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Aserbaidschanische Soldaten beschießen Berg Karabach.

© dpa

Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan: Moskau wird nicht mehr als Ordnungsmacht im Kaukasus wahrgenommen

Lange war der ungelöste Konflikt für Russland von Vorteil. Jetzt greift die Türkei ein. "Eingefrorene" Konflikte sind eine Gefahr für die EU. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Herold

Im Kaukasus wird wieder gekämpft, Armenien und Aserbaidschan streiten um Berg Karabach. Der aktuelle Konflikt reicht noch zurück in die Endphase der Sowjetunion. Damals erklärten sich die Bewohner der Region – übrigens in Übereinstimmung mit der sowjetischen Verfassung – für unabhängig von Aserbaidschan.

Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion versteht sich als Ordnungsmacht im Kaukasus, doch als solche wird der Kreml offensichtlich immer weniger wahrgenommen. Drei Jahrzehnte lang war für Moskau ein ungelöster Konflikt vorteilhafter als ein gelöster. Mit russischen Waffen bedrohten sich und kämpften beide Seiten. Moskau konnte den Schiedsrichter spielen, wenn es die Konfliktparteien zu übel trieben. Möglich, dass die Führungen in Baku und Erewan auch diesmal von Wladimir Putin erwarten, dass er als Schlichter eingreift. Aber kann er das? Es ist schwierig für ihn.

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Für die Politiker auf beiden Seiten gehören Hassreden auf den Nachbarn zur Staatsräson. Seit dem Sommer ist es noch schlimmer geworden, weil es den Machthabern zur Ablenkung von inneren Problemen dient. Russland hat derzeit keine Hand frei angesichts seiner gewaltigen außenpolitischen Probleme: die Sanktionen des Westens, der Versuch, einen Machtwechsel ohne Revolution in Belarus herbeizuführen, der nicht enden wollende Militäreinsatz in Syrien, der Krieg in der Ukraine – um nur einiges zu nennen. Russland führt starke Reden über seine Rolle in der Welt, aber es hat sich verzettelt und verliert die Kontrolle.

Die Türkei ist ein neuer Akteur an der Front

Vielleicht hat gerade das die Führungen in Erewan und Baku veranlasst, jetzt eine Lösung auf eigene Faust zu suchen. Doch der Konflikt hat sich verändert. Zwei neue Akteure sind an der Front erschienen: zum einen die Türkei, die sich offen auf die Seite Aserbaidschans schlägt. Sogar reguläre türkische Truppen sollen bereits eingegriffen haben, behaupten die Armenier. Zum anderen ist von „syrischen Kämpfern“ auf beiden Seiten die Rede.

Für die Westeuropäer ist Karabach ein Konflikt hinter den Bergen des Kaukasus. Realistisch betrachtet wird die EU in der Region auch weiterhin kaum eine Rolle spielen. Aber die Situation ist ein Fingerzeig für einen anderen Konflikt, in dem die Europäer Interessen zu verteidigen haben und auf einen echten Frieden drängen müssen. Es geht um den Donbas, den Osten der Ukraine. Karabach zeigt deutlich: einen Konflikt „einzufrieren“ ist keine Option. Jahrzehntelang flammen Kämpfe immer wieder auf, immer neue Todesopfer sind zu beklagen. Das ist nicht hinnehmbar. Die EU muss ihren Druck auf Moskau verstärken. Der Kreml sollte angesichts der Vielzahl seiner anderen Probleme derzeit sogar ein Interesse an Kompromissen haben.

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