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Proteste, die Wirkung zeigten: Anhänger der Opposition demonstrieren vor dem Präsidentenpalast in Warschau gegen die geplante Justizreform.

© Czarek Sokolowski/dpa

Justizreform in Polen: Die Gefahr ist nicht gebannt

Einen Teil der geplanten Justizreform in Polen hat Präsident Duda aufgehalten. Doch nun tritt der Rest in Kraft – und gefährdet damit die Unabhängigkeit der Gerichte.

Die Protest-Banner sind eingerollt, die Demonstranten vor dem Obersten Gericht in Warschau vorerst verschwunden. Aus Sicht vieler Polen hat das Veto von Präsident Andrzej Duda gegen weite Teile einer umstrittenen Justizreform die unmittelbare Gefahr für den Rechtsstaat vorerst gebannt. So geriet ein Aspekt der Reform, den Duda gebilligt hat, in den Hintergrund. Mitten in der Parlamentspause tritt nun am Samstag das international kritisierte Gesetz zu den allgemeinen Gerichten in Kraft – zumindest ein Teilerfolg für die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit PiS.

Menschenrechtler protestieren

Konkret sieht das Gesetz vor, dass der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro künftig alle leitenden Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte entlassen und ihre Posten neu besetzen kann. Das bereitet auch Rechtsexperten der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte in Warschau Sorgen. Auf Richter könne Druck ausgeübt werden, wenn die Entscheidungen über den Fortgang ihrer Karrieren allein von einem Politiker getroffen werden könnten.

Im Extremfall könnten reformierte – und möglicherweise befangene – Gerichte sogar über die Gültigkeit von Regionalwahlen entscheiden, kritisierten die Experten. 2018 stehen in Polen Gemeindewahlen an. „Da darf es nicht den geringsten Zweifel geben, dass Richter unter Druck gesetzt wurden“, sagt Barbara Grabowska-Moroz von der Helsinki-Stiftung der Zeitung „Gazeta Wyborcza“.

Duda, der aus dem Regierungslager stammt, hatte Ende Juli nach Protesten von bis zu zehntausenden Polen und Sanktionsdrohungen der EU-Kommission sein Veto gegen die Gesetze zur Reform des Obersten Gerichts und des Landesrichterrats eingelegt. Das Gesetz über die Reform der allgemeinen Gerichtsbarkeit unterzeichnete er indes.

In Brüssel schrillen die Alarmglocken

Kritiker stört dabei auch, dass Ziobro künftig Richter in den Ruhestand schicken kann. „Solche Befugnisse über die Justizverwaltung darf der Justizminister laut Verfassung nicht haben“, warnt der Helsinki-Verein in einem Gutachten zur Reform, die auch schon bei der EU-Kommission die Alarmglocken schrillen ließ. Brüssel leitete bereits ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die Kommissare stören sich insbesondere daran, dass das Gesetz verschiedene Pensionsalter für Männer (65 Jahre) und Frauen (60 Jahre) vorsieht. Das widerspreche der EU-Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt. Der Gesetzesartikel tritt erst im Oktober in Kraft.

Schon seit der Reform des Verfassungsgerichts 2015 führt Brüssel ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen, durch das dem Land in letzter Instanz der Entzug der Stimmrechte droht. Warschau beeindruckte das bislang nicht. Die Regierenden halten an ihren Vorhaben einer umfangreichen Umgestaltung der Justiz fest, PiS-Vertreter bezeichneten Richter immer wieder als arrogant und korrupt. „Wir werden unser demokratisches Mandat nutzen und Druck und Drohungen nicht nachgeben“, kündigte Ziobro an.

Ziel ist ein Austausch der Kader

Die PiS-Gegner sehen darin eine allgemeine Hetzkampagne gegen die Justiz. Auf konkrete Schwachstellen und die Frage, wie diese zu beheben seien, gingen die Nationalkonservativen kaum ein, bemängeln sie. Dabei sind auch hochrangige und PiS-kritische Experten wie der Ex-Verfassungsgerichtschef Andrzej Zoll der Meinung, das polnische Gerichtswesen bedürfe einer Reform.

In einer Analyse des Deutschen Polen-Instituts heißt es, Richter würden bei ihren Urteilen gesellschaftliche oder ökonomische Umstände eines Tatbestands oft nicht berücksichtigen, zudem seien ihre Kenntnisse des EU-Rechts in vielen Fällen mangelhaft. Doch die von den Regierenden angestrebten Änderungen hätten vor allem einen Kaderwechsel zum Ziel, befand die Helsinki-Stiftung. Natalie Skrzypczak/dpa

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