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Angela Merkel ist als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik zu Besuch im KZ Dachau.

© Reuters

Kanzlerin besucht KZ-Gedenkstätte: Merkel-Besuch in Dachau: „Beiläufig“ oder "bemerkenswert“?

Am Dienstagabend wird Bundeskanzlerin Angela Merkel die KZ-Gedenkstätte im bayerischen Dachau besuchen. Direkt im Anschluss will die CDU-Politikerin im Bierzelt Wahlkampf machen - das stößt nicht nur den Grünen auf.

Es geht weniger um das Vorhaben als solches als vielmehr um den gewählten Zeitpunkt. Angela Merkel wollte am Dienstagabend auf Einladung des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer als erste Bundeskanzlerin die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchen. Danach jedoch stand bei der CDU-Chefin auch eine Wahlkampfveranstaltung der CSU auf dem Programm – in einem Bierzelt.

Genau diese Kombination hält Grünen-Fraktionschefin Renate Künast für völlig unangebracht. „Frau Merkel sollte einen Besuch in der KZ-Gedenkstätte ernst nehmen. Das sind wir den Opfern schuldig“, sagt Künast im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Kanzlerin der Bundesrepublik dürfe nicht den Eindruck erwecken, der Dachau-Besuch und das Gespräch mit Überlebenden sei bestimmt durch den eine Viertelstunde später stattfindenden Auftritt im CSU-Bierzelt. Auch der Historiker Wolfgang Benz geht mit der Kanzlerin hart ins Gericht. „Da gäbe es andere, weniger provinzielle, weniger verschämte Gelegenheiten“, sagte der Experte für die NS-Zeit dem Bayerischen Rundfunk. Es mache einen „beiläufigen“ Eindruck, „wenn man kurz bevor man dann ins Festzelt zum Wahlkampf geht, noch den Kranz niederlegt und Betroffenheit äußert“. Das sei ein bisschen wenig.

Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, wiederum nimmt Merkel gegen die Vorwürfe in Schutz. „Ich finde es bemerkenswert, dass die Bundeskanzlerin in der heißen Wahlkampfphase ihre Planung kurzfristig ändert und für einen historischen Moment den routinierten Modus verlässt. Der Besuch in der KZ-Gedenkstätte belegt ihr Höchstmaß an Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein.“ Merkel setze damit das wichtige Signal, dass es ihr fester Wille sei, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen, dies präge glaubhaft und beeindruckend ihr Denken und Handeln. Knobloch verteidigte auch die zeitliche Nähe zu Merkels Auftritt bei einer CSU-Veranstaltung. „Wir befinden uns im Wahlkampf, und die Bundeskanzlerin hat wie jeder andere Politiker das Recht, sich und seine politischen Ziele und Visionen wo auch immer öffentlich zu präsentieren“, sagt die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Knobloch fordert zudem, dass die Kultur des Erinnerns gegenwartsbezogener und „natürlicher“ werden müsse. Mit aufgeblähtem, aber gleichwohl ritualhaftem Gedenken würden nur eindrückliche Bilder produziert, aber kein gesellschaftliches Denken oder gar Umdenken angestoßen. Es gelte deutlicher als bisher zu vermitteln, dass das alltägliche Bewusstsein der Fähigkeit und Bereitschaft zu Unmenschlichkeit jeden einzelnen Bürger dazu motivieren müsse, „die Werte unserer freiheitlichen Demokratie zu bewahren und gegen Verfassungsfeinde zu verteidigen“. Dazu rufe die Bundeskanzlerin auf. „Das ist ihr spürbar eine Herzensangelegenheit – und das ist für mich entscheidend.“

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hatte bereits der Historiker Michael Wolffsohn die Kanzlerin in Schutz genommen. Von einem Besuch der KZ-Gedenkstätte aus wahltaktischem Kalkül könne keine Rede sein. „Mit Geschichtspolitik, vor allem in Bezug auf den Nationalsozialismus, lässt sich hierzulande keine große Begeisterung hervorrufen.“ Gerade deshalb sei Merkels Bereitwilligkeit, sich offensiv mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen, sehr überzeugend. „Merkels Engagement ist ein gleichermaßen persönliches wie gesamtgesellschaftliches Zeichen, dass sich die vergangenheitspolitische Lage weiter entspannt.“

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