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Warnt vor einer "Schreckenszeit" in Afghanistan. Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik.

© Kai-Uwe Heinrich

Joschka Fischer zur Kundus-Eroberung der Taliban: „Es beginnt eine neue Schreckenszeit für die Afghanen“

Ex-Außenminister Fischer rechnet mit einer Verschlechterung der Lage in ganz Afghanistan. Die Kundus-Eroberung sei aber „von uns nicht zu verhindern“ gewesen.

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Nach der Eroberung der Stadt Kundus im Norden Afghanistans durch die Taliban warnen Politiker und Experten vor der Eroberung des gesamten Landes durch die radikalislamischen Aufständischen. Die Taliban hatten die Provinzhauptstadt mit ihren 370.000 Einwohnern nach langer Belagerung und und heftigen Kämpfen am Sonntag eingenommen.

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In Deutschland ist Kundus vor allem bekannt, weil die Bundeswehr jahrelang in der Nähe ein großes Feldlager unterhalten hatte.

In den vergangenen zwei Tagen hätten die Islamisten ihre Angriffe intensiviert, berichteten lokale Politiker. Es sei zu schweren Gefechten mit Regierungstruppen gekommen. Abgesehen von einer Militärbasis drei Kilometer vom Stadtzentrum und dem Flughafen kontrollierten die Taliban die ganze Stadt. Die Bewohner hätten weder Wasser noch Essen. Sie hielten sich in ihren Häusern versteckt.

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Der frühere Außenministers Joschka Fischer (Grüne) rechnet nach dem Fall von Kundus mit einer Verschlechterung der Lage im ganzen Land. „Es beginnt eine neue Schreckenszeit für die Afghanen“, sagte Fischer dem Tagesspiegel. Die Eroberung der Stadt sei allerdings „von uns nicht zu verhindern“ gewesen. „Entscheidend wird Kabul und was dann passiert“, meinte der Ex-Minister mit Blick auf die afghanische Hauptstadt.

Gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte Fischer im Jahr 2003 entschieden, ein Bundeswehr-Kontingent in den Norden Afghanistans zu schicken. „Wir mussten dorthin aus Bündnissolidarität“, sagte er nun.

Taliban kontrollieren mehr als die Hälfte der Bezirke

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), warnte vor einem internationalen „Desaster“ und stellte einen Beitrag der Bundeswehr zu einem neuen Militäreinsatz gegen die Taliban zur Debatte. Es bestehe die Gefahr, dass die Islamisten das ganze Land eroberten, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Es darf jetzt nicht zugelassen werden, dass sie militärisch einseitig Fakten schaffen.“ Dann bestehe auch keine Aussicht mehr auf eine politische Lösung.

Die afghanischen Streitkräfte kämpfen an zahlreichen Fronten wie hier in Kundus gegen die Taliban (Archivfoto).
Die afghanischen Streitkräfte kämpfen an zahlreichen Fronten wie hier in Kundus gegen die Taliban (Archivfoto).

© AFP

Die internationale Gemeinschaft müsse auch im Interesse eigener Sicherheit die Entwicklung stoppen. „Wenn es also militärische Fähigkeiten der Europäer, auch der Deutschen, gibt, die jetzt benötigt würden, dann sollten wir sie zur Verfügung stellen“, meinte Röttgen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass US-Präsident Joe Biden eine neue Militäroperation in Afghanistan beginnen wird. Er hatte entschieden, die US-Soldaten abzuziehen.

Auch nach Einschätzung des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig ist der Fall von Kundus ein wichtiger Erfolg für die Taliban. „Sie haben jetzt von dort und von Süd-Afghanistan aus die Option, auf Kabul zu marschieren“, sagte Ruttig dem Tagesspiegel. Sie könnten aber „auch darauf hoffen, dass die Hauptstadt – wie andere Städte – mehr oder weniger kampflos an sie fällt und dann eine politische ,Lösung’ diktieren“.

Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan Anfang Mai haben die Taliban mehrere Offensiven gestartet. Erst konnten sie vor allem im ländlichen Raum massive Gebietsgewinne verzeichnen. Heute kontrollieren sie mehr als die Hälfte der rund 400 Bezirke und mehrere Grenzübergänge. Zuletzt verlagerten sich die Kämpfe zunehmend in die Provinzhauptstädte.

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