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Die schmerzhaften Prinzipien des Rechts: Wer einmal freigesprochen wurde, kann nicht noch einmal wegen desselben Delikts vor Gericht gestellt werden - auch, wenn sich die Beweislage geändert hat.

© Friso Gentsch/pa

Justiz: Der Rechtsstaat mutet uns viel zu

DNA-Spuren führen zu einem Mann, der 1981 eine 17-Jährige ermordet haben soll. Angeklagt werden kann er nicht, denn er wurde in dem Fall schon einmal freigesprochen. Über die Zumutungen des Rechtsstaates.

Kann es wahr sein? In Deutschland läuft ein Mann herum, der eine junge Frau vergewaltigt und getötet hat. Bestraft wurde er nie. Die Behörden in Niedersachsen, wo die Tat geschah, kennen ihn, sie wissen, wo er wohnt, sie schützen ihn. Die CDU-Landtagsfraktion fordert jetzt die grüne Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz auf, den Fall bei der Justizministerkonferenz zum Thema zu machen. Recht, das so etwas zulasse, dürfe so nicht bleiben.

Recht kann so schwer verständlich werden, dass es unerträglich wird.

Es stimmt schon. Recht kann so schwer verständlich werden, dass es unerträglich wird. Wie im Mordfall Frederike von Möhlmann, einer 17-Jährigen, die im November 1981 von Celle mit der Bahn in ihren Heimatort fährt, aber nie zu Hause ankommt.

Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.
Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Ermittler vermuten, dass der Mörder ihr anbot, sie mit seinem Auto ein Stück mitzunehmen. Ihre Leiche wird unweit in einem Waldstück gefunden. Reifenspuren führen zu einem Verdächtigen, den das Landgericht Lüneburg ein Jahr später zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch den Bundesgerichtshof überzeugt das Urteil nicht, er hebt es auf. Im neuen Prozess zweifelt ein Gutachter an den Reifenspuren als Indiz. Der Mann wird freigesprochen. Hans von Möhlmann, der Vater der Getöteten, dringt auf eine neue Spurensuche, als die Methoden zum DNA-Abgleich immer besser werden. Spuren am Opfer und untersuchte Haare des Freigesprochenen bestätigen den Verdacht. Es hätte wohl gereicht für einen Schuldspruch. Damals. Heute ist Frederike über 30 Jahre tot, der Mann, der sie vermutlich auf dem Gewissen hat, geht in Freiheit auf die 60 zu.

Dennoch, ein Thema für die Justizministerkonferenz ist der Fall nicht. Recht muss noch nicht falsch sein, wenn es eine Folge hat, die unerträglich erscheint. Es geht um das Verbot der Doppelbestrafung, die auch im Grundgesetz geregelt ist. Niemand darf für ein und dieselbe Tat mehrmals belangt werden. Ein Grundsatz, der nicht nur für Schuld-, sondern auch für Freisprüche gilt. Denn derjenige, der rechtskräftig freigesprochen wurde, hat denselben Anspruch, deswegen nicht noch einmal vor Gericht zu kommen, wie derjenige, der rechtskräftig verurteilt wurde. Ein freiheitlich-rechtsstaatlicher Gedanke. Die Staatsgewalt muss berechenbar sein.

Für den Vater von Frederike Möhlmann kann all das kein Trost sein

Für Hans von Möhlmann kann das keine Hilfe sein, schon gar kein Trost. Er gibt nicht auf und hat den Mann auf Schmerzensgeld verklagt. Ein Zivilprozess, bei dem das Doppelstrafen-Verbot keine Rolle spielt. Jedoch könnte der Anspruch verjährt sein. Wieder gäbe es eine Art Freispruch. Dem gepeinigten Vater sollte das nicht noch zusätzlich Kummer bereiten. Der Fall seiner Tochter zeigt, welchen hohen Preis ein Rechtsstaat zahlen muss, um seine Prinzipien durchzuhalten. Möhlmann hat mit seinem Drängen viel erreicht, auch ohne Gericht. Jeder weiß, wer es war. Auch eine Strafe.

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