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In Leipzig überführten Flüchtlinge einen mutmaßlichen Terroristen.

© AFP

#jetztschreibenwir: Der Terrorist in meinem Zimmer

Sie sind vor Extremisten aus Syrien geflohen. Jetzt sehen Flüchtlinge mit Sorge, dass die Gefahr auch in Deutschland groß ist. Sie kämpfen gegen verdächtige Landsleute.

Shahin* wollte eigentlich nicht über die Angelegenheit reden. Doch das Thema ist ihm so wichtig, dass er sich überwindet. „Wir werden mit ihm fertig, aber auf legale, sachliche Weise. Auf deutsche Weise“, sagt er schließlich. Er meint den Mann, vom dem er glaubt, dass er mit einer Terrororganisation in Verbindung steht. Shahin hat ihn deshalb ganz genau ins Visier genommen.

In Deutschland und Europa haben viele Menschen Angst davor, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen kommen. Als Syrer zuletzt einen gesuchten Terrorverdächtigen in Leipzig überwältigten, wurde aber auch deutlich, dass viele Flüchtlinge sich gegen Terrorismus einsetzen – und dabei viel riskieren. Menschen wie Shahin. Er ist ein junger Ingenieur, der aus Syrien flüchtete, nachdem er sowohl von der Regierung als auch der Opposition verfolgt worden war. Jetzt lebt er in der Kleinstadt Voerde in Nordrhein-Westfalen.

Wie er auf den Verdächtigen Abu Omar, der in Wirklichkeit anders heißt, aufmerksam wurde? „Lügen haben kurze Beine“, sagt Shahin. Abu Omar habe immer wieder andere Geschichten erzählt und sich in Widersprüche verstrickt. Zum Beispiel habe er gesagt, seinen Arm in einem Bombenhagel verloren zu haben, in den er zufällig hineingeraten sei. „Später gab er jedoch zu, dass er direkt an Bodenkämpfen beteiligt war.“

Da kamen den Syrern, die mit Abu Omar zusammen im Flüchtlingsheim wohnen, Zweifel auf, die sich weiter verstärkten. So will ein anderer Landsmann gehört haben, dass Abu Omar in Syrien Kommandeur eines Selbstmordkommandos war. Nichervan* teilte mit Abu Omar ein Zimmer und hatte zunächst Mitleid mit dem behinderten Mann. „Als wir uns immer besser verstanden, sagte er mir, dass er sich der Al-Nusra-Front angeschlossen hat“, erzählt Nichervan. Die Al-Nusra-Front ist ein Ableger von Al Qaida, hat sich vor Kurzem formell von dem Terrornetzwerk losgesagt.

Shahin hat mitbekommen, wie sich der mutmaßliche Terrorist in den vergangenen zwei Monaten komplett isoliert hat. Außerdem soll er radikale Sprachnachrichten in sozialen Medien verbreitet und anderen Anweisungen für den Kampf gegeben haben. Tatsächlich ist Abu Omar auf mindestens vier Facebook-Seiten aktiv, die extremistische Ansichten verbreiten. Den Flüchtlingen in seinem Heim fiel auf, dass er oft neue Sim-Karten für Handys kauft. Und als sie ihn fragten, warum er sich nicht für den Familiennachzug bewirbt, sagte er nach Angaben von Shahin: „Ich habe hier so viele Ungläubige gesehen, das ist unbeschreiblich.“

Hinweise auf Terror

Nichervan gibt etwas kryptisch zu verstehen, dass die deutschen Behörden Bescheid wüssten über die Tätigkeiten des Terrorverdächtigen: „Wir haben getan, was nötig war.“ Auch Shahin sagt, er habe sein Wissen durch einen Mittelsmann an die Polizei weitergegeben. Das sind keinesfalls Einzelfälle. Viele Flüchtlinge informieren die Behörden, wenn ihnen Aktivitäten auffallen, die mit Terrorismus in Zusammenhang stehen könnten. Sie wollen Terroristen in Deutschland unter keinen Umständen dulden.

Nach Informationen der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen in Bonn gehen täglich 25 bis 30 Hinweise auf Terrorverdächtige ein. Zudem betreibt der Bund eine Telefonhotline, die Hinweise aus der Bevölkerung entgegennimmt. „Zunehmend melden sich auch Menschen mit arabischem oder türkischem Hintergrund“, heißt es dort. Wenn ihnen etwas auffällt, informieren die meisten Flüchtlinge aber Menschen, zu denen sie Vertrauen gefasst haben, Sozialarbeiter oder ehrenamtliche Helfer. „Bei einigen geht es darum, dass jemand sein Verhalten geändert hat“, heißt es von der Behörde. „Selten geht es auch um konkrete Anschlagspläne.“

So wie bei dem Fall, den Salim* beobachtet hat. Vor zwei Jahren kam er in eine Stadt mitten in Deutschland, mehr will er zu seinem Aufenthaltsort nicht sagen. Er teilte sich ein Zimmer mit einigen anderen Flüchtlingen. „Einer behauptete, den Dschihad hier fortführen zu wollen“, sagt Salim. Der Mann habe erzählt, Anweisungen von den Anführern bekommen zu haben und auf weitere Instruktionen zu warten. Salim meldete das sofort der Polizei. Die hatte zwar keinen konkreten Anhaltspunkt, um den verdächtigen Mann festzunehmen, aber er steht seither offenbar unter verstärkter Beobachtung.

Radikalisierung verhindern

Anderen Flüchtlingen wie Mohammed K. gehen die Maßnahmen der Behörden nicht weit genug. Am Rande eines Deutschkurses sei er von Teilnehmern aufgefordert worden, sich ihren fundamentalen Sichtweisen anzuschließen, sagt er. „Sie haben mich bedroht und versucht, mich zu schlagen. Ich habe das der Polizei gesagt, die aber nichts unternommen hat.“ Mohammed K. hat den Kurs daraufhin abgebrochen und bei der lokalen kurdischen Gemeinschaft um Rat gefragt.

„Wir raten den Flüchtlingen, sofort einen Sozialarbeiter oder die Polizei einzuschalten“, sagt Sipan Ibrahim, der Vertreter der syrischen Kurden in Deutschland. Um zu vermeiden, dass sich Jugendliche radikalisieren, sei es wichtig, die Familien zu sensibilisieren: „Wir bitten Eltern, mit den Kindern das Gespräch zu suchen, sobald sie derartige Tendenzen wahrnehmen.“ Eine Radikalisierung früh zu erkennen und zu verhindern, ist nach Ansicht der Behörden vor allem eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. „Zu einer effektiven Präventions- und Deradikalisierungsarbeit gehört eine koordinierte Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz, anderen Behörden sowie zivilgesellschaftlichen Stellen“, erklärt das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Auch der syrische Flüchtling Shahin wird sich weiter dafür einsetzen, dass es in Deutschland gar nicht erst zu Terrorakten kommt. Das Problem ist aber größer, als es sich Shahin vor seiner Flucht vorgestellt hatte. „Der Krieg ist überall“, sagt er. „Nur die Regeln sind andere.“

*Namen von der Redaktion geändert

Aus dem Englischen übersetzt von Katrin Schulze.

Der 37-jährige Autor Juan Akkash war politischer Gefangener in Syrien und ist 2012 nach Griechenland geflohen. Im vergangenen Jahr kam er nach Deutschland. Er arbeitete in Nordsyrien als Multimedia-Journalist und ist jetzt für kurdische und internationale Medien tätig. Sein Text erscheint im Rahmen der Tagesspiegel-Ausgabe vom 15. Oktober 2015, die von geflüchteten Journalisten gestaltet worden ist.  

Juan Akkash

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