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Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD).

© dpa/Markus Schreiber

Karlsruhe verbietet Steinmeier die Unterschrift: Bremst deutsches Recht die EU aus?

Bundespräsident Steinmeier darf einen Bundestagsbeschluss zu EU-Coronahilfen nicht zu geltendem Recht machen. AfD-Gründer Lucke hatte mit anderen geklagt.

Die Sprache wirkt ungewöhnlich hart, zumal in der Kommunikation zwischen zwei Verfassungsorganen, die beide hohen Respekt im Volk genießen. „Es wird angeordnet“, lässt das Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier wissen, dass der die Zustimmung des Bundestags am Donnerstag und des Bundesrats am Freitag zu den Coronahilfen der EU vorerst nicht durch seine Unterschrift zu geltendem Recht machen dürfe.

Eine Gruppe von Klägern um den Wirtschaftsprofessor und Mitgründer der AfD, Bernd Lucke, hält die gemeinschaftliche Schuldenaufnahme der EU für verfassungswidrig. Die geltenden Europäischen Verträge erlaubten keinen Ausbau der EU zur Schuldenunion.

In anderen Streitfällen haben die Karlsruher Richter den Bundespräsidenten inoffiziell gebeten, mit der Unterschrift unter ein Gesetz zu warten. Ist die harte, formelle Anweisung an Steinmeier also ein Hinweis, dass sie die 750 Milliarden Euro Hilfe stoppen wollen, mit denen die EU ihren Mitgliedern helfen möchte, die Coronarezession zu überwinden?

Grüne warnen vor Scheitern, CDU optimistisch

Die Bandbreite der Reaktionen und Spekulationen in Berlin und Brüssel spiegelt die Ungewissheit und Anspannung. „Das würde ein Scheitern der europäischen Solidarität in der Pandemie bedeuten“, warnt die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katja Keul, vor den europapolitischen Folgen. Den Grünen sei bewusst, dass die gemeinsame Schuldenaufnahme ein Novum ist. „Wer neue Wege geht, muss immer auch mit einer verfassungsrechtlichen Überprüfung rechnen. Wir halten den eingeschlagenen Weg allerdings für richtig, notwendig und verfassungsgemäß.“

30.07.2019, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht mit Peter Müller (v.l.), Peter M. Huber, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf und Ulrich Maidowski verkündet das Urteil in Sachen „Europäische Bankenunion“ (Aufnahme mit Langzeitbelichtung). Laut dem Urteil sind die Regelungen zur Europäischen Bankenunion bei strikter Auslegung nicht kompetenzwidrig. Foto: Uli Deck/dpa
30.07.2019, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht mit Peter Müller (v.l.), Peter M. Huber, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf und Ulrich Maidowski verkündet das Urteil in Sachen „Europäische Bankenunion“ (Aufnahme mit Langzeitbelichtung). Laut dem Urteil sind die Regelungen zur Europäischen Bankenunion bei strikter Auslegung nicht kompetenzwidrig. Foto: Uli Deck/dpa

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Der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler meint hingegen, die juristischen Einwände Luckes hätten wenig Substanz. „Die Schuldenaufnahme der EU ist überschaubar, die Rückzahlung ist berechenbar.“ Zu dem von Lucke behaupteten Risiko, „dass Deutschland in Gesamthaftung genommen wird, kann es nicht kommen“. Sollte ein EU-Partner mit der Rückzahlung seines Anteils an den Kredite in Verzug geraten, „wird die EU dem Land die Zuschüsse entsprechend kürzen“. Das Ergebnis in Karlsruhe „wird eine verfassungskonforme Auslegung sein“.

Europa-Experte: Eindeutig EU-rechtswidrig

Nochmals anders ordnet Lüder Gerken, Vorstandsvorsitzender des Centrums für Europäische Politik (cep) in Freiburg, den Streit ein: Die Schuldenaufnahme sei rechtswidrig, aber Karlsruhe werde sie akzeptieren. „Das Instrument der Anleihenermächtigung ist eindeutig EU-rechtswidrig. Insofern verwundert es mich nicht, dass Karlsruhe die Zustimmung Deutschlands zum 750-Milliarden- Euro-Paket vorerst gestoppt hat. Wenn das Bundesverfassungsgericht allerdings an dieser Auffassung festhalten sollte, stieße es die EU ins Chaos. Insofern wird Karlsruhe – wie bei allen bisherigen Urteilen zur EU-Rettungspolitik – zwar allgemeine Bedenken äußern und Leitplanken definieren, die aber so formulieren, dass sie das Paket letztlich nicht aufhalten.“

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Auf mehreren Gipfeln hatten die EU-Staaten 2020 über ein gemeinsames Konjunkturpaket gestritten und schließlich die 750 Milliarden Euro beschlossen. Zur Finanzierung will die EU erstmals Schulden aufnehmen. Dem müssen die Parlamente aller 27 EU-Staaten zustimmen. Der Bundestag tat das am Donnerstag. Eine Gruppe von Klägern um den Wirtschaftsprofessor und Mitgründer der AfD, Bernd Lucke, klagte dagegen und erreichte, dass Steinmeier das Gesetz über die deutschen Anteil am EU-Paket vorerst nicht unterzeichnen darf.

Konkurrenz zwischen Karlsruhe und dem EuGH

Europarechtler haben Bedenken, ob die geltenden EU-Verträge eine gemeinsame Schuldenaufnahme erlauben. Sie argumentieren: Wenn die EU-Mitglieder das wollten, müssten sie die Europäischen Verträge entsprechend ändern.

Der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen hält die EU-Coronahilfen für verfassungskonform, fordert aber, dass Karlsruhe die Klage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgibt. „Das Bundesverfassungsgericht spielt mit dem Feuer. In der Sache muss der EuGH über die Auslegung der Europäischen Verträge entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht muss das Verfahren zeitnah an den EuGH abgeben und eine vorläufige Ratifizierung durch die Unterschrift des Bundespräsidenten ermöglichen.“

Die deutschen Verfassungsrichter und die europäischen EuGH-Kollegen waren in Fragen der europäischen Finanzen allerdings schon mehrfach aneinander geraten.

Schon die Verzögerung bedeutet wirtschaftlichen Schaden

Die EU könne sich „eine monatelange Hängepartie nicht leisten. Wir stecken in einer tiefen Wirtschaftskrise. Wenn die Covid-Milliarden nicht zeitnah ausgezahlt werden, verschärfen sich die ökonomischen Probleme in der EU, und die EU droht auseinanderzufliegen“, warnt Andresen, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament.

Nach seiner Meinung erlauben die EU-Verträge den Wiederaufbaufonds. Die Staats- und Regierungschefs und das Europäische Parlament hätten ihm mit breiten Mehrheiten zugestimmt. „Das Risiko für den Bundeshaushalt durch die gemeinsamen Anleihen ist sehr gering und steht in keinem Verhältnis zu den ökonomischen und politischen Folgen, falls der Wiederaufbaufonds verschleppt werden sollte.“

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