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Auf dem Weg zum nächsten Gipfel. Dieses Archivfoto zeigt Markus Söder, Angela Merkel und Michael Müller einem Treffen am 5. Januar.

© Michael Kappeler/AFP

Coronagipfel mit Länderchefs am Dienstag: Setzt doch erst mal die Maßnahmen durch!

Es gipfelt wieder! Muss das sein? Wie wär's, wenn wir erst mal ernst machen mit den Paragraphen, die es schon gibt? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Es gipfelt wieder. Am Dienstag treffen sich zum drölfzigsten Mal seit Beginn der Krise die Kanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, um über „weitere Maßnahmen“ zu beraten. Das können Sie bestimmt schon mitsummen. Man hat es satt. Und trotzdem brauchen wir einen Gipfel, dringend. Nur nicht diesen.

Die Corona-Politik dieses Landes ist geprägt von einer bipolaren Störung. Deutschland ist panisch und phlegmatisch gleichzeitig, weshalb Wort und Tat immer weiter auseinanderfallen.

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Dass der Lockdown eingehalten wird, wird einerseits immer dringender. Zwar sind die Infektionszahlen etwas gesunken und haben sich zuletzt auf (viel zu hohem) Niveau stabilisiert. Aber das dürfte nicht von Dauer sein. Eine viel gefährlichere Mutante ist wahrscheinlich gerade dabei, sich auch bei uns auszubreiten.

Wer Darwin in der Schule nicht verstanden hat, muss nur mal auf die Ansteckungskurven in Irland und Großbritannien schauen, um zu sehen, wie brutal Evolution ist: Die neue Variante verdrängt systematisch ihren lahmeren Bruder. Als nächstes nimmt sie sich dann unser Gesundheitssystem vor. Die Frage ist: Wer ist schneller: Wir mit dem Impfen und der Kontaktreduzierung? Oder das neue High-Speed-Corona?

Da draußen gibt es gar keinen Lockdown. Maximal ein Lockdownchen

Gleichzeitig haben sich die Corona-Paragraphen auf gefährliche Weise vom Leben entkoppelt. Da draußen gibt es nämlich gar keinen Lockdown, den ein Gipfel einfach zu einem „Mega-Lockdown“ („Bild“) oder einem „Hausarrest“ (AfD) steigern könnte. Maximal ein Lockdownchen! Die Regeln werden gedehnt oder einfach gar nicht eingehalten.

Treiber der Pandemie sind zum Beispiel Unternehmen und Behörden, die voll sind mit Büroangestellten, die prima von zu Hause arbeiten könnten (Befragungen zeigen: rund 40 Prozent hätten technisch die Möglichkeit), aber auch voller 50er-Jahre-Chefinnen und -Chefs, die glauben, ihre Controllerinnen und Assistenten würden sich sofort mit Netflix auf die Couch fallen lassen, wenn man sie aus ihren Bürozellen entlässt.

Die Büros sind voller 50-Jahre-Chefs, die denken, im Homeoffice glotzen alle nur Netflix

Im Frühjahr arbeitete fast ein Drittel im Homeoffice. Im November waren es nur 14 Prozent. Der Anteil dürfte jetzt wieder etwas höher sein – liegt laut Regierungssprecher aber deutlich unter dem Frühjahrswert. Doch die Bundesregierung will es bei Appellen belassen. Keiner mag kontrollieren, wer wirklich einen „triftigen Grund“ hat, zu Arbeit zu fahren.

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Ein anderer Treiber sind mutmaßlich, vor allem in Berlin, Schulen und Kitas. Dem Senat fehlt die Chuzpe, er überlässt es der Selbsteinschätzung der Eltern, ob sie systemrelevant sind, und weil alle so müde und erschöpft sind, sind plötzlich alle systemrelevant. Die Gewerkschaft schlägt Alarm – ohne Resonanz.

Vor dem Imbiss stehen mittags Arbeiter mit Currywurst, abends junge Leute mit Bier

So kann man weitermachen: Vor dem Imbiss stehen mittags Gruppen von Arbeitern mit der Currywurst und abends junge Menschen beim Bier – ohne, dass sie irgendjemand daran erinnert, dass es da einen Paragraphen gibt. Ärzte stellen Maskenatteste in Serie aus, ohne, dass dem ernsthaft jemand nachgeht. Entsprechend voll ist der öffentliche Nahverkehr mit Leuten mit und ohne Maske, die zur Arbeit fahren oder ihre Kinder herum.

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Jetzt wird diskutiert, als nächste Maßnahme die Industrie dicht zu machen, also der deutschen Wirtschaft den Todesstoß zu versetzen. Aber wir brauchen keinen weiteren „Maßnahmengipfel“. Sondern einen Umsetzungsgipfel.

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