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Der Spruch "Gegen jeden Antisemitismus !" an einer Toilettenwand der Philipps-Universität in Marburg (Hessen).

© dpa/Arne Dedert

Judenfeindlichkeit: Gegen Antisemitismus hilft nur Bildung

Antisemiten haben Wissenslücken und gewaltige emotionale Leerstellen. Dagegen helfen nur Debatten und Bildung über Zeitgeschichte und Psychologie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Antisemitismus kennt keine reale Begründung. Es gibt ja keine. Antisemitismus ist eine der Entlastung dienende Verschwörungstheorie. Je nach Ort, Zeit und Milieu suchen sich Antisemiten die ihnen passende Variante, woran „die Juden“ schuld sein sollen, an Kapitalismus, Kommunismus, Krisen in der Wirtschaft oder „an allem“.

„An allem sind die Juden schuld“ hieß ein satirischer Song von Friedrich Hollaender, 1931 uraufgeführt in seinem Kabarett „Tingel-Tangel“ in der Berliner Kantstraße. Damals fürchtete der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die Ironie werde eben das toxische Phänomen nähren, das sie bekämpfen wollte, und das zum monströsen Zivilisationsbruch führte.

In seiner aktuellen Variante versammelt der Antisemitismus Rechte, Linke wie Islamisten gern unter dem Etikett „Israel-Kritik“ und schürt Propaganda gegen das Land, das nach 1945 Refugium von Holocaust-Überlebenden wurde. Identifikationsobjekte der auf Israel Fixierten sind die „unterdrückten Palästinenser“, durchaus auch die Terrororganisation Hamas. Anlass für einen Empörungsrausch bietet derzeit die verbale Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels durch den US-Präsidenten. In Berlin zündeten türkisch- und arabischstämmige Protestierende deshalb auf offener Straße Israelflaggen an.

Wer antisemitisch denkt, weiß nicht, was Menschenrechte und Demokratie bedeuten

Reagiert haben nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Innenminister Thomas de Maizière, der von der künftigen Regierung fordert, das Amt eines Antisemitismusbeauftragten einzurichten, wie bereits von einer unabhängigen Expertenkommission beim Innenministerium empfohlen. Steinmeier mahnte – kurz vor dem heutigen „Tag der Migration“ –, für die Verantwortung vor der deutschen Geschichte gebe es keinen Schlussstrich, weder für Nachgeborene noch für Zuwanderer. Wer israelische Fahnen in Brand steckt, der verstehe oder respektiere nicht, „was es heißt, deutsch zu sein“. Wer antisemitisch denkt, sollte man ergänzen, der weiß nicht, was Menschenrechte, Demokratie und Empathie bedeuten.

Antisemiten weisen Wissenslücken auf und gewaltige, emotionale Leerstellen. Eine neue Studie des American Jewish Committee (AJC) erkundet die Haltung irakischer und syrischer Geflüchteter zu Juden und Israel. Aufgewachsen mit Israelhass als Staatsdoktrin tragen die meisten, mit Ausnahme der Kurden, das Klischee des mächtigen, reichen Juden mit sich herum. Viele halten die antisemitische Fabrikation der „Protokolle der Weisen von Zion“ für wahr, viele glauben fest, die Anschläge vom 11. September 2001 seien durch Juden verübt worden. Von der Shoah ist ihnen wenig bekannt. Sie bezweifeln das Ausmaß der nationalsozialistischen Massenmorde oder behaupten, Israel instrumentalisiere den Holocaust zur Rechtfertigung der „Besetzung Palästinas“. Besonders in diesem Punkt gibt es erschreckende Übereinstimmungen mit linken wie mit rechten Deutschen.

Mit gängigen Formeln wie der, in Deutschland sei „kein Platz für Antisemitismus“ ist es hier nicht getan. In Integrationskursen wie an sämtlichen Schulen der Republik muss Raum für Debatten geschaffen werden, müssen Kenntnisse zur Zeitgeschichte vermittelt werden und zur Psyche, etwa zur Dynamik von Vorurteilen und Sündenbocksuche. Nur das stärkt die gesamte Gesellschaft.

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