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Was will die CDU nach dem Abgang von Angela Merkel? Inhaltlich sind viele Fragen offen.

© John MACDOUGALL/AFP

Jamaika oder Schwarz-Grün nach der Wahl?: Die CDU verkörpert die alte Mitte – die neue ist grün

Die CDU braucht neue Partner, wenn sie weiterhin führen will. Dazu muss sie sich inhaltlich modernisieren. Ein Gastbeitrag.

Der Autor leitet die Denkfabrik „Zentrum Liberale Moderne“. Zuvor war der Grünen-Politiker Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Dieser Text ist ein aktualisierter Auszug aus einem Aufsatz in dem von Norbert Lammert herausgegebenen Buch „Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU“ (Siedler). Anlass ist das 75-jährige Bestehen der Partei. Lammert stellt das Buch am Donnerstag, 27. August, ab 18 Uhr gemeinsam mit der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin vor (Link zum Live-Stream unter www.kas.de).

Die bundesdeutsche Parteienlandschaft ist im Umbruch. Die alte Mitte erodiert, das Parteiensystem splittert sich auf, Mehrheitsbildung wird komplizierter. Zuerst traf es die SPD. Mit den Grünen erwuchs ihr schon in den 1980er Jahren eine Alternative im linksalternativen Spektrum, mit der Umwandlung der SED in eine bundesweite Partei eine Alternative für enttäuschte Traditionslinke. Vom Riss zwischen Traditionalisten und Modernisierern, verursacht durch die Hartz IV-Reformen, hat sich die SPD bis heute nicht erholt.

CDU und CSU mochten sich eine Zeit lang in der Illusion wiegen, sie blieben vom Schicksal der SPD verschont oder könnten davon sogar profitieren. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Union von einer ähnlichen Dynamik erfasst wird. Auch sie ist immer weniger in der Lage, die Ausdifferenzierung der Gesellschaft auf einen politischen Nenner zu bringen.

Sie kann die Spannbreite zwischen altkonservativen Milieus und jungen Frauen, traditionellem Mittelstand und Start-up-Szene, ländlichen Gebieten und Großstädten, Christen und Atheisten, aufstrebenden Migranten und in Abwehr verharrenden Teilen ihrer Wählerschaft nicht mehr halten. Wie die Sozialdemokratie hat auch die Union ihre programmatische Modernisierung verpasst.

Auf die großen Zukunftsfragen – Klimawandel, digitale Revolution, Einwanderungsgesellschaft, Umbruch der Geschlechterverhältnisse, wie weiter mit der Europäischen Union, neue Welt-Unordnung – hat sie bestenfalls zaghafte Antworten. Sie agiert, spricht, denkt eher in Kategorien der Vergangenheit.

Die Mega-Trends kommen den Grünen zugute

Ich zähle diese inneren Konfliktlinien der Union auf, weil sie auch für die Frage nach künftigen Koalitionen hochrelevant sind. Jede denkbare Kombination ist mit politischen Kosten und Risiken verbunden. Gleichzeitig ist nicht ausgemacht, welches Bündnis die besten Chancen bietet, sich zu konsolidieren und das eigene Terrain wieder zu erweitern.

Mitte 2019 zeigten die Umfragen ein Patt zwischen der Union und den Grünen. Mit der Coronakrise haben CDU und CSU zwar ihre Position als stärkste Partei wiedergewonnen. Noch zehren sie vom Angela-Merkel-Bonus. Die Union kann allerdings nicht darauf bauen, dass sich der Umfrage-Höhenflug der Grünen als schnell vergänglich entpuppt.

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Die bundesweiten Erfolge in den Großstädten sprechen eine andere Sprache. Der anhaltende Vorsprung der Grünen in einem Industrieland wie Baden-Württemberg, einem Stammland der CDU, ist ein Warnsignal. Von der neuen Klima-APO bis zum Zurückdrängen der Autos aus den Städten, von Antidiskriminierung und gleichberechtigten Partnerschaften bis zu erweiterter Bürgerbeteiligung – die Megatrends kommen vorrangig den Grünen zugute.

Die CDU hat drei Optionen, um mehr Wähler anzuziehen

Wollen die CDU und ihre bayerische Schwester wieder stärker werden, bleiben nur drei Optionen. Sie können erstens versuchen, verstärkt Nichtwähler zu mobilisieren. Aufgrund der Heterogenität der abstinenten Bürger ist das eine Option mit vielen Unbekannten.

Sie können zweitens auf bürgerlich-konservative Wähler der AfD zielen, die mit der Radikalisierung dieser Partei nicht konform gehen. Um nennenswert Wähler von der AfD zurückzuholen, müsste die Union in der Migrations- und Europapolitik so weit nach rechts rücken, dass sie in der Mitte mehr verliert, als sie am rechten Rand gewinnt. Klüger ist es, einen klaren Trennungsstrich zur AfD zu ziehen.

Drittens kann die Union die Auseinandersetzung mit den Grünen um die Herzen und Köpfe der „neuen Mitte“ aufnehmen. Das heißt nicht, die grünen Emporkömmlinge zum Hauptgegner zu erklären. Vielmehr geht es um einen Wettbewerb um die besten Köpfe, Ideen und Konzepte für die Zukunft der Republik.

Die Partei braucht Antworten auf Fragen, die sie bisher vermieden hat

Die Union muss als letzte klassische Volkspartei „versöhnen statt spalten“, um es mit den Worten des vormaligen Bundespräsidenten Johannes Rau zu sagen. Dazu muss sie Antworten auf Fragen finden, die sie zulange hat brachliegen lassen.

Dazu gehört, erstens, das große Erbe der CDU, die Soziale Marktwirtschaft. Es geht um eine Leitidee für eine gute Ordnung der Wirtschaft, die auf Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung der Einzelnen setzt und zugleich kollektive Institutionen sozialer Sicherheit bereitstellt: Wie muss die Soziale Marktwirtschaft in Zeiten von Klimawandel und digitaler Revolution weiterentwickelt werden? Wie kann der demografische Wandel bewältigt und das Versprechen auf Wohlstand und Aufstiegschancen für alle erneuert werden? Was ist das christlich-demokratische Konzept von Gerechtigkeit? Die Union muss außerdem das Bremserhäuschen in der Klimafrage verlassen, wenn sie nicht vollends ins Hintertreffen geraten will.

Die CDU darf nicht länger beim Klimaschutz ausbremsen, wenn sie eine Partei der Mitte bleiben will.
Die CDU darf nicht länger beim Klimaschutz ausbremsen, wenn sie eine Partei der Mitte bleiben will.

© Christophe Gateau/ dpa

Gleichzeitig hat eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung den Eindruck, dass es in unserer Gesellschaft nicht gerecht zugeht. Die Ungleichheit der Vermögen und die Brisanz der Wohnungsfrage müssten eine Partei wie die Union ebenso umtreiben wie die starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft. Die CDU stand einst dafür, Wirtschaftskompetenz mit einem starken Sinn für soziale Teilhabe zu verbinden. Heute traut man ihr weder das eine noch das andere zu.

Ähnliches gilt für die Europapolitik. Strebt die CDU eine europäische Föderation an, in der die Mitgliedsstaaten auf den Status deutscher Bundesländer herabsinken und das Zentrum der Macht im europäischen Parlament und einer europäischen Regierung liegt? Oder will sie den Doppelcharakter der EU als einer Staaten- und Bürgerunion erhalten, in der dem Europäischen Rat das entscheidende Gewicht zukommt und die Staaten für ihre Politik haften? Oder nähert sie sich dem Konzept eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten an?

Realistische Koalitionsoptionen sind Schwarz-Grün und Jamaika

Solange die Union in diesen strategischen Fragen blass bleibt, wird es ihr kaum gelingen, die unangefochtene Nummer eins in der Parteienlandschaft zu bleiben. Das ist aber Voraussetzung, um in der Koalitionsfrage das Heft des Handelns in der Hand zu behalten. Zu wissen, wohin man will, ist auch geboten, um die richtigen Prioritäten in möglichen Koalitionsverhandlungen zu setzen.

Für eine schwarz-gelbe Mehrheit wird es auf absehbare Zeit nicht mehr reichen. Eine Fortsetzung der Koalition mit der SPD täte der Republik nicht gut, ganz abgesehen von der wachsenden gegenseitigen Aversion. Wenn man den Flirt mit der AfD ausschließt, bleiben der CDU als realistische Optionen für die kommende Bundestagswahl nur eine schwarz-grüne Mehrheit oder eine Jamaika-Koalition. Ein Bündnis zwischen alter und neuer Mitte wäre nicht die schlechteste Konstellation für die Bundesrepublik.

Ralf Fücks

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