler Weg“ mit Neugier und Erwartungen betrachtet werde. „Natürlich, was dort gedacht, gesagt und beschlossen wird, das geht zuerst die katholische Kirche selbst an“, sagte Steinmeier. „Und doch wird es auch von den Ergebnissen dort abhängen, welche Rolle die Kirche und die Christen in Zukunft in unserer Gesellschaft spielen – ob es lohnt, wieder neu auf sie zu hören.“

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