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Israel kennenlernen. Schon mehr als 500.000 junge Juden haben am Birthright-Programm teilgenommen.

© Benjamin Brown

Junge Juden erkunden Israel: Nächstes Jahr in Jerusalem

Jedes Jahr werden junge Juden aus aller Welt nach Israel eingeladen. Immer mehr Deutsche nehmen am Birthright-Projekt teil. Ein Erfahrungsbericht.

Bei 35 Grad stehen sie an der Klagemauer. Einige sprechen ein leises Gebet, die anderen schieben Papierfetzen mit ihren sehnlichsten Wünschen in die Ritzen der Mauer. Danach kommen sie zusammen, singen jüdische Lieder. Eine junge Frau weint. 20 Deutsche stehen dort im Kreis. Sie sind Teilnehmer einer Birthright-Reise. Bei ihnen ist ein Guide, ein Schweizer Jude, der nach Jerusalem gezogen ist, und ein bewaffneter Sicherheits-Mitarbeiter.

Das Birthright Projekt hat seit 1999 mehr als 500.000 junge Menschen jüdischer Herkunft in „ihr Land“, das „gelobte Land“ eingeladen. Zehn Tage lang bereisen sie Israel, die Flüge und jegliche Kosten vor Ort werden von Birthright übernommen. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgt in grober Anlehnung an das israelische „Rückkehrgesetz“.

Eine Bindung ans jüdische Volk schaffen

So sind 18-27 Jährige teilnahmeberechtigt, die sich als jüdisch bezeichnen, dabei mindestens einen jüdischen Elternteil haben oder einen Konversionskurs zum Judentum belegt haben. Erklärtes Ziel der Organisation ist es, jungen Juden eine „gefühlsmäßige und positive Bindung an Israel und das jüdische Volk“ zu vermitteln.

Obwohl die klassische Zielgruppe von Birthright amerikanische Juden und deren Nachkommen sind, bemüht sich die Organisation mit einer großangelegten Social-Media-Kampagne verstärkt um deutsche Teilnehmer. Ein großzügiges Werbebudget steht zur Verfügung, die Organisation konnte 2016 Spenden in Höhe von knapp 100 Millionen Dollar verzeichnen.

Das Projekt ist auch unter dem hebräischen Namen „Taglit“ bekannt, das auf deutsch „Entdeckung“ bedeutet. Anstatt eine bloße Entdeckungsreise zu sein, sieht sich Birthright allerdings der Kritik ausgesetzt, ein Propagandainstrument der israelischen Regierung zu sein, das versuchen würde, junge Juden davon zu überzeugen, Israel zu seiner Heimat zu machen.

Ein pro-israelisches Bild aufzwingen?

Teile des Programms wirken tatsächlich so inszeniert, wie man klassische meinungsbildende Veranstaltungen aus Staaten wie Kuba oder China kennt. Der Besuch des Grabes von Theodor Herzl mag aufschlussreich sein. Die Gedenkveranstaltung und das Singen von Lobeshymnen am Militärfriedhof in Jerusalem hat dann aber doch einen gewissen Beigeschmack.

Gidi Mark, CEO von Taglit-Birthright Israel, entgegnet, dass das Projekts längst gescheitert wäre, wenn es bloße, einseitige Meinungsbildung betreiben würde. Junge Leuten würden nicht mit seiner Organisation nach Israel reisen, wenn Birthright seit 20 Jahren Indoktrinierung betreiben würde. "Unsere Unabhängigkeit zeichnet uns aus!", sagt Mark.

Wer dennoch davon ausgeht, dass die Birthright-Reise die Absicht hat, jungen Menschen ein pro-israelisches Weltbild aufzuzwängen, wird enttäuscht. So nehmen die Teilnehmer an einem Geopolitik-Seminar teil, bei dem auch für eine kritische Sicht auf israelische Politik in Bezug auf die Palästinensergebiete Raum geboten ist.

Kritische Fragen

Auch überrascht die Offenheit, mit der kritische Fragen zum Staat Israel und Praktiken des Judentums meist beantwortet werden. Lediglich einige Fragen zu Gemeinsamkeiten im Judentum und dem Islam werden von Betreuern der Gruppe schnell abgewürgt.

Übrigens: Die junge Frau, die an der Klagemauer weinte, erklärte später, sich vor der Reise nicht sonderlich intensiv mit ihren jüdischen Wurzeln beschäftigt zu haben. In Israel, spätestens an Jerusalems Klagemauer, habe sie eine Verbindung gespürt. Ob sich ihre Beziehung zu Israel verändert habe? „Definitiv“, betont sie.

Das mag nicht auf alle Teilnehmer des Projekts zutreffen – dennoch beeinflusst die Fahrt. Befragungen zufolge tendieren Teilnehmer dazu, eher einen jüdischen Partner zu heiraten, ihre Kinder jüdisch zu erziehen und sich in der jüdischen Gemeinde zu engagieren.

Benjamin Brown

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