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Gefallen im Krieg gegen den IS. Eine kurdische Kämpferin der „Volksverteidigungseinheiten“ gibt einem Kameraden das letzte Geleit.

© Delil Souleiman/AFP

Kampf gegen den IS: Warum die Dschihadisten vom Syrien-Feldzug der Türkei profitieren

Syriens Kurden wollen die Region Afrin gegen die Türkei verteidigen. Deshalb verlegen sie Einheiten dorthin. Das zwingt die USA zu einer Pause im Anti-IS-Kampf.

Es ist noch nicht lange her, da herrschte bei der US-Armeeführung große Zuversicht. Der „Islamische Staat“sei schon bald militärisch besiegt, das „Kalifat“ damit am Ende. Aus dem Irak habe man die die Terrormiliz bereits fast vollständig vertrieben, in Syrien kontrollierten die Dschihadisten allenfalls noch kleinere Gebiete.

Das Problem der „Gotteskrieger“ in der Region werde sich rasch erledigt haben. Doch von diesem Ziel muss Washington nun wohl Abstand nehmen, zumindest vorerst. Der Feldzug der Türkei gegen Nordsyriens Kurden durchkreuzt Washingtons Pläne.

Denn immer mehr kurdische und arabische Kämpfer – die als unentbehrliche, weil mit Abstand schlagkräftigste Verbündete im Einsatz gegen die Islamisten gelten – verlassen das Anti-IS-Bündnis. Sie wollen sich lieber in der Enklave Afrin Ankaras Truppen entgegenstellen.

Was erhebliche Folgen hat: Vor wenigen Tagen gab das US-Verteidigungsministerium etwas kleinlaut bekannt, gezwungenermaßen müsse im Einsatz gegen den „Islamischen Staat“ eine „operative Pause“ eingelegt werden. Mit anderen Worten: Das Ende des IS lässt auf sich warten.

Fanatiker mit Bewegungsfreiheit

Vielmehr profitieren die Dschihadisten von Ankaras Krieg gegen die Kurden. Denn er gewährt den Fanatikern Bewegungsfreiheit, die sie offenbar nutzen. Die Extremisten sollen Angriffe auf Einheiten der „Demokratischen Kräfte Syriens“ (SDF) vorbereiten, die wohl bedeutendste Anti-IS-Allianz. Dies erfuhr der Tagesspiegel von christlich-arabischen Beobachtern in Ostsyrien.

Dass die Islamisten sich dazu in der Lage fühlen, kommt nicht von ungefähr: Erst vor wenigen Tagen sollen 1000 Männer der „Armee der Revolutionäre“ (Dschaisch al Thuwaraus) der Region um das ostsyrische Deir Essor ins kurdische Afrin aufgebrochen sein. Aus den einstigen, inzwischen befreiten IS-„Hauptstadt“ Rakka werden ebenfalls Kämpfer abgezogen.

Kurden verlieren auf dem Schlachtfeld an Boden

Die mehrheitlich arabische „Armee der Revolutionäre“ gehörte im Bürgerkrieg lange zur Freien Syrischen Armee (FSA), die sich unter dem Druck der Türkei später spaltete. Der islamistische Flügel der FSA kämpft inzwischen zusammen mit tschetschenischen Brigaden, der salafistischen Nusra-Front und Ankaras Armee gegen die Kurden in Afrin. Vor allem die dort aktive Kurdenmiliz YPG („Volksverteidigungseinheiten“) braucht dringend Unterstützung gegen die technisch und zahlenmäßig überlegenen Angreifer.

Denn die kurdischen Einheiten verlieren immer mehr an Boden gegenüber der türkischen Armee und deren Milizen. In der vergangenen Woche verlegte Ankara 600 Mann starke Spezialeinheiten von Armee und Polizei in die Grenzregion. Sie sind ausgebildet für und erfahren im Häuserkampf. Auch aus diesem Grund will die YPG dem Vernehmen nach am Wochenende wieder Verbände von Deir Essor nach Afrin verlegen.

Auf Kommando. Erdogan wirbt bei einer Veranstaltung für den Krieg gegen die Kurden in Syrien.
Auf Kommando. Erdogan wirbt bei einer Veranstaltung für den Krieg gegen die Kurden in Syrien.

© imago/Depo Photos

Das ruft die Führung in Ankara auf den Plan. Die USA als Verbündete der Kurden müssten dieses Vorhaben verhindern, fordert die Türkei. Washington lehnt das zwar ab. Zugleich wollen die USA aber der YPG in Afrin nicht zur Seite stehen – um es sich nicht endgültig mit dem Nato-Partner Türkei zu verderben. Für Nordsyriens Kurden kommt Amerikas Haltung einem Verrat gleich.

In ihrer Verzweiflung haben sie vor einiger Zeit ausgerechnet Syriens Machthaber Baschar al Assad um Hilfe gebeten. Doch die auch von den Kurden verächtlich „Regime“ genannte Zentralregierung verlangt von der YPG jetzt deutliche Distanz zu den USA. Dies könnte sogar sehr schnell der Fall sein.

Denn die Türkei plant offenbar nun auch noch gemeinsam mit der schiitischen Regierung in Bagdad eine Militäroffensive gegen Kurden im Irak. Die gemeinsame Aktion könne nach der irakischen Parlamentswahl im Mai starten, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu kürzlich dem Sender CNN Türk.

Bodentruppen kommen abhanden

Seit Jahren greifen türkische Truppen dort – mal mit, mal ohne Bagdads Segen – kurdische Stellungen an. Die von der Türkei, den USA und der EU als Terrororganisation eingestufte Kurdische Arbeiterpartei PKK unterhält Lager im nordirakischen Kandil-Gebirge. Ankara betrachtet die PKK als Hauptfeind, auch die YPG in Syrien zählt die Türkei dazu.

Doch nicht nur die PKK, sondern auch die überwiegend konservativen, einst proamerikanischen Kurden in Nordirak fürchten die arabisch-schiitische Zentralregierung in Bagdad, zumal sie offenbar zusammen mit Ankaras Armee vorzugehen beabsichtigt. Beobachter erwarten deshalb, dass sich auch jene Kurden, die der YPG und PKK bislang kritisch gegenüberstanden, künftig von den USA abwenden könnten. Dem einstigen Unterstützer der Kurden könnten im Kampf gegen die Islamisten so die wichtigen Bodentruppen abhandenkommen.

IS formiert sich neu

Das alles kommt vor allem dem IS zupass. Schon immer hat die Terrormiliz es verstanden, von der Uneinigkeit seiner Feinde, Zerfall und Chaos zu profitieren. Das könnte sich nun wiederholen. Berichten zufolge haben die Dschihadisten den nachlassenden militärischen Druck genutzt, um sich neu zu formieren – auch die Zahl der US-Luftangriffe soll merklich zurückgegangen sein.

Vor allem im Norden des irakisch-syrischen Grenzgebiets sind die religiösen Fundamentalisten nach wie vor präsent, auch wenn offizielle irakische Erfolgsmeldungen einen anderen Eindruck vermitteln sollen. Experten gehen dagegen von mehreren Tausend „Gotteskriegern“ in der Region am Ostufer des Euphrat aus. Das mag zwar sehr weit entfernt von einstiger Stärke sein. Doch das heißt nicht, dass von den Islamisten keinerlei Bedrohung mehr ausgeht.

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