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Wahlkampf der US-Demokraten: Joe Biden beim Drive-In-Town-Hall

© AFP/Getty Images/Drew Angerer

Joe Biden im Drive-in-Town-Hall: Wahlkampf mit Abstand zum Wähler – und die Zeit wird knapp

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Während Trump begeisterte, maskenlose Anhänger aufpeitscht, tritt Biden vor wenigen Menschen mit Abstand auf. Reicht das?

Schon zwei Stunden, bevor Joe Biden eintrifft, säumen aufgekratzte Menschenmengen die Zufahrtsstraße zum PNC Field in Moosic, einem Stadtteil von Scranton/Pennsylvania. Auf dem Parkplatz des Baseballfelds soll der demokratische Präsidentschaftskandidat gleich sein erstes „Town Hall“ seit Beginn der Coronakrise abhalten.

Doch die meisten, die am Straßenrand neben ihren Pickups stehen und zu lauter Musik Flaggen schwenken und johlen, sind keine Unterstützer des ehemaligen Vizepräsidenten. Es sind Ultra-Fans von US-Präsident Donald Trump.

Sie sind gekommen, um Biden, der in Scranton die ersten sieben Jahre seines Lebens verbrachte, zu zeigen, dass dies nun „Trump-Land“ sei. So heißt es in ihren Aufrufen in den sozialen Netzwerken. Auf ihren Schildern steht ihr politisches Glaubensbekenntnis: „Pro-Life, Pro-Gun, Pro-TRUMP. PERIOD!“ Sie sind gegen Abtreibung, für Waffen und ganz besonders: für Trump.

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Nur knapp 100 Teilnehmer sind zugelassen

Mit gebotenem Abstand harren auch ein paar Biden-Fans aus, aber sie sind hier in der Minderheit, die andere Seite hat dafür offensichtlich besser mobilisiert. Nicht nur ihre Kampagnenschilder unterscheiden die Biden-Leute, sondern vor allem auch die Tatsache, dass sie Masken tragen.

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Beim Town Hall am Donnerstagabend (Ortszeit) selbst sind nur knapp 100, von CNN handverlesene Zuschauer zugelassen, es ist auch für den Sender ein neues Format. Das Event ist erstmals als „Drive-in“ geplant, das heißt, die Fragesteller sind in ihren Fahrzeugen vorgefahren und parken in mehreren Reihen vor der Freiluft-Bühne, auf der Biden und der CNN-Moderator Anderson Cooper stehen. Wer mit seiner Frage dran ist, stellt sich auf eine leicht erhöhte Plattform neben dem Auto.

Die Coronakrise macht kreativ. Biden hat aus Rücksicht auf die Pandemie lange Zeit sein Haus in Wilmington im Bundesstaat Delaware nicht verlassen. Wohl zum einen, weil er mit 77 Jahren selbst zur Risikogruppe zählt. Aber vor allem deswegen, weil die Demokraten die Bedrohung durch das Virus viel ernster nehmen als die Republikaner.

Biden liegt in den Umfragen vorne - aber reicht das?

Dazu kommt, dass er in den Umfragen sowohl landesweit als auch in den als womöglich wahlentscheidend angesehenen Bundesstaaten seit Monaten vor Trump liegt und daher der Handlungsdruck auch nicht allzu hoch war.

Doch das Trauma der Demokraten von 2016, als kaum einer glaubte, dass sich Trump gegen Hillary Clinton durchsetzen würde, sitzt tief. Ganz besonders alleine im wegen seiner Größe und damit wegen der Zahl der Wahlmännerstimmen wichtigen Pennsylvania, wo der Republikaner mit gerademal 44.000 Stimmen Vorsprung siegte. Je näher der Wahltermin rückt, umso größer wird die Nervosität, dass Trump am 3. November eine ähnliche Überraschung schaffen könnte.

Für Biden ist dieser Abend daher ein weiterer Schritt auf dem Weg zu etwas mehr Wahlkampf-Normalität. Ein überfälliger, meinen viele. Denn der Amtsinhaber fliegt schon längst wieder kreuz und quer durch die besonders umkämpften Bundesstaaten und mobilisiert seine Anhänger – selbst vor Indoor-Rallyes schreckt er nicht zurück, obwohl das gegen Auflagen verstößt.

In 46 Tagen wird gewählt

Dagegen wirkt die bislang in großen Teilen virtuell stattfindende Kampagne von Biden und Kamala Harris, die er als seine Vizepräsidentschaftskandidatin ausgewählt hat, eher blass.

Viel Zeit bleibt nicht mehr: In 46 Tagen wird gewählt. Und in elf Tagen findet bereits das erste direkte TV-Duell der beiden Kandidaten statt. Darum also das Town-Hall-Drive-in, ein Format, das Biden liegt, weil er endlich mal direkt mit den Wählern interagieren kann. Da liegen seine Stärken. Auch ist das Event eine gute Übung für die anstehende Konfrontation mit Trump.

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Der Abend meistert Biden ordentlich, auch wenn er auf manche Fragen nur ausweichend oder gar nicht richtig antwortet. Da hilft ihm, dass Moderator Cooper nur selten richtig nachhakt. Zwar verhaspelt sich Biden immer noch vergleichsweise häufig, was unter anderem daran liegt, dass er als Kind gestottert hat. Aber er wirkt frischer, als der Spott des Gegners – Trump nennt ihn immer „Sleepie Joe“ – es glauben machen soll.

Die meisten Fragesteller sind Demokraten

Vor allem die Anfangsfragen kommen ihm entgegen, die meisten Fragesteller sind ohnehin Demokraten und ihm wohlgesonnen. Eine schwarze Frau mit Kopftuch, deren Schwester an Corona gestorben ist, fragt ihn nach seinen Plänen im Umgang mit der Pandemie. Und danach, wie der Präsident in der Krise handelt. Andere Fragesteller wollen wissen, wie ernst er das mit dem Maskenzwang meint, den er für den Fall seines Wahlsiegs angekündigt hat. Oder wie verpflichtend er eine Impfung machen würde, wenn denn ein Impfstoff gefunden wäre.

Das sind Fragen, mit denen Biden gut umgehen kann. Er betont, dass er auf die Experten wie den Top-Virologen Anthony Fauci hören würde (anders als Trump), wenn es um den Zeitpunkt der Impfungen gehe. „Wenn Fauci sagt, dass der Impfstoff sicher ist, werde ich mich impfen lassen. Wir hören auf Wissenschaftler, nicht auf den Präsidenten.“

Auf das Argument der Republikaner, es sei die persönliche Freiheit, sich für oder gegen das Tragen von Masken zu entscheiden, entgegnet er, es gehe darum, Menschenleben zu retten, und es sei auch Freiheitsberaubung, wenn alte Menschen ihre Familien nicht sehen könnten, weil das Virus sich weiter ausbreite. Gleichzeitig warnt er davor zu glauben, dass ein Impfstoff sofort einen hundertprozentigen Schutz bieten werde.

Er spielt die Karte seiner Herkunft

Bei Fragen nach seinen Plänen zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosenzahlen antwortet er ausweichender. Und populistischer. So sagt er, die „Superreichen“ müssten ihren „fairen Anteil“ an Steuern zahlen, damit seine Regierung ihre Pläne umsetzen könne.

Auch spielt er die Karte seiner Herkunft aus Scranton, einer ehemaligen Bergbaustadt, ziemlich offensichtlich. Hier in der Gegend, so sagt Biden, werde man so erzogen, dass harte Arbeit etwas zähle. Der Präsident denke dagegen nur an die Wall Street, das schnelle Geldverdienen. „In meiner Nachbarschaft in Scranton besitzen nicht viele Akten“, sagt er, obwohl er seit 70 Jahren hier nicht mehr lebt.

Einem Polizisten im Ruhestand, der sich besorgt über die zunehmende Gewalt in den Städten zeigt und beklagt, dass der Polizei respektlos begegnet werde, versichert er, dass er jegliche Gewalt ablehne, „von allen Seiten“. Aber in Trumps Amerika fühle sich der Polizist doch auch nicht sicherer, fragt er ihn zurück und dankt ihm dann für seinen Einsatz.

Beim Thema Fracking versucht er den Spagat

Beim Thema Fracking, das in Pennsylvania eine große Rolle spielt, versucht er den Spagat zwischen den Forderungen vor allem vom linken Flügel seiner Partei, der diese Technik als klimaschädlich ablehnt, und den Erwartungen der Menschen in der unter dem Strukturwandel leidenden Region, die auf diese Industrie setzen und hoffen, dass so neue Jobs entstehen. Ja, er unterstütze Fracking, sagt Biden, und auf die Nachfrage des Moderators ergänzt er, „als eine Übergangstechnologie“.

Interessant für die Auseinandersetzung mit Trump wird noch werden, dass er Russland als „Gegner“ und China als „Wettbewerber“ bezeichnet. Der US-Präsident wirft ihm immer wieder vor, zu weich gegenüber China zu sein. Dagegen sorgt die Demokraten Trumps Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Zum Ende der rund 80 Minuten dauernden Fragerunde kann Biden dann wieder seine Hauptbotschaft aus dem Vorwahlkampf loswerden: Dass er das tief gespaltene Land wieder vereinen wolle und könne, als Präsident aller Amerikaner, nicht nur derjenigen, die ihn wählen würden. Er habe seine ganze Karriere darauf gebaut, Menschen zusammenzubringen. „Da bin ich ziemlich gut drin.“

Bewegt der Abend etwas?

Wenn Trump erst „aus dem Weg“ sei, werde es auch wieder einfacher, Gesetze durch den derzeit blockierten US-Kongress zu bringen. „Da bin ich sehr zuversichtlich“, sagt er, und dass sich dann wieder Republikaner bereiterklären würden, mit der anderen Seite zusammenzuarbeiten. Dafür gibt es Applaus. Dann ist der Abend vorbei.

Bleibt die Frage, was solche Auftritte vor sehr begrenztem Publikum wirklich bringen. Begeisterungsstürme lösen sie nicht aus, dafür braucht es mehr Menschen – und wohl auch weniger Distanz. Reicht es, dass, wie es eine CNN-Kommentatorin ausdrückt, Biden gezeigt hat, dass er „mit den Fragen umgehen kann“ - also keine großen Fehler gemacht hat?

So oder so werden die Demokraten wohl bei diesem Vorgehen bleiben. Das Kontrastprogramm liefert der Präsident gleich anschließend von Wisconsin aus, einem anderen „Battleground State“. Laut, skrupellos und ja: vor begeisterten Anhängern.

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