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"Ein Virus namens Gefängnis" lautet das Graffito auf einer Mailänder Hausfassade.

© Miguel Medina/AFP

Italien und Corona: Regierung zögert mit der Lockerung des Shutdowns

Über Italiens Rückkehr in den Alltag ist noch nicht entschieden. Vorerst herrscht Freude über den EU-Gipfel - wenn auch gedämpfte.

Erleichterung in Italien: Die Entscheidung der EU-Gipfels am Donnerstag über einen gemeinsamen „Recovery Fund“ zum Wiederaufbau nach Corona bestimmt in den großen Medien des Landes die Schlagzeilen  von Freitag – jedenfalls soweit es sie gab: Die Redaktion von „La Repubblica“ war am Donnerstag in den Streik getreten, nachdem ihr gerade erst seit 14 Monaten amtierender Chefredakteur Carlo Verdelli unter seltsamen Begleitumständen abgesetzt worden war.

Verdelli hatte monatelang anonyme Morddrohungen erhalten und stand unter Polizeischutz. In einigen Drohbotschaften wurde ihm der Tod für den 23. April angedroht - exakt der Tag, an dem die neuen Besitzer, die Exor-Holding der Familie Agnelli, nun seine Ablösung verkündeten.

Angst vor dem Griechentopf der EU

Zum Ergebnis des virtuellen Brüsseler Gipfels titelt der „Corriere della sera“ "Erste Einigung in Europa" und zitiert den Premier Giuseppe Conte: „Das wäre bis vor kurzem undenkbar gewesen.“ Das, damit ist die Entscheidung für ein gemeinsames EU-Programm zur Bewältigung der Krise gemeint, das zudem aus dem Brüsseler Haushalt kommen und in die Hände der EU-Kommission gelegt werden soll. Gegen die Verwendung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM hatte sich Rom, zusammen mit Spanien, Portugal und Frankreich, hartnäckig gewehrt. Obwohl Geld aus dem ESM nicht mehr mit den ridigen Auflagen vergeben worden wäre, die vor einem Jahrzehnt für Griechenland galten, fürchtete die Regierung Conte symbolisch den verheerenden Ruf des Instruments bei den Bürgerinnen ebenso wie seine Außenwirkung: Sich aus diesem Topf zu bedienen, hätte die Kreditwürdigkeit Italiens weiter beschädigt und die Zinslasten erhöht.

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Die Unsicherheiten des Plans verschweigt das Mailänder Blatt ebenso wenig wie andere: Über genaue Summen sei noch zu reden, die Kommission von der Leyen werde erst in der ersten Mai-Woche einen Plan vorlegen. Und dann gebe es noch die Mahnung der Kanzlerin, angesichts  der beispiellosen Summen, um die es gehe, müssten sich nun auch die Steuersysteme in Europa aufeinander zubewegen. Das könne der Süden als Wink an die Niederlande verstehen, sich Unternehmen nicht mehr als sicherer Hafen zur Steuervermeidung anzubieten, Den Haag wiederum als das Recht des Nordens, über die Staatshaushalte der Südländer mitzudiskutieren.

Streit in der Regierung vorerst beigelegt

Überraschend noch vorsichtiger ist „Il Fatto Quotidiano“. Das Blatt steht den Fünf Sternen und ihrem parteilosen Premier Conte nahe. Der Regierungschef habe seinen Fonds bekommen, jetzt müsse er aber „mit Geld gefüllt werden“, heißt es auf der Frontseite.

Natürlich sprächen jetzt alle vom eigenen Sieg, heißt es im Bericht über die Gipfelergebnisse, „aber tatsächlich haben sich die bekannten Positionen gestern um keinen Schritt angenähert“. Fürs erste gebe es eine Einigung über einen Namen für das Projekt, den „European Recovery Fund“. 

Erleichtert wird freilich vermerkt, dass der Gipfel auch die lebensbedrohlichen Spannungen in Contes Koalition erst einmal beendet hat. Während die „Sterne“ vom MES nichts wissen wollten, hatte der mittelinke Partito Democratico, der nach dem Ausscheiden der rechtsextremen Lega vor einem knappen Jahr in die Regierung eingetreten war, nachdrücklich verlangt, auch MES-Geld anzunehmen.  „Nach Monaten eines durchaus nicht kalten Krieges wegen Europa haben sich PD und M5S für einen Abend zusammengefunden“, vermerkt FQ eher ironisch als optimistisch.

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Die alles in allem positiven Nachrichten aus Europa verdrängten am Freitag die unmittelbare Coronakrise etwas auf die hinteren Plätze. Am Donnerstag hatte die technisch-wissenschaftliche Task Force des Premiers für die sogenannte Phase Zwei , die allmähliche Rückkehr zum Alltag, ihre Vorschläge vorgelegt und prompt mehrere Absagen von Conte kassiert.

Diesen Monat oder erst im Mai öffnen?

Eine davon richtete sich gegen den Vorschlag des Kommissionschefs Vittorio Colao, über 60-jährige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen ihres eigenen Ansteckungsrisikos vorerst nicht wieder arbeiten lassen. Conte sagte dazu offen, man müsse mit einem Wiederansteigen der Kurve rechnen, wenn das Land wieder in Gang kommen solle – wozu die verheerenden Wirtschaftsdaten beigetragen haben dürften, die sein Kabinett am selben Morgen auf dem Tisch hatte.

Auf anderem Feld zeigt sich Conte vorsichtiger: Anders als seine Task Force – und einige Regionalregierungen, etwa die von Venetien – will er den ersten Branchen der Industrie noch nicht am 27. Januar wieder die Produktion erlauben, sondern bis zum 4. Mai warten.

Das würde den Shutdown auch über das lange erste Mai-Wochenende mit erwartbaren Ausflügen oder Kundgebungen retten. Der Beginn an diesem Montag würde 2,8 Millionen Menschen wieder auf die Straßen, in Fabriken und Büros bringen. Ihr Schutz ist keineswegs sicher. Ebenso wenig wie der exakte Plan der Regierung für die „Phase 2“. Aus Contes Umgebung heißt es, an diesem Wochenende werde er sich äußern. 

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