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Verzweiflung der Vertreibung: Flüchtlinge während eines Treffens mit dem UN-Flüchtlingskommissar in Pretoria

© Phill Makgowe/AFP

Jahresbericht des UN-Flüchtlingskommissars: 100 Millionen Menschen sind auf der Flucht

Das UNHCR veröffentlicht einen neuen schrecklichen Rekord. Und weiter finden die meisten Vertriebenen in armen Nachbarländern Zuflucht.

In nur zehn Jahren hat sich die Zahl der Geflüchteten und Vertriebenen auf der Welt verdoppelt. Fast 90 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr gezwungen, außerhalb ihrer Heimat zu leben – wegen Kriegen, Gewalt, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen oder unerträglichen Lebensbedingungen in ihren Staaten.

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Filippo Grandi, Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, wird den Bericht seiner Organisation, des UNHCR, an diesem Donnerstag vorstellen. Er appelliert an die internationale Gemeinschaft zu handeln: „Entweder wir unternehmen etwas, um so viel menschlicher Verzweiflung entgegenzutreten und dauerhafte Lösungen zu finden. Oder wir bewegen uns weiter auf neue schreckliche Rekordzahlen zu.“

Die Ukraine zählt im jüngsten Bericht noch gar nicht mit

Eine erste davon ist bereits bekannt aber noch nicht im Bericht enthalten. Die Kriegsflüchtlinge infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine, der am 24. Februar begann, sind im Bericht für 2021 nämlich noch gar nicht mitgezählt und dürften im nächsten Jahr drastisch zu Buche schlagen. Der Krieg dort habe „eine der größten und die am schnellsten wachsende Vertreibungskrise nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst“, erklärte UNHCR.

Neben der Not in afrikanischen Ländern, in Afghanistan und anderswo habe der russische Angriffskrieg schon jetzt wesentlich dazu beigetragen, dass sie auf aktuell 100 Millionen geklettert ist – einen „dramatischen Meilenstein“, nennt dies das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen.

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Schon die Zahl für das vergangene Jahr liest sich besonders verheerend, wenn man bedenkt, von welch bereits hohem Niveau aus sie gestiegen ist, und dies Jahr für Jahr. 2013 hatte UNHCR 51,2 Millionen Geflüchtete registriert. Eine Zahl, die erstmals die des Zweiten Weltkriegs erreichte und nach UN-Angaben die höchste, seit es über Flucht verlässliche Statistiken gibt.

Schuld daran war der Krieg in Syrien und die massive Flucht, die er auslöste. Syrien ist mit 6,8 Millionen Menschen nach wie vor das Hauptherkunftsland der Flüchtlinge, die die Vereinten Nationen für 2021 registrierten. Es folgen Venezuela ( 4,6 Millionen), Afghanistan (2,7), Südsudan (2,4) und Myanmar (1,2).

Knapp Dreiviertel (72 Prozent) haben, sofern sie nicht Binnenvertriebene, also im Land geblieben sind, Zuflucht in Nachbarländern gefunden. Das sind in der großen Mehrheit ihrerseits instabile und vor allem arme Weltgegenden. Laut UNHCR landen 83 Prozent der Geflüchteten in armen Ländern oder solchen etwas oberhalb dieser Schwelle.

Die Türkei ist weltweit Aufnahmeland Nummer 1

Die ärmsten der armen Länder nehmen dabei mehr als ein Viertel der Menschen auf (27 Prozent). Nur sieben der 89,3 Millionen der weltweit Vertriebenen wurden in Europa aufgenommen. Hier steht Deutschland an der Spitze, wo im vergangenen Jahr 79.700 neue Geflüchtete einen Aufenthaltsstatus bekamen, gefolgt von Frankreich (51.000) und Italien (21.100).

Deutschland ist auch insgesamt das europäische Land mit den meisten Aufnahmen: 1,3 Millionen Menschen, die ihre Herkunftsregion verlassen mussten, leben nach UN-Zählung hier.

Das ist allerdings nur ein rundes Drittel der Aufnahmeleistung der Türkei – die im englischen UNHCR-Text erstmals „Türkiye“ heißt statt „Turkey“: Dort sind 3,8 Millionen Flüchtlinge angekommen. Die Türkei ist damit weltweit das Land mit den meisten Aufnahmen. Deutschland steht nach der Türkei, Kolumbien – Fluchtpunkt vieler Venezolaner:innen –, Uganda und Pakistan auf Platz fünf der weltweit größten Gastgeberstaaten.

Der UN-Bericht erwähnt auch Hoffnungsschimmer: Die Zahl der Rückkehrer:innen ist ebenfalls gewachsen. Insgesamt aber würden so rasch so viele Menschen vertrieben, dass die Möglichkeiten, ihnen zu helfen, dauerhaft hinter der Not zurückblieben. 

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