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Justin Trudeau (46) ist seit November 2015 Premierminister Kanadas.

© Hector Retamal/AFP

Kanadas Premier Trudeau: "Wir antworten auf tatsächliches Handeln der USA"

Die G 7 treffen sich am 8. Juni in Kanada. Der gastgebende Premier Justin Trudeau spricht im Interview über die Probleme mit Trump, Merkel und seine eigene Rolle.

Herr Premierminister Trudeau, in Kürze heißen Sie die G-7-Regierungschefs willkommen. Warum wählten Sie das Charlevoix am St.-Lorenz-Strom als Ort des G-7-Gipfels?

Ich freue mich darauf, meinen G-7-Freunden einen wunderschönen Landstrich Kanadas und meiner Heimatprovinz zu zeigen. Das Charlevoix ist zudem ein außerordentlich warmherziger und gastfreundlicher Ort, zu dem man gerne die besten Gäste bringt. Ich weiß, dass die Menschen im Charlevoix wunderbar sind.

Sie haben eine breit gefächerte Agenda, von Gleichberechtigung zu Wirtschaftswachstum, Klimawandel und Meeresschutz. Was wollen Sie als G-7-Gastgeber erreichen?

Die G-7-Gruppe bildete sich aus wirtschaftlichen Gründen. Wir haben weitgehend ähnliche Werte und Ansätze für unsere Volkswirtschaften. Aus meiner Sicht stehen wir gemeinsam einem singulären wirtschaftlichen Problem gegenüber: dass sich große Teile unserer Bevölkerung nicht an Fortschritt, Wachstum und Chancen, die unsere Gesellschaften bieten, beteiligt sehen und sich um ihre und ihrer Kinder Zukunft sorgen. Als entwickelte Volkswirtschaften stehen wir vor der Herausforderung, wie wir diese Ängsten begegnen. Jeder von uns wurde mit der Verpflichtung gewählt, den Menschen zu helfen, Erfolg zu haben. Dazu gibt es verschiedene Ansätze, aber auch die Möglichkeit zu zeigen, was Kanada getan hat. Im vergangenen Jahr hatten wir die höchste Wachstumsrate der G7. Wir haben die Steuern für die Mittelklasse gesenkt und für das reichste eine Prozent der Bevölkerung erhöht. Wir unterstützen Familien mit Kindern. Aber wir unterzeichneten auch Freihandelsabkommen. Kanada ist das einzige G-7-Land, das mit allen anderen G-7-Ländern Freihandelsabkommen hat. Wir haben dies zu einem Zeitpunkt getan, zu dem Welthandel vielfach infrage gestellt wird.

Sie sprechen von gemeinsamen Werten. Die G7 wurde geschaffen, um Zusammenarbeit und Multilateralismus zu stärken. Nun haben wir mit den USA einen Partner, der sich aus internationalen Verpflichtungen zurückzieht und gegen Multilateralismus ist. Welche Rolle kann die G7 in dieser Lage spielen?

Beim letzten G-7-Gipfel in Taormina sahen wir, dass es Raum gibt für sehr substanzielle Gespräche über gemeinsame Probleme. Wir haben ähnliche Herausforderungen. Manchmal sind die Politikrezepte und Lösungen unterschiedlich, aber es gibt immer Möglichkeiten, gemeinsame Grundlagen zu finden. Das machen wir mit den Nafta-Verhandlungen (mit den USA und Mexiko, Anm. der Red.): etwas erreichen, was für jedes unserer drei Länder ein Gewinn ist.

Die G7 ist ein „gespaltenes Pack“, wie eine kanadische Zeitung schreibt. Sind wir in der Endphase der G7, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, mit Russland und China als lachenden Dritten?

Nein. Ich glaube, dass die gemeinsamen Herausforderungen, aber auch die Möglichkeit, als G-7-Nationen offen über diese Herausforderungen zu sprechen und uns über Lösungsmöglichkeiten auszutauschen, bedeutet, dass es immer eine wichtige Rolle für die G7 gibt, insbesondere da wir dieses gemeinsame Problem haben: Wie können wir sicherstellen, dass unsere Volkswirtschaften für alle arbeiten? Dies möchte jeder Regierungschef der G7 für sein Land.

Handel ist immer ein wichtiges Thema für Sie und die G7. Es klingt aber oft so, als seien Europa, Kanada und Mexiko für die USA jetzt eher Feinde denn Partner. Fürchten Sie einen Handelskrieg zwischen der EU und Kanada auf der einen und den USA auf der anderen Seite? Wir haben nur wenige Wochen, um Probleme wie die Strafzölle auf Stahl und Aluminium und Nafta zu lösen…

Ich habe im vergangenen Jahr beim Umgang mit dieser US-Regierung deutlich gemacht, dass wir nicht auf Rhetorik oder Absichten antworten. Wir antworten auf tatsächliches Handeln. Ungeachtet einiger Rhetorik haben wir mit den USA an konkreten Ergebnissen im Interesse unserer Länder arbeiten können und wir werden weiter auf ein Nafta-Abkommen hinarbeiten. Es gibt vieles, wobei ich mit dem Präsidenten nicht übereinstimme. Aber bei dem Thema, die Wirtschaft zum Wohle aller Bürger wachsen zu lassen, teilen wir den gleichen Ansatz.

Die Iran-Entscheidung Donald Trumps zeigt aber, dass er nicht auf Macron, Merkel und May hört, die ihn zu überzeugen versuchten, am Iran-Abkommen festzuhalten. Hier ist ein Riss zwischen den Alliierten. Wie wollen Sie diesen Graben zwischen den Verbündeten in Europa und den USA überbrücken und eine Situation „Sechs gegen einen“ beim G-7-Gipfel vermeiden?

Natürlich sind wir auch enttäuscht über die Entscheidung, dass sich die USA aus JCPOA (Anm. der Redaktion: das Nuklearabkommen mit Iran) zurückziehen. Es ist wichtig, dass wir uns weiter darauf konzentrieren zu verhindern, dass Iran Nuklearwaffen entwickelt. Das Abkommen, obwohl nicht perfekt, ist sicherlich ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Wir werden weiter mit allen unseren internationalen Verbündeten zusammenarbeiten und versuchen sicherzustellen, dass das Abkommen weiter angewendet wird. Aber Länder haben das Recht, ihre eigene Entscheidung zu treffen, was in ihrem Interesse ist. Kanada stand immer für die Verhinderung nuklearer Bewaffnung und wir werden weiter argumentieren, dass es besser ist, zusammenzuarbeiten, als Dinge einzureißen. Dies wird weiter ein Thema der Diskussion sein. Die G7 ist angelegt, ehrliche und offene Gespräche unter Partnern zu haben, die in vielen Dingen übereinstimmen und in einigen Dingen anerkennen, verschiedener Meinung zu sein. Dieses Forum zu haben, in dem wir unverfälscht und umfassend unsere Differenzen und unsere Hoffnungen, zusammenzuarbeiten, erörtern, ist in dieser Welt sehr nützlich.

Die G7 ist also nicht irrelevant?

Nein, das ist sie nicht.

Sprachen Sie mit Donald Trump kürzlich über Iran?

Nein, unsere jüngsten Gespräche drehten sich sehr stark um Handel und Nafta. Aber wir haben regelmäßig Gespräche über Sicherheit und ich spreche diese Themen auch an.

Haben Sie Hoffnung, Probleme wie Nafta und den Konflikt um Strafzölle auf Stahl und Aluminium bald zu lösen?

Wir arbeiten weiter hart daran. Wir bleiben optimistisch. Die Frage ist, dies zur rechten Zeit und auf richtige Weise zu erreichen. Die USA haben einige Initiativen vorgelegt, von denen wir glauben, dass sie schlecht sind für Kanada, aber wahrscheinlich auch für die USA. Wir setzen uns weiter für Kanadas Interessen ein und glauben, dass es möglich ist, ein Win-win-win-Ergebnis zu erzielen.

In Europa herrscht Sorge über diesen Konflikt mit den USA, diese Androhung von Strafzöllen und Gegenmaßnahmen. Fürchten Sie, dass das eskalieren könnte, und was wollen Sie auf dem G-7-Gipfel tun, um dies zu verhindern?

Wir werden sehen, was von jetzt an bis zum G-7-Gipfel passiert. Wir arbeiten hart daran, dass wir uns bei Nafta und möglicherweise auch der Frage von Zöllen und Quoten bei Aluminium und Stahl einigen. Das ist eine Frage auch für die Europäische Union. Es gibt ständig neue Entwicklungen. Natürlich wird Handel ein Thema bei den Unterredungen auf dem G-7-Gipfel sein.

Wie positionieren Sie Kanada in diesen Konflikten zwischen den USA und den europäischen Partnern in dieser transatlantischen Partnerschaft, die jetzt schwer beschädigt zu sein scheint? Welche Rolle kann Kanada spielen?

Ich glaube nicht, dass ich da so schwarzsehen würde wie Sie, dass die transatlantische Partnerschaft beschädigt ist. Das Bekenntnis der USA zur Nato und zum Engagement in Fragen, die weltweit Bedeutung haben, besteht fort. Es ist nicht so, wie wir es gewohnt waren, aber es gibt immer Möglichkeiten, zusammenzuarbeiten und positive Ansätze zu entwickeln. Kanada bemüht sich immer darum, gemeinsame Grundlagen zu finden.

Viele europäische Politiker und Länder sehen Sie und Kanada als natürlichen Verbündeten Europas. Wird der G-7-Gipfel dies zeigen, eine Kanada-EU-Partnerschaft und Allianz bei wichtigen internationalen Themen wie Freihandel, Frieden und Sicherheit, UN und Multilateralismus, vielleicht auch als Gegengewicht zu dem, was wir von südlich der Grenze hören?

Kanada hat in diesem Jahr die Präsidentschaft der G7. Unsere Prioritäten stehen im Zentrum der G7 und unsere Prioritäten sind Frieden und Stabilität in der Welt, Wirtschaftswachstum für alle, Schutz der Ozeane und der Umwelt, und wie wir sicherstellen, dass Frauen die Möglichkeit zu Teilnahme (in Wirtschaft und Gesellschaft, Erg. der Red.) und Erfolg haben. Dies ist wichtig für Kanada, aber auch für alle G-7-Länder. Wir werden uns nicht darauf fokussieren, Menschen in Lager aufzuteilen, sondern sie bei Themen zusammenzubringen, bei denen wir uns einigen können.

In ihren ersten beiden Jahren als Premierminister war die deutsche Kanzlerin ein enger Partner bei vielen Themen wie Klimawandel und Freihandel. Und lange Zeit war sie eine treibende Kraft bei der Stärkung Europas. Diese Rolle scheint Emmanuel Macron übernommen zu haben. Was erwarten Sie von der Kanzlerin und von Macron, nicht nur auf dem G-7-Gipfel, sondern in Europa? Sie haben oft darüber gesprochen, dass Kanada ein starkes und geeintes Europa wünscht…

Meine Arbeitsbeziehung und Freundschaft mit Angela war immer stark und ich setze weiter auf ihre Führung, die sie immer gezeigt hat. Ich äußere mich nicht zu den internen Sichtweisen in Deutschland, aber aus meiner Sicht, von einem internationalen Standpunkt, ist sie weiter eine höchst glaubwürdige und äußerst wichtige Stimme bei der Förderung von Sicherheit, Stabilität und Fortschritt in der multilateralen Weltordnung. Sie wird weiter diese wichtige Stimme am Tisch sein und eine Verbündete bei all den Dingen, an die wir glauben.

Russland steht nun seit Jahren außerhalb der G7. Sehen Sie einen Weg zurück an den Tisch für Russland? Haben Sie daran gedacht, Präsident Putin zu diesem Gipfel oder zu einem Treffen mit den G-7-Mitgliedern am Rande des Gipfels einzuladen?

Nein, das ist keine Diskussion, die wir jetzt hatten. Es ist klar, dass die Stärke der G7 an Ländern liegt, die weitgehend gleichgerichtet sind bei ihren Werten, Perspektiven, Herausforderungen und demokratischen Prinzipien. Und sieben von uns stehen sich sehr nahe und Russland schlichtweg nicht.

Sie sehen also weiter diese Einigkeit bei Werten und gemeinsame Grundlagen?

Jedes demokratische Land geht durch Phasen des Wandels von Regierungen und Politiken. Aber die Bürger bleiben. Ob wir über Amerikaner, französische Bürger, Deutsche, Briten, Japaner oder Kanadier sprechen, es gibt viel mehr Dinge, in denen wir uns ähnlich sind, als Dinge, die uns unterscheiden oder die selbst unsere politischen Führungskräfte unterscheiden. Und wenn wir uns darauf konzentrieren, was den Interessen unserer Bürger in den G-7-Ländern nützt, finden wir unglaubliches Potenzial für Zusammenarbeit. Das heißt nicht, dass wir immer bei allem einer Meinung sind, bei Weitem nicht. Aber es bedeutet, dass wir immer noch genug gemeinsame Grundlagen finden, um Chancen für unsere Bürger zu schaffen und ihren Ängsten entgegenzutreten.

Und Sie sehen in den USA und Donald Trump einen glaubwürdigen Partner in all diesen Aufgaben auf der internationalen Bühne?

Ich glaube, dass die USA aufgrund ihrer ökonomischen Macht und ihres Einflusses, die sie haben, immer ein Partner sein werden, auf den wir setzen müssen und mit dem wir versuchen müssen, erfolgreich zusammenzuarbeiten, zu unserem eigenen Nutzen und zum Nutzen der globalen Wirtschaft.

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