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"Alles auf den Kopf stellen" - selbst die Thora. Auch das gehört zum Judentum.

© Jens Büttner/picture alliance/dpa

Judentum und High-Tech: "Unkonventionelle Wege zu gehen, fördert die Kreativität"

Warum sind Israels High-Tech-Firmen so erfolgreich? Ein Gespräch mit Rabbinerin Ederberg über den Stellenwert von Bildung und vernetztem Wissen im Judentum.

Frau Rabbinerin Ederberg, Judentum und Hochtechnologie - wie passt das zusammen?

Sehr gut! Denn Bildung und Wissen sind elementare Bestandteile des Judentums.

Warum ist das so?

Jüdisches Leben war immer bedroht. Juden wurden jahrhundertelang verfolgt und vertrieben. Deshalb hat man schon sehr frühzeitig großen Wert auf Wissen gelegt, das man „mitnehmen“ kann. Nach dem Motto: Was du im Kopf hast, kann dir niemand wegnehmen. Hinzu kommt, dass die jüdische Religion etwas sehr Demokratisches ist. Es gibt eben keinen Klerus, der vorgibt, was falsch und richtig ist. Sondern jeder muss selbst lernen, verstehen und bewerten.

Tradition und Innovationsfreudigkeit schließen sich also nicht aus?

Überhaupt nicht. Die Verbindung zwischen dem Internet und jüdischen Schriften ist dafür ein gutes Beispiel.

Das müssen Sie erklären.

Im Talmud, einem der wichtigsten Werke des Judentums, gibt so etwas wie ein Hyperlink-System: Der eigentliche Text wird durch nebenstehende Erklärungen und Kommentare ergänzt. Das ist, als ob man mit dem Cursor über eine Website fährt und sich ein neues Fenster mit weiteren Informationen öffnet.

Gesa Ederberg ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, zuständig für die Synagoge Oranienburger Straße.
Gesa Ederberg ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, zuständig für die Synagoge Oranienburger Straße.

© Privat

Das Internet war also gewissermaßen im Judentum und seinen Schriften angelegt?

So könnte man das sagen. Es kommt vor allem auf die Vernetzung von Wissen an. Altes, das sich bewährt hat, mit Neuem verbinden – so funktioniert das Judentum seit vielen Jahrhunderten.

Die Lust am Widerspruch gehört sowohl zum Judentum und als auch zu Israels Gesellschaft. Fördert diese Streitkultur zusätzlich die Kreativität?

Auf jeden Fall. Juden sind aufgefordert, etwa die Thora als Teil der hebräischen Bibel immer wieder „auf den Kopf zu stellen“, damit man alles darin finden kann. Das heißt: Auf eine Frage gibt es nicht nur eine Antwort. Viele Antworten zu finden und dabei auch unkonventionelle Wege einzuschlagen, wird schon beim traditionellen Lernen der Thora sehr gelobt. Natürlich fördert dies die Kreativität – die denn auch israelischen Start-ups zugute kommt.

Welchen Stellenwert besitzt denn Bildung generell im Judentum?

Bildung ist ein zentrales Element des Judentums. Wir sind eine Religion des Buches. Schon im Mittelalter lernten fast alle Lesen und den Umgang mit Texten. Diese Begeisterung fürs Lernen und Verstehen wurde später auch auf säkulare Texte und Themen übertragen. Und es sieht ganz so aus, als ob von dieser alten Tradition heute auch israelische High-Tech-Unternehmen profitieren.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

 

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