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Christian Lindner will eine Debatte über mehr Atomkraft, Robert Habeck blockt das ab.

© Michael Kappeler/dpa

Kann Laufzeitverlängerung Strompreis dämpfen?: Drei Atomkraftwerke werden zum Streitobjekt in der Ampel

FDP-Chef Lindner macht wegen der hohen Energiepreise Druck für ein Atomkraft-Comeback. Ein Betreiber signalisiert Bereitschaft, Experten haben ihre Zweifel.

Im Team von Christian Lindner haben sie sich unlängst mächtig über Gerhard Papke aufgeregt. Der frühere FDP-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen ist ein Gegenspieler Lindners. Dass er nun den Parteivorsitzenden wegen dessen Kurses angreife, so hieß es aus Lindners Team, sei daher kein Wunder, es sei unseriös ihn überhaupt ernst zu nehmen und zu zitieren.

Papke hatte unter anderem vor der Verwässerung des eigenen Markenkerns in der Ampel-Koalition gewarnt und Lindner aufgefordert, endlich mal schwierige Debatten zu wagen, vor allem die über eine Verlängerung der Atomlaufzeiten.

„Viele Leute, die sich mit Energiepolitik auskennen, sagen, wir hätten wegen des russischen Kriegs längst die Weichen stellen müssen für verlängerte Laufzeiten der letzten drei Kernkraftwerke, die sonst Ende des Jahres vom Netz gehen“, sagte Papke dem Tagesspiegel.

Auch der FDP-Spitzenkandidat für die niedersächsische Landtagswahl am 9.Oktober, Stefan Birkner, forderte, dass jetzt rasch Entscheidungen fallen müssen, da die Energiekonzerne ein halbes Jahr Vorlauf brauchen.

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Lindner bringt sogar Neubau von Atomkraftwerken ins Spiel

Und nun macht Lindner genau das, was Kritiker wie Papke eingefordert haben und was die FDP beim Parteitag im April auch beschlossen hat. „Die Menschen erwarten, dass wegen des Klimaschutzes, der Abhängigkeit von Putin und der Inflation alle Möglichkeiten erwogen werden“, sagte der Bundesfinanzminister der „Bild“ – er will sogar über eine generelle Rückkehr zur Atomkraft diskutieren.

Wirtschaftlich sei er zwar noch nicht überzeugt, dass sich neue Investitionen in Kernkraft rechnen. „Aber Deutschland darf sich einer Debatte nicht verschließen, die überall auf der Welt geführt wird.“

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Sein Kabinettskollege Robert Habeck (Grüne), versucht das Ansinnen zu stoppen. „Zur Atomenergie ist nicht mehr viel zu sagen“, sagte der Wirtschaftsminister. „Ideologiefrei fachlich wurde das Thema Anfang der Legislatur nochmal durchgeprüft, das ist aus den Fachministerien heraus entschieden – und politisch auch.“ Das sein kein Weg, den Deutschland weiter gehen werde, sagte er.

Habeck lässt Lindner auflaufen - und setzt auf Energiesparen

Stattdessen wird Habeck an diesem Freitag ein umfangreiches Konzept zum Energiesparen vorstellen. Nicht dabei ist ein Tempolimit, trotz der hohen Öl- und Benzinpreise. Das wiederum blockiert die FDP. Geht es nach dem Chef der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, müssten jetzt beide Seiten über ihren Schatten bringen.

Er hält mehr Atomkraft wegen der stark gestiegenen Energiepreise für notwendig. Und dem „Spiegel“ sagt er jüngst: „Deutschland sollte jetzt ein Tempolimit einführen, wenigstens für die Dauer des Krieges“

Isar 2: Weiterbetrieb wäre möglich

Drei Kernkraftwerke laufen noch bis Ende 2022, auch die CDU fordert die Verlängerung der Laufzeiten. Isar 2 in Bayern, betrieben von der Eon-Tochter PreussenElektra, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg, betrieben von EnBW, und Emsland in Niedersachsen, betrieben von RWE. Eine Sprecherin von PreussenElektra betont, „dass ein Weiterbetrieb von Isar 2 unter bestimmten Voraussetzungen möglich wäre, wenn unser Kraftwerk gebraucht würde“. Aber das brauche einen zeitlichen Vorlauf.

Vor allem müssten drei Fragen geklärt sein: Wie lange das Brennmaterial noch reicht und ab wann neue Brennstäbe verfügbar wären, zudem welches Personal mit der entsprechenden Sicherheitsprüfung nötig werde.

Sonderfall EnBW

Ein Abwinken gibt es bei EnBW, aber hier muss man wissen, dass beim drittgrößten deutschen Energieversorger 46,75 Prozent vom Land Baden-Württemberg gehalten werden – und das wird regiert vom Grünen Winfried Kretschmann. „Die EnBW hat nach dem Ausstiegsbeschluss im Jahr 2011 eine langfristige Strategie für den Rückbau ihrer Kernkraftwerke ausgearbeitet, die sie seither konsequent umsetzt“, betont das Unternehmen mit Blick auf den Ausstiegsbeschluss von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Fukushima-Gau.

Der bisherige gesetzliche Rahmen schließe eine Stromproduktion im Block II des Kernkraftwerks Neckarwestheim „über den 31. Dezember 2022 hinaus eindeutig aus.“ Am vergangenen Samstag ist das Kraftwerk für eine letzte Revision abgefahren worden, es gibt Prüfungen etwa an Turbine, Generator und einem Hochdruck-Vorwärmer im Maschinenhaus, rund 450 Fachkräfte sind beteiligt. RWE ließ eine Anfrage zum Weiterbetrieb zunächst unbeantwortet.

Eines der letzten Drei: Das RWE-Atomkraftwerk Emsland.
Eines der letzten Drei: Das RWE-Atomkraftwerk Emsland.

© Ingo Wagner/dpa

Strom für über 3,5 Millionen Haushalte je Kraftwerk

Alle drei Kraftwerke haben eine Leistung von jeweils rund 1400 Megawatt, allein Emsland versorgt laut RWE etwa 3,5 Millionen Haushalte mit Strom. Dabei erspare das Kraftwerk der Atmosphäre jährlich den Ausstoß von rund zehn Millionen Tonnen CO2.

Im vergangenen Jahr hatte Kernenergie laut dem Energieverband BDEW noch einen Anteil von 11,9 Prozent an der Bruttostromerzeugung, Braunkohle lag bei 18,6, Steinkohle bei 9,3 und Erdgas bei 15,3 Prozent. Die erneuerbaren Energien kamen auf 40,9 Prozent.

Dieser Strommix wird sich, so fürchten vor allem Liberale und Union negativ verändern, mit finanziellen Folgen für Bürger und Wirtschaft. Habeck hält mehr Braunkohlekraftwerke in der Reserve, auch wird der Steinkohleanteil steigen – die soll jetzt statt aus Russland verstärkt aus Ländern wie Kolumbien beschafft werden.

In der Union rütteln sie am Atomausstieg. Angela Merkel als Umweltministerin im AKW Lubmin, als Kanzlerin im AKW Emsland.
In der Union rütteln sie am Atomausstieg. Angela Merkel als Umweltministerin im AKW Lubmin, als Kanzlerin im AKW Emsland.

© Stefan Sauer/Carmen Jaspersen/dpa

Das Problem ist der hohe Gaspreis

Der bisher hohe Anteil der Gaskraft soll trotz des geplanten Wegfalls der Atomkraft wegen des Krieges und der Rekordpreise reduziert werden. Das Problem dabei: Gaskraftwerke sind am schnellsten rauf- und runterzufahren, um wetterbedingte Schwankungen bei der Wind- und Solarstromproduktion auszugleichen. Damit drohen gerade den Grünen bei stark steigenden Strompreisen unangenehme Debatten wegen der Blockade bei der Laufzeitverlängerung der Atomkraft. Kanzler Olaf Scholz (SPD) versucht sich nicht zu stark einzumischen, aber auch in seiner Partei will man den Ausstieg bisher nicht aufschnüren.

Bleibt es beim Ausstieg Ende 2022? Das AKW Isar 2 in Bayern.
Bleibt es beim Ausstieg Ende 2022? Das AKW Isar 2 in Bayern.

© Armin Weigel/dpa

Welchen Effekte hat eine Laufzeitverlängerung auf Strompreise?

Der Energieökonom Andreas Löschel von der Ruhr-Universität fürchtet, dass eine solche Laufzeitverlängerung ohnehin nur möglich wäre, wenn der Staat mehr finanzielle Risiken übernimmt. „Und man darf jetzt nicht hoffen, dass dadurch die Preise massiv sinken“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Entscheidender sei die Entwicklung des CO2-Preises im Emissionshandel. Löschel sieht bei Lindners Einwurf letztlich zwei Dimensionen. „Die eine ist: Lässt man diese Kraftwerke weiterlaufen? Da wäre ich nicht dogmatisch.“ Die andere sei: „Bauen wir neue Atomkraftwerke? Das halte ich für komplett abwegig.“

Mehr Kohlekraft erhöht den CO2-Ausstoß

Aber schon die Laufzeitverlängerung wäre problematisch. „Es wäre nicht nur ein Gesichtsverlust, sondern eine massive Erschütterung des Vertrauens in Politik, wenn man sagt: Wir machen zehn Jahre lang einen Ausstieg und im letzten Jahr beenden wird das wegen weniger Kraftwerke.“ Um die Preise im Griff zu halten, wäre die einfachste Lösung, die Kohlekraftwerke, die derzeit als Reserve einer Art Stand-By-Betrieb sind, stärker wieder einzubringen, um Gas in Gaskraftwerken zu sparen.

Aber das wäre wiederum schlechter fürs Klima als der Atomstrom. Auch hier führt der russische Krieg zu kaum auflösbaren Zielkonflikten. Lindner hat da auch keine Lösung parat, aber immerhin kann er sagen, er habe die Debatte befeuert und das FDP-Profil geschärft.

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