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Kämpfer in Sanaa schützen sich vor der Infektion mit dem Coronavirus. Die Bürger sind den Gefahren des Krieges und der Pandemie hilflos ausgeliefert.

© Khaled Abdullah/REUTERS

Kämpfe, Hunger und Corona im Jemen: So soll das ärmste Land der arabischen Welt vor dem Zusammenbruch bewahrt werden

Saudi-Arabien ist im Jemen Kriegspartei – und jetzt Organisator einer Geberkonferenz im Internet. Auch Deutschland sagt eine Millionenhilfe zu.

Nach Jahren des Krieges, der Cholera und des Hungers sind Vorsichtsmaßnahmen gegen das Coronavirus für viele Menschen im Jemen ein Luxus, den sie sich nicht leisten können.

Waleed al Haj, Chef des jemenitischen Hilfswerkes Baader, berichtete jüngst bei einer Online-Konferenz, wie er mit einem Nachbarn in der Hauptstadt Sanaa über die große Bedeutung des Händewaschens und Abstandhaltens sprach.

Der Mann hatte wenig Verständnis für die Belehrungen von Haj: „Mein neunjähriges Kind muss drei Stunden lang Schlange stehen, um gerade einmal 40 Liter brauchbares Wasser für die ganze Familie zu ergattern“, sagte er.

Bei einer Geberkonferenz per Internet, die von Saudi-Arabien und den Vereinten Nationen ausgerichtet wurde, beriet die internationale Gemeinschaft am Dienstag über Hilfe für den Jemen. Deutschland, vertreten von Außenamts-Staatsminister Niels Annen, sagte 125 Millionen Euro zu. Insgesamt sollen rund 2,4 Milliarden Dollar zusammenkommen, um das ärmste Land der arabischen Welt vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren.

Allein 180 Millionen Dollar werden für den Kampf gegen die Corona-Pandemie gebraucht. Nothilfe-Koordinator der Vereinten Nationen Mark Lowcock schätzt, dass die derzeit verfügbaren Geldmittel nur noch ein paar Wochen reichen.

Krieg dauert bereits fünf Jahre

Der Alptraum der rund 28 Millionen Einwohner Jemens dauert schon fünf Jahre. Damals griff eine internationale Koalition unter der Führung von Saudi-Arabien in den Konflikt zwischen den iranisch unterstützten Huthi-Rebellen und der jemenitischen Regierung ein. Der damalige saudische Verteidigungsminister und heutige Kronprinz Mohammed bin Salman hoffte auf einen raschen Sieg über die schiitischen Rebellen.

Doch die Huthis waren stärker als erwartet und eroberten nicht nur weite Teile des Landes, sondern griffen sogar saudische Städte mit Raketen an. Die saudischen Militärs antworteten mit vernichtenden Luftangriffen, bei denen sie vom Westen mit Waffen und logistisch unterstützt wurden. Der Iran lieferte unterdessen weiter Rüstungsgüter an die Huthis.

Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien

Inzwischen steht fest: Der Stellvertreterkrieg zwischen den sunnitischen Saudis und der schiitischen Führungsmacht Iran, der im Jemen ausgetragen wird, ist von keiner der Kriegsparteien militärisch zu gewinnen. Trotzdem gehen die Gefechte weiter. Risse in der saudischen Koalition wegen des Ausstiegs der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) aus dem Krieg destabilisieren die Lage zusätzlich.

Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt keine Seite. Heute sind 24 Millionen Jemeniten auf Hilfslieferungen angewiesen, zehn Millionen sind nach einer Schätzung des Welternährungsprogramms der UN akut vom Hunger bedroht. Zwei Millionen Kinder werden als erheblich unterernährt eingestuft. Die Zerstörung der Infrastruktur begünstigt die Ausbreitung von Krankheiten. So wütete im Jemen in den vergangenen Jahren die schlimmste Cholera-Epidemie der Welt: Seit 2016 bis heute haben die UN rund 2,3 Millionen Ansteckungen und fast 4000 Tote gezählt. Das ohnehin von Krieg und Cholera zerrüttete Gesundheitssystem des Landes steht nun auch noch der Corona-Pandemie gegenüber. Offiziell gibt es bisher zwar nur 354 Fälle und 84 Todesopfer im Jemen. Doch beide Seiten im Krieg müssen sich vorwerfen lassen, das tatsächliche Ausmaß der Ausbreitung von Covid-19 zu verschleiern.

„Katastrophale Einschnitte“ bei der Hilfe

Ausgerechnet jetzt geht 31 von 41 UN-Hilfsprogrammen das Geld aus. Mindestens 1,6 Milliarden Dollar seien nötig, um „katastrophale Einschnitte“ bei der Hilfe zu verhindern und Millionen von Menschen vor dem Hungertod zu bewahren, sagte Lise Grande, die Koordinatorin der UN-Hilfe, der Nachrichtenagentur Reuters. Hilfszusagen werden längst nicht immer eingehalten. Im vergangenen Jahr hatten Geberländer insgesamt 3,2 Milliarden Dollar versprochen – in diesem Jahr sind laut UN bisher aber nur 474 Millionen Dollar angekommen.

Zumindest auf dem Papier herrscht auch diesmal große Hilfsbereitschaft. Vor der Geberkonferenz am Dienstag sagte Saudi-Arabien 525 Millionen Dollar zu, die USA versprachen 225 Millionen und Großbritannien stellte 200 Millionen in Aussicht. Es sei eine „bittere Ironie“, dass einige der größten Geldgeber gleichzeitig als Kriegsparteien oder als Unterstützer an dem Konflikt beteiligt seien, sagte Jon Cunliffe von der US-Hilfsorganisation Action Against Hunger der britischen Zeitung „Guardian“.

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