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Die Regierung von Friedensnobelpreisträger Abiy geht mit Gewalt gegen Abtrünnige vor.

© Tiksa Negeri,Reuters

Kämpfe in Äthiopien: Amnesty berichtet von Massaker in Tigray

Vor einer Woche hat die äthiopische Regierung eine Militäroffensive in der Provinz Tigray gestartet. Jetzt kam es offenbar zu einem Blutbad.

In der umkämpften äthiopischen Tigray-Provinz soll es zu einem Massaker gekommen sein, in dem nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) „Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von Zivilisten“ erstochen oder zu Tode gehackt worden seien. Das Blutbad habe sich am vergangenen Montag in dem Städtchen Mai-Kadra im Südwesten Tigrays ereignet. AI teilte am Freitag mit, über digital verifiziertes Bildmaterial zu verfügen, auf dem in den Straßen des Städtchens verstreut liegende oder auf Bahren weggetragene Leichen zu sehen seien. Bei den Toten soll es sich um Zivilisten handeln, deren tödliche Wunden von Messern und Macheten stammten.

Nach Angaben der Londoner Organisation machten Augenzeugen Kämpfer der Tigrayischen Befreiungsorganisation (TPLF) für das Massaker verantwortlich, hinter dem Blutbad werden ethnische Beweggründe vermutet. In der vornehmlich von Tigray bevölkerten Provinz leben auch Angehörige anderer äthiopischer Volksgruppen. Deprose Muchena, AI-Direktor für Ost- und Süd-Afrika sprach von einer „schrecklichen Tragödie“ und forderte die seit zehn Tagen in einen Krieg verwickelten Parteien auf, Beobachter in die abgeschottete Region zu lassen.

UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet äußerte sich am Freitag alarmiert über die zunehmenden Gewalttaten in der äthiopischen Provinz. Das von AI gemeldete Massaker komme einem Kriegsverbrechen gleich. Es müsse von unabhängigen Ermittlern aufgeklärt werden, forderte die UN-Kommissarin.

Immer mehr Menschen fliehen nach Sudan

Auch Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed erwähnte am Freitag ein blutiges Massaker im Südwesten der Provinz. Die Region sei in der Zwischenzeit von Regierungssoldaten „befreit“ worden. Abiy will auch über Informationen verfügen, wonach gefesselte Soldaten der Regierungstruppen von TPLF-Kämpfern hingerichtet wurden. Nachdem das Parlament in Addis Abeba Tigrays Präsident Debretsion Gebremichael am Mittwoch für abgesetzt erklärt hatte, ernannte es am Freitag den bisherigen Wissenschaftsminister Mulu Nega zu dessen Nachfolger. Außerdem hoben die Abgeordneten die Immunität zahlreicher TPLF-Politiker auf: Sie sollen später vor Gericht gestellt werden.

Schon seit Tagen äußern sich UN-Verantwortliche besorgt über die humanitäre Lage in der von der Außenwelt völlig abgeschnittenen Provinz, in der rund neun Millionen Menschen leben. Sowohl Kraftstoff wie Nahrungsmittel sollen dort inzwischen äußerst knapp geworden sein. Sämtliche Telefon- und Internetverbindungen sind seit zehn Tagen unterbrochen, seit gestern soll auch die Stromversorgung in weiten Teilen der Provinz zusammengebrochen sein. Bemühungen der UN, einen humanitären Korridor in die Provinz einzurichten, scheiterten bislang am Widerstand der beiden Kriegsparteien. Schon vor dem Bürgerkrieg waren in Tigray mehr als 600.000 Menschen auf ausländische Hilfe angewiesen.

Im Nachbarland Sudan treffen immer mehr Flüchtlinge aus Tigray ein – ihre Zahl soll inzwischen auf über 15.000 Menschen angewachsen sein. „Sie kommen hier völlig ausgehungert an“, sagte Khalid Al Sir von der sudanesischen Flüchtlingsagentur: „In der Mehrheit handelt es sich um Frauen und Kinder.“ Hoffnungen, dass der Krieg bald endet, haben sich zerschlagen. Fachleute verweisen darauf, dass die beiden Parteien militärisch ebenbürtig sind. Lediglich in der Luft sind die Streitkräfte der Zentralregierung überlegen. Die TPLF ist eine kriegserprobte Truppe. Sie hatte nach einem jahrelangen Bürgerkrieg bereits den ehemaligen Diktator Mengistu besiegt und bildete in dem kurz vor der Millenniumswende ausgebrochenen Krieg gegen Eritrea das Rückgrat der äthiopischen Armee. Mehr als 20 Jahre lang hatte die TPLF das Schicksal Äthiopiens bestimmt, obwohl die Tigray lediglich knapp sechs Prozent der äthiopischen Bevölkerung ausmachen.

Johannes Dieterich

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