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Warten auf einen Corona-Test: Schlange vor einer Arztpraxis in Berlin-Neukölln

© dpa/Kay Nietfeld

„Jeder zweite fühlt sich heute schlechter“: Coronakrise schlägt der „Generation Mitte“ kräftig aufs Gemüt

Die Pandemie macht einer Studie zufolge aus den 30- bis 59-Jährigen eine verunsicherte Generation – die ihre Hoffnung für die Zukunft fast völlig verloren hat.

Die Krise trifft sie mitten in der „Rush Hour des Lebens“. Kinder kriegen, die Karriere vorantreiben, vielleicht Angehörige pflegen – rund 35 Millionen Menschen in Deutschland zählen zur „Generation Mitte“, zu den 30- bis 59-Jährigen, die voll im Leben stehen und viel leisten müssen. Sie erwirtschaften über 80 Prozent der steuerpflichtigen Einkünfte in Deutschland, stellen rund 70 Prozent der Erwerbstätigen. Sie sind sozusagen das Rückgrat der Gesellschaft.

Umso härter spürt die „Generation Mitte“ die Folgen der Corona-Pandemie – mit Blick auf die wirtschaftliche Lage, aber auch hinsichtlich des eigenen Lebensgefühls. Ein beispielloses Stimmungstief macht diese Altersgruppe momentan durch, wie eine aktuelle Untersuchung des Allensbach-Instituts zeigt, für die rund 1000 Männer und Frauen befragt wurden. „Das gesellschaftliche Klima ist im Keller“, heißt es in der Studie.

Tatsächlich sind die Ergebnisse alarmierend: Die „Generation Mitte“ verliert in weiten Teilen nicht nur die Hoffnung, sie ist schwer belastet von der Krise – und dazu noch tief gespalten. „Jeder Zweite fühlt sich heute schlechter als vor der Krise“, sagt Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher. „Die große Mehrheit sieht mehr Aggressionen und Egoismus als wachsende Solidarität.“ Eine Zunahme der Hilfsbereitschaft erkennen nur 13 Prozent.

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„Es geht mir schlechter“

Insgesamt glaubt eine Mehrheit, dass die Pandemie das Land nachhaltig verändern werde, aber nicht zum Besseren. „Die mittlere Generation hat das Gefühl in einer kälteren, einer ungemütlicheren Gesellschaft zu leben als zuvor“, sagt Köcher. 2019 blickten noch 46 Prozent optimistisch in die Zukunft, inzwischen sind es nur noch 22 Prozent. 48 Prozent sagen über das Jahr 2020: „Es geht mir schlechter.“

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Der Stimmungseinbruch hänge vor allem mit der Ungewissheit in Coronazeiten zusammen, sagt Köcher. Trotz der Hoffnung auf einen Impfstoff stellen sich rund 70 Prozent auf einen längeren Ausnahmezustand ein – und sehen diese Unsicherheit als die derzeit stärkste Belastung an. 50 Prozent halten Einschränkungen wie Besuchsverbote für das größte Problem.

43 Prozent haben Angst davor, dass Kitas und Schulen bald wieder schließen müssen. Dass derzeit Auslandsreisen kaum möglich sind, stört hingegen nur 16 Prozent der Befragten. Auch die Angst vor einer Infektion ist vergleichsweise gering. Nur jeder Dritte macht sich darüber große Sorgen.

Viele Frauen wollen nicht mehr zurück in den alten Alltag

Weniger zu reisen, das ist die größte Veränderung im Alltag, die die Menschen spüren. 58 Prozent sehen das so. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) gibt aber auch an, während der Pandemie etwas dazugelernt zu haben, nämlich mehr zu schätzen, was man früher als selbstverständlich angesehen hat. 52 Prozent der Befragten wollen allerdings nach der Krise so schnell zurück zu ihrem gewohnten Alltag – vor allem die Männer. Mehr Zeit mit der Familie und weniger Hektik wünscht sich jeweils rund ein Drittel für die Zeit nach Corona.

Renate Köcher ist Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach.
Renate Köcher ist Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach.

© picture alliance/Bernd von Jutrczenka

Besonders die Frauen wollten mehr Entschleunigung, sagt Köcher. Der „Spagat“ zwischen Beruf und Familie sei für sie schon vor der Pandemie oft eine „Überdehnung“ gewesen. Rund 60 Prozent der Männer, so formuliert es Köcher, sagten: „Gebt mir ein altes Leben zurück.“ Bei den Frauen wünschten sich das weniger als die Hälfte.

Die Verlierer und die anderen

Geteilt blickt die „Generation Mitte“ auf die finanziellen Folgen der Pandemie. „Wir sehen, dass diese Wirtschaftskrise die Gesellschaft spaltet“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft, der die Studie in Auftrag gegeben hat. So haben mehr als 40 Prozent der Befragten in der Pandemie bereits Einkommenseinbußen hinnehmen müssen oder befürchten dies. Jeder vierte hat Angst um den eigenen Arbeitsplatz.

Knapp die Hälfte rechnet hingegen mit keinerlei negativen Folgen für das eigene Einkommen. Von einer „unterschiedlichen Betroffenheit“, spricht Asmussen. In anderen Worten: Die ungleiche Verteilung der Lasten in der Krise teilt die „Generation Mitte“ in zwei Lager – Verlierer der Krise und solche, die kaum belastet sind.

Insgesamt ändere sich auch der Blick auf die Globalisierung und „abgeleitet auf die soziale Marktwirtschaft“, sagt Asmussen. Eine große Mehrheit von 75 Prozent macht sich große Sorgen um die wirtschaftliche Lage in Deutschland. „Gleichzeitig teilen immer weniger Menschen den Eindruck, dass die deutsche Wirtschaft von der Globalisierung vor allem profitiert“, heißt es in der Studie. Heute sind nur noch 48 Prozent von den Vorteilen der Globalisierung überzeugt, 41 Prozent geben ihr sogar eine Mitschuld an der Pandemie. Vor drei Jahren sah noch eine Mehrheit von 64 Prozent die Globalisierung positiv.

Ähnlich groß ist die Skepsis mit Blick auf den Klimawandel. Der werde sich nicht mehr stoppen lassen, sind 63 Prozent sicher – auch, weil die Bundesregierung zu wenig tue, wie rund die Hälfte der Befragten meint. Für Asmussen ist das ein Alarmsignal: „Erstmals lehnt eine Mehrheit der ‘Generation Mitte’ die Idee der Globalisierung ab“, sagt er. „Das macht mir Sorgen, denn ohne starke internationale Kooperation, insbesondere in der EU, werden wir weder Corona noch den Klimawandel meistern.“

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