zum Hauptinhalt
Minderheit in der Türkei: Kurden bei einer Beerdigung von getöteten Kämpfern nahe Kobane.

© dpa

Kampf gegen den "Islamischen Staat": Türkisches Militär bombardiert PKK - und nicht den IS

Türkische Kampfflugzeuge haben Stellungen von Kurden-Rebellen im Südosten des Landes bombardiert. Der Friedenprozess steht damit vor dem Aus. Und die Terrormiliz "Islamischer Staat" geht weiter gegen Kobane vor.

Armee und PKK-Rebellen in der Türkei haben sich die ersten ernsthaften militärischen Auseinandersetzungen seit zwei Jahren geliefert: Soldaten gingen gegen PKK-Stellungen in Südostanatolien vor. Der Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der PKK steht damit auf der Kippe. Dennoch signalisierte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu eine harte Haltung gegenüber den jüngsten Kurdenprostesten und lehnte auch ein Eingreifen in der umkämpften nordsyrischen Stadt Kobane erneut ab.

Der türkische Generalstab teilte am Dienstag mit, PKK-Trupps hätten einen Stützpunkt in der Provinz Hakkari nahe der Grenzen zu Irak und Iran angegriffen. Die Armee habe das Feuer erwidert und die "Terroristen zum Schweigen gebracht". Nach türkischen Medienberichten und Angaben der PKK startete die Türkei auch Luftangriffe gegen die Rebellen in Hakkari, was von den türkischen Behörden aber zunächst nicht bestätigt wurde. 

Die Tatsache, dass die Türkei ihre Armee im eigenen Land gegen die kurdische PKK einsetzt, Angriffe auf den "Islamischen Staat" (IS) zugunsten der kurdischen Verteidiger von Kobane jedoch ablehnt, dürfte die Kritik an Ankara weiter anfachen, kommentierte der in London lebende Türkei-Experte Ziya Meral auf Twitter. Möglicherweise habe die PKK die türkischen Militärschläge sogar provozieren wollen, um die Türkei "in die Ecke zu drängen", fügte Meral hinzu. Schon vergangene Woche soll die PKK im südosttürkischen Kurdengebiet zwei Polizisten getötet haben.

200.000 Flüchtlinge aus dem Großraum Kobane

Damit kehrt die Gewalt zurück ins Kurdengebiet. Der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan rief im Rahmen seiner 2012 begonnenen Friedensgespräche mit der türkischen Regierung im Frühling vergangenen Jahres eine Waffenruhe aus, worauf die Kämpfe in Südostanatolien weitgehend eingestellt wurden. Zum ersten Mal seit Beginn des PKK-Aufstandes vor 30 Jahren gab es Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden – eine historische Chance.

Doch der Friedensprozess brachte bisher keinen entscheidenden Durchbruch, und die Schlacht um Kobane verschlechterte die Stimmung in den vergangenen Wochen weiter. Die Türkei hat zwar fast 200.000 Flüchtlinge aus dem Großraum Kobane aufgenommen, will den Kurden in der vom IS belagerten Stadt aber nicht militärisch helfen, weil sie eine Stärkung der PKK und ihres syrischen Ablegers PYD befürchtet. Im In- und Ausland löst diese Haltung Verärgerung aus. Bei Kurdenprotesten gegen die Syrien-Politik Ankaras starben vergangene Woche in der Türkei fast 40 Menschen.

Der Kampf um Kobane entzweit Türken und Kurden.
Der Kampf um Kobane entzweit Türken und Kurden.

© AFP

Öcalan erhöhte den Druck, indem er konkrete Schritte Ankaras zur Rettung der Verhandlungen forderte. Der PKK-Chef setzte der türkischen Regierung eine Frist bis zu diesem Mittwoch, doch statt Versöhnungsgesten gab es die Gefechte in Hakkari. Noch bekennen sich beide Seiten zum Friedensprozess. Am Montag ließ die Regierung der Kurdenpartei HDP die Eckpunkte eines Fahrplans für den weiteren Verlauf der Friedensgespräche zukommen. Ziel der Verhandlungen ist eine endgültige Entwaffnung der PKK bei gleichzeitiger Stärkung kurdischer Rechte. Auch die HDP erklärte, trotz der tödlichen Unruhen der vergangenen Tage werde weiter verhandelt.

Kompromisslose Linie gegenüber den Kurden

Gleichzeitig setzen Davutoglu und Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Blick auf nationalistische Wähler und die Parlamentswahl im nächsten Jahr auf eine kompromisslose Linie gegenüber den Kurdenprotesten. Für jeden zerstörten Wasserwerfer der Polizei würden fünf oder zehn neue angeschafft, sagte Davutoglu am Dienstag. Seine Regierung arbeitet an einer Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts, um Kundgebungen leichter unterbinden zu können. Erdogan sagte, mit den Neuregelungen würden die "Straßen von Vandalen gesäubert". 

Auch mit Blick auf Kobane will Davutoglu hart bleiben. Sein Land werde sich keinem ausländischen Druck beugen, sagte er. Entscheidungen über das türkische Vorgehen würden in Ankara gefällt, betonte er in Anspielung auf die Erklärung der US-Regierung, wonach die Türkei ihre Luftwaffenstützpunkte für Angriffe auf den IS bereitstellt. Davutoglu hatte dies dementieren lassen.

Davutoglus Haltung zu Kobane traf auf harte Kritik der Kurden. Wenn die türkische Regierung angesichts der "Barbarei" des IS in Kobane weiter so tue, als ginge sie das Leid der syrischen Kurden nichts an, dann sei sie "nicht mehr unsere Regierung", sagte HDP-Chef Selahattin Demirtas. Er warf der Regierung erneut vor, den IS mit Waffen zu versorgen.

Ein Appell zur Zurückhaltung kam ausgerechnet von PKK-Chef Öcalan. In einer von Demirtas verlesenen Botschaft forderte er die HDP auf, weiter das Gespräch mit der Regierung zu suchen. Gleichzeitig müsse die Regierung schleunigst etwas Substanzielles für den Friedensprozess tun. Ob Öcalans Aufrufe beachtet werden, ist aber unsicher.

"Islamischer Staat" wieder auf dem Vormarsch

Seit Wochen bombardiert eine US-geführte Allianz IS-Stellungen, zunächst im Irak, inzwischen aber auch in Syrien. Dennoch eroberten die Extremisten am Montag ein Schlüsselgebäude in der Stadtmitte von Kobane und trieben die kurdischen Verteidiger in die Nordhälfte der Stadt, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Die IS-Milizionäre hätten sich vom Osten vorgekämpft und kontrollierten nun die Hälfte der einstigen Kurdenmetropole, sagte der Leiter der Beobachstungsstelle, Rami Abdel Rahman.

Ein AFP-Reporter berichtete am Montag von der Detonation von zwei Autobomben im Norden der Stadt. Sollte der IS den letzten Fluchtweg aus Kobane zum türkischen Grenzübergang Mursitpinar erobern, wäre die Stadt vollständig eingekesselt. "Dann werden sie ein Massaker starten", sagte Fejsa Abdi, ein Politiker, der aus Kobane in die Türkei geflüchtet ist.

US-Präsident Barack Obama will im Laufe des Tages auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews in der Nähe von Washington mit ranghohen Militärs der 21 Allianz-Länder über den Kampf gegen den IS beraten - zum ersten Mal seit dem Start der Angriffe gegen die Dschihadistengruppe. Viele Länder schicken ihre Generalstabschefs, auch Deutschland ist vertreten. Obama bringt seinerseits unter anderem Generalstabschef Martin Dempsey zu dem Treffen mit. Trotz der Luftangriffe konnten die Extremisten auch im Irak bislang nicht erfolgreich bekämpft werden. (mit AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false