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Die Demokratie ist in Gefahr, warnt Barack Obama.

© Democratic National Convention/dpa

Kann das funktionieren – oder nützt es dem Amtsinhaber?: US-Demokraten machen die Person Donald Trump zum zentralen Thema

In bemerkenswerter Einigkeit mit ihrem Gegner erklären Barack Obama und andere Redner des Parteitags die Wahl zum Plebiszit über den Amtsinhaber. Eine Analyse.

Nach den ersten drei Tagen der Democratic Convention herrscht eine bemerkenswerte Einigkeit. Die USA kennen keine Parteien mehr, keine Flügelkämpfe in ihnen und auch keine Wahlprogramme. Es geht nur noch um die eine große Bekenntnisfrage: für IHN? Oder gegen IHN?

Die Person Donald Trump ist jetzt das zentrale Thema dieser Wahl. Dem muss sich alles andere unterordnen. Er selbst hat das schon immer so gesehen. Nun haben auch seine Gegner dieses Weltbild in ihre Schlachtordnung übernommen.

Barack Obama hämmerte in der Nacht zu Donnerstag Millionen Zuhörerinnen und Zuhörern an Fernseh- und Mobilgeräten erneut die Botschaft in die Ohren, mit der seine Frau Michelle den Parteitag am Montag eröffnet hatte: Trump sei charakterlich ungeeignet, die USA zu führen. Er bemühe sich nicht einmal, die Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden. Er sei „unfit to be President“.

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Noch nie in der jüngeren US-Geschichte hat ein Ex-Präsident seinen Nachfolger auf dem Parteitag so hart angegriffen. Freilich hatte Trump auch hier mit dem Traditionsbruch vorgelegt: Nie zuvor hat ein Amtsinhaber die Politik seines Vorgängers so regelmäßig verdammt und es zum Prinzip erhoben, alle Errungenschaften rückgängig zu machen.

Hillary Clinton: Nicht noch einmal "Hätte, wäre, könnte" wie 2016

Es gehe ums Überleben, sagt Obama – ums Überleben von Menschen beim Corona-Management. Und ums Überleben der amerikanischen Demokratie. Trump deutet immer wieder an, er werde eine Niederlage eventuell nicht akzeptieren. Ähnlich existenziell stellt Hillary Clinton die Lage dar und appellierte leidenschaftlich: Wiederholt nicht die Fehler von 2016!

Hillary Clinton warnt: Keine zweites "Hätte, wäre, könnte" wie 2016.
Hillary Clinton warnt: Keine zweites "Hätte, wäre, könnte" wie 2016.

© Democratic National Convention/dpa

Wie oft habe sie in rückblickenden Gesprächen über Trumps überraschenden Sieg 2016 gehört: Hätten wir ihn doch ernst genommen. Wäre ich doch zur Wahl gegangen. Könnten wir doch die Zeit zurückdrehen. Dies dürfe keine zweite „Hätte, wäre, könnte“-Wahl werden.

Und die Sachthemen, das Wahlprogramm, die Frage nach Geschlossenheit oder Flügelspaltung der Demokraten? Spielen die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Lagern keine Rolle mehr: Pandemiebekämpfung, Krankenversicherung, Polizeigewalt, Rassismus, Konjunkturprogramme, Steuersätze? Geht es nur noch um die Frage, welche Person das Land führt?

Kamala Harris: Die USA an einem Wendepunkt der Geschichte.
Kamala Harris: Die USA an einem Wendepunkt der Geschichte.

© Democratic National Convention/AFP

Man darf jedenfalls staunen, in welchem Maße sich die Entscheidung auf ein Plebiszit über Trump reduziert. Auch Kamala Harris sprach in ihrer Rede von einem „Inflection Point“: Die USA stehen an einem Wendepunkt der Geschichte.

Die Demokraten überdecken Risiken, statt sie offen anzugehen

Andere Aspekte werden gnadenlos an den Rand gedrängt, obwohl sie keineswegs befriedet sind. Sie können die Siegchancen der Demokraten gefährden, wenn sie sie nicht überzeugend ansprechen, und Trump zur Wiederwahl verhelfen.

Risiko eins: Hat Biden den linken Flügel um Bernie Sanders, Elizabeth Warren und die Jungsozialistin Alexandria Ocasio-Cortez effektiv eingebunden? Oder gilt umgekehrt, was Sanders auf dem Parteitag sagte: Er habe Biden ein linkes Wahlprogramm abgerungen, als Preis für seine Unterstützung. Das könnte Wechselwähler zu Trump treiben.

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Risiko zwei: Radikalisieren sich Protestbewegungen wie Black Lives Matter und werden die US-Bürger den 75 Tagen bis zur Wahl Bilder von Angriffen auf Polizisten, Plünderungen und brennenden Innenstädten sehen? Dann empfiehlt sich Trump als Garant von „Law and Order“.

Risiko drei: Die Hauptsorgen der Amerikaner drehen sich um Corona, die Rezession und die Gesundheitsversorgung. Wenn die Infiziertenzahlen sinken, nützt es Trump. Wenn die Konjunktur trotz Pandemie wieder anspringt, ebenfalls. Und es schadet den Demokraten, wenn Trump sie als eine Partei hinstellt, die geradezu darauf hofft, dass die Lage schlecht bleibt und die Bürger leiden, weil dann ihre Wahlchancen steigen.

Trumps Gelegenheiten zur Wende: Sein Parteitag und die TV-Debatten

Risiko vier: Auf den Parteitag der Demokraten folgt direkt die Convention der Republikaner. Das nationale Megaphon wandert von Team Biden zu Team Trump – und damit die Definitionsmacht über die Lage der Nation. Trump wird die Gelegenheit nutzen, um all die Zweifel zu beleben, die die Demokraten nur oberflächlich zugedeckt haben.

Donald Trump hat die Wahl noch nicht verloren. Sein Parteitag beginnt nächsten Montag.
Donald Trump hat die Wahl noch nicht verloren. Sein Parteitag beginnt nächsten Montag.

© Evan Vucci/AP/dpa

Es folgen drei TV-Debatten, in denen Trump weiter angreift und Biden riskiert, ziemlich alt und vergleichsweise kraftlos zu wirken. Die vitale Kamala Harris steht erst in der zweiten Reihe. Und sie hat nur eine TV-Debatte gegen Trumps Vize Mike Pence.

Die aktuelle Pro-Biden-Stimmung muss nicht kippen. Aber sie kann kippen.

Überraschung bei den Einschaltquoten: Im TV sinken sie

Denn parallel lassen die ersten Erkenntnisse über die Einschaltquoten beim ersten virtuellen Parteitag der US-Geschichte vermuten, dass vor allem die längst überzeugten Fans des eigenen Lagers zugeschaut haben. Die Zuschauerzahl bei den drei klassischen Breitensendern ABC, CBS und NBC sind gegenüber 2016 um 48 Prozent gesunken. Nimmt man die Einschaltquoten der Nachrichtensender hinzu, sieht das Bild etwas besser aus: minus 25 Prozent gegenüber 2016.

Der große Gewinner hier war beim Parteitag der Demokraten der linke Sender MSNBC. Bei den Republikanern wird es vermutlich Fox sein. Also der Linksaußen-Sender der Nation bei den Demokraten und der Rechtsaußen-Sender bei den Republikanern. Und die Mitte? Die schaut nicht so gerne zu bei der Parteipolitik.

Hohe Zuwächse bei den Internet-Zuschauern

Mehr als wettgemacht werden die gesunkenen Zahlen der Fernsehzuschauer durch jene, die den Parteitag via Internet direkt auf der Plattform der Demokratischen Partei verfolgten: eine nahezu Verdreifachung von rund zehn Millionen 2016 auf 29 Millionen 2020 nach Angaben der Organisatoren. Hier fehlen allerdings Bestätigungen durch unabhängige Institutionen, die die „Ratings“ messen wie im Fernsehen. Doch auch das sind wohl überdurchschnittlich interessierte Fans des Lagers.

Was die breite Masse, die weder Nachrichtensender guckt noch per Internetfeed Parteitage verfolgt, über die Wahl und deren Inszenierung als Plebiszit über Trump denkt, kann man weiterhin nur mutmaßen an Hand der klassischen Meinungsumfragen. So gilt 75 Tage vor der Wahl unverändert: Trump steht vor der Herausforderung, die Pro-Biden-Stimmung zu drehen.

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