zum Hauptinhalt
In Berlin winken sie huldvoll vom Balkon.

© Maurizio Gambarini, dpa

Jamaika-Sondierung: Ein Scheitern wäre fatal für die Republik

Deutschland braucht rasch eine stabile Regierung. Doch im Augenblick fragt man sich, wie soll eine Jamaika-Koalition eigentlich zusammenarbeiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Mit dem, was bisher vereinbart ist – wenn man das Wort überhaupt in den Mund nehmen will –, dürften sich die Jamaika-Sondierer ganz bestimmt nicht vor ihre Basis trauen. Denn bisher besteht Konsens nur im Dissens. Mehr als 120 Fragen sind noch offen,mehr als Überschriften sind nicht gefunden, und in einigen Fällen nicht mal das – wie nennt man so was? Unprofessionell ist das Mindeste.

Das ist deshalb so kritikwürdig, weil nun doch schon etliche Wochen ins Land gegangen sind seit der Bundestagswahl und noch etliche ins Land gehen werden, obwohl es erklärtermaßen eine stabile Regierung braucht. Das wichtige, ja mächtige Deutschland inmitten Europas im Interregnum? Das verbietet sich, eigentlich. Wobei es nur schon das Wort eigentlich nicht geben sollte.

Der Unwille wächst

Die Welt ist in Aufruhr, die Zahl der Krisen wird nicht geringer, vielmehr werden die Krisen gerade noch schärfer, die USA unter Trump geben ihren Führungsanspruch zur Durchsetzung der Demokratie als bester aller möglichen Staatsformen im Grunde genommen auf, stattdessen powern die Chinesen ihr autokratisches Modell – und die deutsche Politik genügt sich in Kleingeistigkeit. Als ginge es nicht darum, Staat zu machen, in jederlei Hinsicht, sondern nur billige Punkte gegen den anderen. Wie sollen die zusammenarbeiten, fragt man sich da.

Man stelle sich vor, sie regieren, wie sie sondieren! Dann werden die Koalitionäre nicht erst in Neuwahlen erfahren, wie sie gesehen werden. Landauf, landab wächst der Unwille – nur in Berlin winken sie weiter huldvoll vom Balkon? Die vier Parteien scheinen in einer Blase gefangen zu sein, die sie abschließt von der Wirklichkeit. In der wird erwartet, dass sie sich, verdammt noch mal, einigen. Aber nicht auf Kleckerkram, indem ein Spiegelstrich nach dem anderen abgearbeitet wird, nur das Ganze dann keinen Sinn ergibt, sondern darauf, wie sie Europa konsolidieren, die Wirtschaft reformieren, Integration fördern und die Gesellschaft erneuern wollen. Ehe für alle, das dritte Geschlecht – hier kommt eine Riesenchance, das Deutschland der Zukunft zu bauen, eines der gelebten Teilhabe und Gleichberechtigung. Die Mega-Herausforderung der Arbeitswelt – völlig flexibilisierte Arbeitszeiten durch die Digitalisierung – ist noch nicht einmal benannt, nur angetippt.

Scheitern wäre fatal

Darum muss dringend Professionalität einziehen, Organisation für eine Koalition. Wenn die Grünen schon einseitig abrüsten, wo bleiben dann außer der FDP die CDU und CSU? Kurz: Wer jetzt Vorschläge macht, der sollte sich gleich versichern, dass die anderen nachziehen, Zug um Zug, damit das Ganze etwas wird. Und die Union, die großsprecherisch staatsbürgerliche Verantwortung einfordert, soll sie jetzt ganz schnell mal selbst beweisen. Von der Verantwortung der Bundeskanzlerin zu schweigen. Darüber zu reden hat ja wenig Sinn.

Und was, wenn sie nicht zusammenkämen? Besser, das passiert nicht. Denn wenn fünf von sieben Parteien nicht miteinander regieren können oder wollen, würden das die Republik, wie wir sie kennen, implodieren lassen. Nennen wir sie die zweite Republik; zweite deshalb, weil sie die zweite demokratische nach dem Krieg wäre. Die Folgen ihres Scheiterns wären nicht nur ein Mehr an Populismus, sondern an Extremismus. Nach dem Motto: Die können es nicht mehr, da muss was anderes her.

Zur Startseite