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Gesundheitsminister Jens Spahn will CDU-Vorsitzender werden. Er hat wenig Chancen, aber er nutzt sie.

© AFP

Kampf um den CDU-Vorsitz: Jens Spahns Kalkül im Streit um UN-Migrationspakt

Mit seiner Forderung, den Migrationspakt auf dem CDU-Parteitag zu diskutieren, stellt sich Jens Spahn fast gegen die gesamte Unionsfraktion. Warum macht er das?

Von Robert Birnbaum

Es gab eine Zeit, da waren Jens Spahn und Alexander Dobrindt in Sachen Flüchtlingspolitik so ziemlich Herz und Seele. Aber im Moment und in Sachen UN-Migrationspakt laufen die Interessen des Kandidaten um den CDU-Vorsitz und des CSU-Landesgruppenchefs doch deutlich auseinander. Spahns Forderung, die Entscheidung der Bundesregierung von einem Votum des CDU-Parteitags abhängig zu machen, mag Dobrindt für seine Partei jedenfalls nicht übernehmen. Debatte ja, die sei notwendig, aber: „Man braucht jetzt für einen UN-Compact, der keine Verbindlichkeit hat, keinen Parteitag“, sagt der Chef der CSU-Abgeordneten am Dienstag in Berlin.

Tatsächlich reicht die Differenz noch deutlich weiter. Dobrindt verteidigt den Pakt auch inhaltlich und wirft Kritikern Populismus vor und das Operieren mit „falschen Wahrheiten“.

Nicht jeder Satz in dem Vertragswerk entspreche der „reinen CSU-Lehre“; aber in der Abwägung überwiege ein „höchstes Interesse“ Deutschlands daran, dass über Migration auf internationaler Ebene gesprochen werde. Der Pakt beschreibe die Verantwortung von Herkunfts- und Transitländern, fordere Zugang zu medizinischer Versorgung und Arbeit und die Bereitschaft zur Rücknahme geflüchteter Staatsbürger, kurz: der „Kernsinn“ der Vereinbarung bestehe darin, illegale Migration zu reduzieren und legale zu ermöglichen. Aber weder zwinge er Länder zu Rechtsänderungen noch müsse sich Deutschland etwas vorhalten lassen: Was da für den Umgang mit Migranten gefordert werde, sei hierzulande längst real.

Die Unionsfraktion hatte ausführlich debattiert

Dieser Sichtweise hatte sich schon vor zwei Wochen die gesamte Unionsfraktion angeschlossen, nach einer sehr ausführlichen Debatte. In der nächsten Sitzungswoche des Bundestages soll der Pakt im Plenum zur Sprache kommen, auch wenn das Parlament ihm – eben weil er rechtlich unverbindlich ist – nicht zustimmen muss. Die Fraktionsführung der Union bereitet einen Entschließungsantrag vor, der der Argumentationslinie folgt, die Dobrindt vortrug: Jeder Schritt, den ein Herkunfts- oder Transitland in Richtung auf die Ziele des UN-Pakts übernehme, erhöhe nicht den Migrationsdruck, sondern helfe ihn zu reduzieren.

Das Problem bleibt freilich, dass die AfD mit einer regelrechten Kampagne gegen den Pakt vorgeht und, weil die anderen allesamt geschlafen haben, darin mehrere Wochen Vorsprung hat. Beinahe täglich steigen Staaten mit rechtspopulistisch geprägten Regierungen aus dem Pakt aus.

Dazu kommt, dass sich auch in der Union einige querstellen. Dobrindts Vor-Vorgänger Peter Ramsauer, heute Vorsitzender des Entwicklungsausschusses, hat behauptet, der Pakt öffne der Zuwanderung „Tür und Tor“. Einzelne CDU-Verbände laufen Sturm und fordern ein Votum des Parteitags, der Anfang Dezember wenige Tage vor der Verabschiedung des UN-Dokuments stattfindet.

Und dann bleibt noch Jens Spahn. Seit Friedrich Merz’ Auferstehung ist der ehrgeizige Minister im CDU-Rennen ins Hintertreffen geraten. Das verbreitete Unbehagen über den Migrationspakt versucht er erkennbar zu nutzen, um die eigenen Chancen aufzubessern. Seine alte Jungs-Gang springt ihm bei: Der Mittelstandspolitiker Carsten Linnemann und Thüringens CDU-Chef Mike Mohring fordern ebenfalls eine Parteitagsdebatte. Mit welchem Ziel, bleibt aber seltsam unscharf.

Auch Spahns jüngste Einlassung im Magazin „Cicero“ macht nichts klarer. „Solange dieses Thema gemeinsam mit der Bevölkerung nicht geklärt ist, sollten wir diesem Pakt auch nicht zustimmen“, fordert er. Wie so eine Klärung auch nur theoretisch vor sich gehen soll, sagt er nicht. Ob er den Pakt gut oder schlecht findet, verschweigt er ebenfalls.

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