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© dpa

Italien: Saisonarbeiter: Sie haben ihre Schuldigkeit getan

Illegale Einwanderung, Sklavenarbeit, Rassismus und Mafia: In Kalabrien ist eine gefährliche Mixtur explodiert.

Es ist Hochsaison an der Spitze des italienischen Stiefels. In Kalabrien sind die Orangen reif; Klementinen und Mandarinen wollen geerntet sein. Das besorgen einige Tausend Afrikaner, die als Tagelöhner und Wanderarbeiter von einer Hochsaison zur anderen ziehen: Von der Traubenlese in Sizilien über die Olivenernte in Apulien zum rückenmarternden Gemüseschneiden bei Neapel, dann wieder in die apulischen Tomatenfelder.

So gut wie keiner hat einen Arbeitsvertrag, und von den zwanzig, zweiundzwanzig Euro, die sie pro Tag für mindestens zehn Stunden Arbeit bekommen – der rechtliche Mindestlohn bei der Ernte von Zitrusfrüchten wäre 32 Euro, plus Sozialabgaben –, kassiert der Vorarbeiter und „Anwerber“ fünf Euro; andere gehen für den „Taxitransport“ in die Plantagen drauf, örtliche Mafiosi verlangen „Schutzgeld“.

Dafür wohnen die Afrikaner in verfallenden Industriebaracken ohne Strom, Wasser, Gas und Sanitäreinrichtungen; andere schlafen in den Plantagen und decken sich im Winterregen mit Kartons zu. Viele sind als illegale Einwanderer übers Meer gekommen, und seit die Regierung Berlusconi unter dem Druck ihrer Rechtsaußenfraktionen die illegale Einwanderung vor einem Jahr zum Straftatbestand erhoben hat, sind die Schwarzen noch erpressbarer geworden.

Im kalabrischen Rosarno ist jetzt das explodiert, was „Ärzte ohne Grenzen“, Caritas und Rotes Kreuz seit Jahren als Zeitbombe bezeichnen. Die Wut der Afrikaner über die unmenschliche Behandlung und über den provozierenden Angriff aus einem Luftgewehr hat sich Bahn gebrochen in einem Marsch der Zerstörung.

Und auf die Knüppeleien – sogar gegen Frauen und Kinder –, auf die Steinwürfe, die angezündeten Autos und Müllcontainer reagierten die „Weißen“ in Rosarno am Wochenende ebenfalls mit nackter Gewalt. Sie bliesen zur „Negerjagd“, brachen Knochen, schossen, zündeten an. Sie stachelten die Polizei auf: „Schießt doch auf diese schwarzen Bestien!“ Ein Italiener fuhr gar mit dem Bagger durch die öde Kleinstadt, um „mir mein Rosarno zurückzuerobern“.

Dann setzte die Polizei zu einer hektischen, großräumigen, nächtlichen Massenfahndung nach den Ausländern an – um sie möglichst vollständig zu evakuieren. Sie wurden Hunderte Kilometer weit wegtransportiert, zur Sicherheit. Auf Vermittlung der katholischen Kirche will der Staat die „Illegalen“ in diesem Falle nicht belangen. „Zu viel Toleranz gegenüber der illegalen Einwanderung“, sagt der rechte Innenminister Roberto Maroni, habe die Lage eskalieren lassen; aus dem Vatikan weist Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone demgegenüber auf die „harten Arbeitsbedingungen“ der Schwarzen hin. Die Kirche vor Ort sagt, zwar würden „die Afrikaner behandelt wie Tiere“, es gebe andererseits zahlreiche Wohlgesinnte in Rosarno, die den Schwarzen regelmäßig Hilfe, Essen und Weihnachtskuchen brächten. „Dieses Verhältnis war bisher nicht gut, es war hervorragend.“ So sagt es Pino Demasi, Generalvikar der örtlichen Diözese.

Demasi ist auch in der Anti-Mafia-Bewegung „Libera“ aktiv. Wie allmählich auch Polizei und Staatsanwaltschaft, so vermutet er eine „Regie der ’Ndrangheta“ erstens hinter den rassistischen Provokationen, zweitens hinter dem „Gegenaufstand“ der Weißen. Die Schwarzen hätten ihre Schuldigkeit getan, sagt man in Rosarno, weil die Großgrundbesitzer aufgrund geänderter EU- Förderung dieses Jahr mehr Geld bekämen, wenn sie die Zitrusfrüchte am Baum verfaulen ließen. So habe man die Erntehelfer ohne Gefahr für die eigenen Interessen verjagen – und gleichzeitig dem Staat vorführen können, wer in Wahrheit Kalabriens fruchtbarste Ebenen kontrolliert.

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