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Die Detonation im Hafen von Beirut am Dienstag war selbst auf Zypern noch zu spüren.

© AFP / JOSEPH EID

Katastrophe von Beirut: Führende Hafen-Vertreter nach Explosion in Beirut festgenommen

Die Ursache für die Explosion in Beirut ist noch ungeklärt. Libanons Präsident erwägt einen Anschlag für möglich – steht aber auch unter Rechtfertigungsdruck.

Drei Tage nach der verheerenden Explosion in Beirut sind Verantwortliche des Hafens der libanesischen Hauptstadt festgenommen worden. Dazu zählten Zoll-Chef Badri Dahir, dessen Vorgänger Schafik Mirhi und Hafen-Direktor Hassan Kuraitim, meldete die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA am Freitagabend.

Die Entscheidung sei im Zuge von Ermittlungen zu den Hintergründen der Explosion getroffen worden, hieß es weiter. Bereits am Vorabend waren 16 Hafen-Mitarbeiter festgenommen worden. Nach Justizangaben wurden bislang 18 Personen vernommen.

Der libanesische Präsident Michel Aoun äußerte sich mit Blick auf die Explosionskatastrophe in Beirut zum Unglückshergang geäußert – und sagte, die Ursache sei noch unklar. Es sei möglich, dass die Explosionen durch „Fahrlässigkeit oder durch äußere Einwirkung, mit einer Rakete oder einer Bombe", ausgelöst wurden, sagte Aoun am Freitag in einem Fernsehinterview.

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Forderungen nach einer internationalen Untersuchung wies er zurück, er erklärte vielmehr: Eine solche Untersuchung würde „die Wahrheit verwässern".

Am Dienstagabend hatten zwei gewaltige Explosionen die libanesische Hauptstadt erschüttert. Nach jüngsten Angaben der Behörden wurden dabei mehr als 150 Menschen getötet und mehr als 5000 verletzt. Rund 300.000 Menschen wurden obdachlos, darunter schätzungsweise 100.000 Kinder. Dutzende Menschen werden weiterhin vermisst.

Die Regierung setzte nach den Worten von Außenminister Tscharbel Wehbe am Donnerstagmorgen einen Untersuchungsausschuss ein, der binnen vier Tagen einen detaillierten Bericht zu den Verantwortlichen für die Explosion liefern soll.

Bei der Suche nach der Ursache lag der Fokus bislang auf 2750 Tonnen hochexplosiven Ammoniumnitrats, die der Regierung zufolge sechs Jahre lang ungesichert im Hafen gelagert wurden. Ammoniumnitrat kann für Düngemittel oder zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden.

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Aoun sagte, die Untersuchung werde auf drei Ebenen geführt. Erstens, wo das explosive Material hergekommen und wie es gelagert worden sei, zweitens, ob die Explosion durch Fahrlässigkeit oder einen Unfall verursacht worden sei und drittens die Möglichkeit, dass es einen externe Eingriff gegeben habe.

US-Präsident Donald Trump hatte kurz nach den Explosionen gesagt, es habe sich mutmaßlich um einen „furchtbaren Angriff" mit einer „Art von Bombe" gehandelt. Am Mittwoch machte er jedoch einen Rückzieher und sagte, die Detonationen könnten doch durch einen Unfall ausgelöst worden sein.

Ammoniumnitrat - Auslöser mehrerer verheerender Explosionen: Übersicht - Zeitleiste.
Ammoniumnitrat - Auslöser mehrerer verheerender Explosionen: Übersicht - Zeitleiste.

© / AFP / Gal ROMA AND Sophie RAMIS

In Sicherheitskreisen war zuletzt von Untätigkeit und Fahrlässigkeit bei der Lagerung des explosiven Ammoniumnitrats die Rede. In diesem Zusammenhang waren am Donnerstag auch 16 Hafenmitarbeiter festgenommen worden, darunter Sicherheitskreisen zufolge auch der Hafenchef. Unklar blieb dabei, welche Vorwürfe ihnen gemacht werden oder ob ihnen ein ordentliches Gerichtsverfahren droht.

Hafenbehörden, Zoll- und Sicherheitsdienste waren sich alle bewusst, dass gefährliche Chemikalien im Hafen gelagert wurden. Nun schieben sie sich gegenseitig die Verantwortung für das Unglück zu, wie es aus Sicherheitskreisen in Beirut heißt.

Der Zolldirektor Badri Daher etwa will über die Jahre immer wieder auf das Problem hingewiesen haben.

"Alles durchdringende Kultur der Fahrlässigkeit, Korruption und des Schuldzuweisens"

Angesichts der jahrelangen Untätigkeit steht die Regierung unter hohem Druck. Sollte sich herausstellen, dass das unrechtmäßig gelagerte Ammoniumnitrat die Ursache für die massiven Explosionen gewesen ist, ist zu erwarten, dass der Unmut und die Wut in der Bevölkerung weiter wächst. Nach den Explosionen am Dienstag war es in den folgenden Tagen zu teils gewaltsamen Demonstrationen in Beirut gekommen und auch für Samstag sind große Proteste in der libanesischen Hauptstadt geplant.

Proteste gegen die libanesische Regierung in Beirut nach der Explosion am Dienstag.
Proteste gegen die libanesische Regierung in Beirut nach der Explosion am Dienstag.

© AFP

Demonstranten und Experten sehen die Verantwortung für die Explosionskatastrophe bei der politischen Führung. In der libanesischen Bürokratie herrsche eine "alles durchdringende Kultur der Fahrlässigkeit, Korruption und des Schuldzuweisens, beaufsichtigt von einer politischen Klasse, die von ihrer Inkompetenz und Verachtung für das Allgemeinwohl geprägt ist", schrieb der stellvertretende Direktor des Zentrums für Globalpolitik, Faysal Itani, in der "New York Times".

Ein Rücktritt der Regierung erscheint vielen Experten dennoch als unwahrscheinlich. Erst im Januar wurde die aktuelle Regierung als Technokratenkabinett eingesetzt. Doch Ministerpräsident Hassan Diab enttäuschte die Erwartungen vieler Libanesen. Diab steht dem christlichen Präsidenten Michel Aoun nahe, der wiederum mit der schiitischen Hisbollah verbündet ist.

Trotz einer außer Kontrolle geratenen Inflation und Massenarbeitslosigkeit ist es der Regierung nach wie vor nicht gelungen, eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über dringend benötigte Finanzhilfen zu erzielen.

Kommt eine internationale Untersuchung?

Unterdessen werden die Rufe nach einer internationalen Untersuchung der Katastrophe lauter. Der führende drusische Politiker Walid Dschumblatt schloss sich entsprechenden Forderungen des früheren Regierungschefs Saad Hariri an. „Wir verlangen einen internationalen Ermittlungsausschuss, weil wir überhaupt kein Vertrauen in die herrschende Clique haben“, erklärte Dschumblatt nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur NNA.

Libanons Innenminister Mohammed Fahmi hatte am Mittwoch dagegen erklärt, dass internationale Experten vermutlich nicht notwendig seien. Die libanesischen Fachleute hätten die nötige Kompetenz für Ermittlungen. Das Vertrauen in die Behörden ist jedoch gering und viele Libanesen trauen der Regierung keine unabhängige Untersuchung zu.

Ausmaß der Zerstörung schockiert Rettungshelfer

Während die politische Aufklärung gerade erst Fahrt aufnimmt, sind die Hilfs- und Aufräumarbeiten vor Ort in vollem Gange. Die Vereinten Nationen riefen am Freitag für internationale Unterstützung für Libanon auf und schätzte, dass aktuell 500 Krankenhausbetten mit Verletzten belegt sind – und das mitten in der Coronavirus-Pandemie. Die Explosion im Hafen hatte zudem importierte Schutzausrüstung und medizinische Materialien zerstört.

Das Ausmaß der Zerstörung in der libanesischen Hauptstadt Beirut ist massiv.
Das Ausmaß der Zerstörung in der libanesischen Hauptstadt Beirut ist massiv.

© REUTERS/Hannah McKay

Knapp 50 Helfer waren am Mittwochabend im Auftrag der Bundesregierung zur schnellen Hilfe nach der verheerenden Explosion in den Libanon aufgebrochen. Die Rettungshelfer sind von dem Ausmaß der Zerstörung nach der Explosion in der libanesischen Hauptstadt Beirut schockiert.

„Das Einsatzgebiet ist wirklich riesig“, sagte die Sprecherin des Technischen Hilfswerks (THW), Georgia Pfleiderer, am Freitag aus dem Einsatzgebiet der Deutschen Presse-Agentur am Telefon. Die Schäden seien immens. „Was hier an Gebäuden stand, das waren ja richtige Hochregallager und Großgebäude, die liegen alle in Trümmern. Das ist wirklich eine Dimension, die ist echt atemberaubend.“

Frankreich organisiert internationale Geberkonferenz

Emmanuel Macron beim Staatsbesuch in Beirut mit dem libanesischen Präsidenten Michel Aoun.
Emmanuel Macron beim Staatsbesuch in Beirut mit dem libanesischen Präsidenten Michel Aoun.

© AFP / various sources

Inzwischen hat die EU hat bereits die Entsendung von 300 Rettungskräften nach Beirut koordiniert und 33 Millionen Euro Soforthilfe freigegeben. Frankreich organisiert zudem eine internationale Geberkonferenez für den Libanon, an dem die EU auch teilnehmen möchte. Damit sollen international Spenden für die humanitäre Nothilfe im Libanon gesammelt werden.

Sowohl EU-Ratspräsident Charles Michel als auch der Kommissar für humanitäre Hilfe, Janez Lenarcic, würden an der Videokonferenz am Sonntag teilnehmen, teilte ein Kommissionssprecher am Freitag mit. Michel will zuvor am Samstag nach Beirut reisen, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron war am Donnerstag nach Beirut gereist, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Auch er forderte eine unabhängige Untersuchung der Katastrophe. Nötig sei eine "offene und transparente" internationale Untersuchung, sagte Macron. Nur so könne verhindert werden, dass "Dinge geheimhalten werden" und Zweifel aufkommen. (Tsp,AFP, dpa, Reuters)

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