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US-Präsident Joe Biden am Dienstag vor den Vereinten Nationen.

© Eduardo Munoz, Pool, AFP

Joe Bidens Rede vor den Vereinten Nationen: "Die Sehnsucht nach Würde ist Teil der menschlichen DNA"

US-Präsident Joe Biden will die Werte des Westens revitalisieren. Seine Rede vor der Uno war gut gemeint, aber substanziell zu dürftig. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Was will dieser Mann – von seinem Land, der Welt und Amerikas Partnern? Als Joe Biden noch im Wahlkampf um die Präsidentschaft war, sprach er viel über Versöhnung, Kompetenz und die Notwendigkeit, einen wertefundierten politischen Kompass zu haben. Dabei profitierte er vom Kontrast zu Donald Trump. Aus dessen „America First“ sollte „Decency First“ werden, also die Priorität des Anstands.

Nach acht Monaten Amtszeit sieht die Lage für ihn nicht rosig aus: Amerika ist gespaltener denn je, Corona wütet weiter, und seine Popularität befindet sich im Sturzflug; Tausende verzweifelte Haitianer versuchen, die Grenze zu den USA zu überqueren, wer es schafft, wird umgehend abgeschoben; der überstürzte Abzug aus Afghanistan verprellt Partner und lässt die Taliban triumphieren, der neue Sicherheitspakt im Indopazifik provoziert China und lässt Frankreich zürnen; derweil baut das Regime in Teheran seine atomaren Kapazitäten aus. In den kohlendioxidverdunkelten Sternen wiederum steht, ob die Weltklimakonferenz, die in wenigen Wochen im schottischen Glasgow stattfindet, die versprochenen 100 Milliarden Dollar Klimahilfe für ärmere Länder aufbringen wird.

Absage an Kriege und Militärinterventionen

Können die USA nach vier Jahren Trumpscher Chaos-Politik jetzt trotzdem wieder führen? Diese Frage musste Biden beantworten, als er am Dienstag in New York seine erste Rede als amerikanischer Präsident vor der UN-Vollversammlung hielt. Die Stichworte fielen schnell. Sie hießen Diplomatie, Partnerschaft, Bündnisse, Kooperation. Damit verbunden war eine erneut deutliche Absage an Kriege wie in Afghanistan und im Irak. Dieses Kapitel eines heillos überdehnten militärischen Engagements nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist endgültig abgeschlossen.

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Biden war bestrebt, die globale, transnationale Dimension der gegenwärtigen Herausforderungen zu betonen: den Klimawandel, die Corona-Pandemie, Cyberangriffe, die weltweite Armut. Er verband dies mit einem nicht ganz pathosfreien Appell an die Einhaltung von Menschenrechten und menschlicher Würde. Überall auf der Welt sei das Verlangen nach Würde, der „Ruf nach Würde“, zu hören.

Ein weiter Weg über ein langes Drahtseil

Dabei musste er den Namen des Landes nicht aussprechen, auf das seine Regierung den Fokus gerichtet hat – China. Biden will keinen neuen Kalten Krieg, sondern einen harten Wettbewerb der Systeme. Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft, Demokratie gegen Autokratie, Menschenrechte gegen Unterdrückung. Er will die Werte des Westens offensiv gegen autokratische Regime in Stellung bringen. Die Rivalität soll einerseits umfassend sein, also über den Bereich des Ökonomischen hinausgehen, andererseits Raum lassen für globalpolitische Verständigungen, etwa in Sachen Klimaschutz.

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Das wird ein weiter Weg über ein langes Drahtseil. Harte Werte- und Wirtschaftskonkurrenz, die gedeihliche Klimaschutz-Kooperation einschließt: Der Plan steht unter dem Vorbehalt, dass beide Seiten zu jeder Zeit darin übereinstimmen, die Bereiche strikt zu trennen, um Fehldeutungen und Missverständnisse zu vermeiden.

Die Sehnsucht nach Freiheit, Würde und Menschenrechten liege in der menschlichen DNA, sagte Biden, sie sei universell. Dass viele Frauen in Afghanistan künftig kaum mehr Aussichten darauf haben, diese Sehnsucht zu befriedigen, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack dieser Rede. Sie war gut gemeint, aber substanziell zu dürftig, um dem Führungsanspruch der Vereinigten Staaten neue Impulse zu verleihen.

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