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Eine Unterstützerin von Bernie Sanders vor einer Wahlkampfveranstaltung des Kandidaten in Virginia Beach, Virginia.

© Eric BARADAT / AFP

Junge US-Amerikaner wählen selten: Warum Bernie Sanders ein Scheinriese ist

Sanders braucht die jungen Wähler. Doch der Super Tuesday bestätigt: Die sind wahlfauler als er hofft. Ein Interview mit dem Yale-Forscher Joshua Kalla.

Von Anna Sauerbrey

Joshua Kalla forscht und lehrt am Institut für Politikwissenschaft und am Institut für Statistik an der Yale University. Wir haben mit ihm über die Ergebnisse des Super Tuesday gesprochen – und ob sie sich mit seiner neuen Studie zu den Wahlchancen von Bernie Sanders decken.

Herr Kalla, Sie haben sich in einer aktuellen Studie mit 40.000 Befragten mit der “electability” von Bernie Sanders befasst – also der Frage, wie groß seine Chance wäre, gegen Donald Trump zu gewinnen. Was sind die zentralen Ergebnisse?
Unsere Forschung zeigt, dass die Chancen von Bernie Sanders vor allem davon abhängen, wie stark er bei jungen Wählern unter 35 Jahren punkten kann. Im Direktvergleich mit Trump sehen Biden und Sanders zwar in den üblichen Umfragen ähnlich stark aus, aber aus sehr unterschiedlichen Gründen. Biden kann unabhängige Wähler und moderate Republikaner aus der Trump-Wählerschaft zu sich herüberziehen. Sanders hingegen würde Wähler aus diesen Gruppen an Trump verlieren – und macht das scheinbar wett, indem er junge Wähler begeistert und an die Wahlurnen bringt. Auch in unserer Studie sagen 11 Prozent der unter 35-jährigen Wähler, sie würden nur dann zur Wahl gehen, wenn Sanders der Kandidat ist.

Und sie bezweifeln, dass das tatsächlich so kommt?
Wir haben überprüft, ob die Wahlbeteiligung bei den Jungen durch Sanders wirklich so stark steigen kann, unter anderem anhand von Daten über ihre Wahlbeteiligung in der Vergangenheit. Dabei sieht man, dass sie in der Regel tatsächlich deutlich seltener zur Wahl gehen als andere Altersgruppen. Um zu gewinnen, müsste Sanders die Wahlbeteiligung der Jungen noch stärker nach oben treiben als Obama die Wahlbeteiligung afro-amerikanischer Wähler nach oben getrieben hat.

Warum zeigt sich das nicht in den üblichen Umfragen – da liegt Sanders ja genau wie Biden etwa fünf Prozentpunkte vor Trump und auch diese Umfragen werden ja „gewichtet“, also mit Erfahrungsdaten verrechnet...
Die üblichen Umfragen gewichten zwar, fragen aber zu wenig, wie die Wählerschaft 2020 aussehen könnte. Sie gleichen etwa die Bevölkerungsstruktur mit dem Zensus ab, der schon älter ist. Außerdem vertrauen sie zu stark darauf, was die Leute in den Umfragen sagen – wobei die Forschung zeigt, dass sie sich oft anders verhalten, als sie angeben. Die Jungen sagen, sie werden wählen, weil sie denken, das ist erwünscht – gehen dann aber gar nicht zur Wahl.

Joshua Kalla forscht und lehrt am Institut für Politikwissenschaft und am Institut für Statistik und Data Science an der Yale University.
Joshua Kalla forscht und lehrt am Institut für Politikwissenschaft und am Institut für Statistik und Data Science an der Yale University.

© promo

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Wie sehen Sie die Ergebnisse des Super Tuesday vor dem Hintergrund Ihrer Forschung?
Die Wahlen am Super Tuesday scheinen unsere Annahmen zu bestätigen: Sanders scheint junge Wähler nicht so massiv zu mobilisieren, dass er damit Verluste wettmacht. Wir kennen die Wahlbeteiligung noch nicht im Detail (das Interview fand am Mittwochabend deutscher Zeit statt, Anm. d. Red.), aber wir wissen einiges über die Zusammensetzung der Wählerschaft in den Staaten, die am Dienstag gewählt haben. Nehmen wir Texas – wo Biden gewonnen hat und Sanders mit rund vier Prozentpunkten Abstand Zweiter wurde. 2008 machten ältere Wähler in Texas noch 13 Prozent der Wähler aus, 2020 sind es 24 Prozent. Diese demographische Entwicklung konnte Sanders durch eine höhere Wahlbeteiligung jüngerer Wähler offenbar nicht wettmachen. Auch die Vorwahlen der vergangenen Wochen, bei denen wir schon mehr über die Wahlbeteiligung wissen, scheinen unsere Annahme zu bestätigen – die Jungen gehen nicht wirklich so oft zur Wahl wie sie es in Umfragen angeben.

Aber gibt nicht vielleicht das Ergebnis in Kalifornien Sanders recht? Hier leben viele junge Wähler – und er hat den Staat gewonnen.
Wir haben noch keine Daten über die Wahlbeteiligung junger Leute in Kalifornien. So oder so aber reicht es nicht, Kalifornien zu gewinnen, um Sanders Argument zu stützten. Kalifornien ist kein umkämpfter Staat. Sanders müsste Staaten wie Texas oder North Carolina gewinnen – beide hat er aber verloren. Außerdem haben viele Wähler ihre Stimme vor dem eigentlichen Wahltag abgegeben – und da war das Rennen noch ein anderes: Pete Buttigieg und Amy Klobuchar sind ja erst kurz vorher ausgestiegen.

Was glauben Sie, wie Sanders Strategie in den nächsten Wochen aussehen wird?
Er wird vermutlich weiter versuchen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen – das ist das zentrale Ziel seiner Kampagne. Ob ihm das gelingt, ist offen.

Das Gespräch führte Anna Sauerbrey.

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