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"Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen", sagte Merkel. "Das ist nicht gut."

© Tobias Schwarz, AFP

Kanzlerin kritisiert Essener Tafel: Merkel hätte lieber schweigen sollen

Angela Merkel kritisiert den vorübergehenden Aufnahmestopp der Essener Tafel für Ausländer. Dabei hätte die Kanzlerin einfach ihre Hilfe anbieten können. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Diesmal hat ihr Instinkt sie verlassen. Angela Merkel hat Partei bezogen, statt ihre Hilfe anzubieten. Sie hat kritisiert, statt einfach nur anzuerkennen, dass es Notlagen geben kann, in denen Verantwortliche bloß die Wahl zwischen falsch und verkehrt haben. Und dazu: Die Bundeskanzlerin hat sich gegen Ehrenamtliche positioniert, die auch mit den Folgen einer von ihr selbst herbeigeführten Lage konfrontiert sind. Täglich.

„Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen“, sagte Merkel in einem RTL-Interview zur Entscheidung der Essener Tafel, vorübergehend nur noch Deutsche in ihre Kartei für bedürftige Menschen neu aufzunehmen. „Das ist nicht gut“, ergänzte sie. Merkel redete nicht offensiv. Sie erwähnte „den Druck, den es gibt“. Aber es bleibt der verdrießlich stimmende Eindruck des Wohlfeilen.

Man kann die Entscheidung der Essener Tafel aus vielen guten Gründen falsch finden. Man kann mit dem Finger auf den Drückeberger-Staat zeigen, der soeben einen Rekordüberschuss in Höhe von 36,6 Milliarden Euro erzielt hat. Man kann Mängel in der Flüchtlings- und Integrationspolitik beklagen. Man kann ethisch einwenden, dass Bedürftigkeit keine Frage der Nationalität sein darf. Man kann die Einrichtung der Tafeln grundsätzlich monieren, weil sie das Elend der staatlichen Unterversorgung aushaltbar machen und damit festigen.

Es gab offenbar einen Verdrängungswettbewerb

Aber eines sollten sich die Kritiker versagen: ohne Kenntnis der näheren Umstände den Ehrenamtlichen in Essen Ausländerfeindlichkeit oder gar Rassismus zu unterstellen. Das ist perfide. Es gab offenbar einen Verdrängungswettbewerb, in dem sich ältere Menschen und alleinerziehende Mütter von jungen, fremdsprachigen Flüchtlingen zurückgedrängt gefühlt hatten und der Tafel fernblieben. Auf diese Entwicklung musste reagiert werden. Vielleicht hätte es andere Möglichkeiten gegeben – die Kapazitäten erweitern, eine Altersgrenze einführen, der Vereinsvorsitzende Jörg Sartor wäre gewiss für jeden konstruktiven Vorschlag dankbar gewesen -, aber ein allgemeines Händeringen über die zunehmende Konkurrenz der Ärmsten der Armen und Schwächsten der Schwachen löst gar nichts.

Es hätte vollkommen gereicht, wenn Merkel es bei der Beschreibung der Notlage belassen hätte, in der sich die Verantwortlichen befinden. Sie hätte der Essener Tafel ihre Hilfe anbieten und den Vorwurf zurückweisen können, deren Entscheidung sei durch unlautere Motive zustande gekommen. Die Ehrenamtlichen waren hilflos und überfordert – auch aufgrund einer Situation, die durch Merkels Flüchtlingspolitik zustande kam.

Es ist selten, dass die übervorsichtige Kanzlerin zu viel sagt. Diesmal hatte ihr Instinkt sie verlassen. Sie redete nicht nur zu viel, sondern erweckte durch ihre Kritik den Eindruck allzu großer Distanz zu jenen Integrationsproblemen, die weit mehr verlangen als ein trotziges „Wir schaffen das“.

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