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Erfolgsautor, Mafiagegner: Der Schriftsteller Roberto Saviano.

© imago/Sabine Gudath

Italien: Populist gegen Star-Autor

Italiens Innenminister greift den Autor Saviano an. Immer deutlicher zeigt sich der Rechte Salvini als eigentlicher starker Mann der Regierung in Rom.

Matteo Salvini ist eigentlich nur Innenminister Italiens, die Regierung führt Giuseppe Conte, und Luigi di Maio, der junge Chef der „Fünf-Sterne-Bewegung“ und Seniorpartner der regierenden Koalition, hat bei der Parlamentswahl am 4. März ein fast doppelt so hohes Ergebnis bekommen. Doch Schlagzeilen macht praktisch nur er, Salvini, der starke Mann der rechtsradikalen „Lega“: seit Wochen mit seiner Weigerung, Italiens Häfen weiter für Flüchtlingsschiffe offen zu halten, dann mit der Ankündigung, wie in faschistischer Zeit Roma-Karteien anzulegen. Und vor wenigen Tagen mit einer Drohung gegen den Journalisten und Bestsellerautor Roberto Saviano, der wegen seiner Artikel und Bücher über die Mafia seit fast zwölf Jahren unter Polizeischutz lebt.

Seit zwölf Jahren unter Polizeischutz

Im Staatssender Rai befragt, ob er eine frühere Drohung nun wahrmache – „Wenn wir regieren, nehmen wir Saviano die sinnlose Eskorte“ –, verwies der Innenminister zunächst an die zuständigen Behörden. Die müssten beurteilen, „ob er irgendwie in Gefahr ist, mir scheint ja, dass er viel Zeit im Ausland verbringt“. Im Übrigen sei der Autor „das geringste meiner Probleme, wenn er jetzt gerade zuschaut, schicke ich ihm einen Kuss“. Er finde Saviano ja rührend. „Aber es ist auch richtig zu prüfen, wie das Geld der Italiener ausgegeben wird.“

Der zynische Ausfall löste eine Solidaritätswelle für Roberto Saviano aus, auf Twitter entstand der Hashtag #savianononsitocca (Hände weg von Saviano) und für die sonst auffallend zurückhaltenden Fünf Sterne gab mindestens Parlamentspräsident Roberto Fico, ohne Namen zu nennen, die Linie aus: „Wer sich der organisierten Kriminalität entgegenstellt, muss vom Staat geschützt werden.“

Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, wurde vor zwölf Jahren durch seinen Welterfolg „Gomorrha“ berühmt, in dem er die Geschäfte, Verbrechen und Riten der Mafia seiner Heimatregion Kampanien, der Camorra, beschreibt, halbdokumentarisch und teils aus nächster Nähe beobachtet. Er erhielt dafür Morddrohungen, wurde öffentlich auch vom früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi angegriffen und lebt seither unter dauernder Bewachung, teils in Italien, teils in New York. Er hat mehrere weitere Bücher über die Mafia veröffentlicht und ist seit Jahren Kolumnist der römischen Tageszeitung „Repubblica“, für die er über sämtliche Themen der Politik schreibt.

"Die Lega soll ihre Millionenschulden zurückzahlen"

Gegen Salvinis Angriff wehrte er sich jetzt auch mehrfach selbst: Wenn der Lega-Chef – Saviano nennt ihn „Unterweltminister“ – sich um das Geld der italienischen Steuerzahler sorge, könne er ja erst einmal 50 Millionen Euro zurückzahlen, die seine Lega widerrechtlich an Wahlkampfkostenerstattung erhalten habe. Oder auch über deren Geschäfte reden – Saviano erwähnt die kalabrische ’Ndrangheta –, die die Lega bei Kasse hielten, da ihre offiziellen Konten doch alle gesperrt seien.

Savianos Hinweis auf die Mafia und die Finanzen der Lega ist geschickt, denn sie kratzt am Saubermann-Selbstbild der früheren „Lega Nord“, die mit den Attacken aufs „räuberische Rom“ jahrzehntelang auf Stimmenfang ging. Auch Salvinis Drohung, so der Schriftsteller, sei Mafia-Sprache. Tatsächlich ist die Vagheit von Salvinis Formulierung, er selbst werde ja nichts tun, ebenso typisch für Mafia-Drohungen wie die Volte, das Opfer zum Täter und lächerlich zu machen: Indem er öffentlich infrage stellt, dass Saviano wirklich gefährdet ist, macht er ihn zum Hochstapler, dem es gefällt, sein Leben mit Bodyguards zu verbringen. Saviano hat oft beschrieben, wie es tatsächlich ist: keine Verabredung, ohne dass die Polizei Orte und Personen zwei Stunden vorher kontrolliert, ein Leben fern von Freunden und Familie, nie länger als zwei Nächte im selben Bett.

Fünf Sterne gelähmt, Salvini sammelt Stimmen

Auch wenn Salvini ihm die Eskorte mangels Zuständigkeit nicht entziehen wird, dürfte er einen Coup gelandet haben, der politisch ähnlich wirksam ist. Italiens womöglich scharfsinnigster Leitartikler Marco Travaglio erklärte den Effekt vor Jahren für die Ära Berlusconi: Jeder Ausfall des damaligen Premiers gegen die Justiz sei „ein Werbespot für Straflosigkeit“. Der größere Koalitionspartner, der ausdrücklich gegen den Berlusconismus gegründet wurde, schweigt dazu. Fünf-Sterne-Chef Di Maio, der Arbeitsminister ist, kümmere sich aktuell um dieses Thema, erklärte dazu einer seiner Vertrauten. Der Themen aus seinem Ressort wegen seien die Sterne gewählt worden.

Das Schweigen der großen Koalitionspartnerin Fünf Sterne erklärt die Turiner Soziologin Chiara Saraceno mit deren heikler Struktur: Die Bewegung vereine „politische Positionen von rechts bis links, den ganzen Verfassungsbogen und darüber hinaus", sagte Saraceno dem Tagesspiegel. "Ihre Agenda ist nicht eindeutig, während Salvini eine sehr klares rechtes Programm vertritt.“ Dazu gehöre auch die alte Methode der Rechten, angebliche Feinde zu konstruieren: „Das sind die Migranten, das sind die Roma, und das ist auch ein Schriftsteller, der sich angeblich auf Kosten der einfachen Leute ein schönes Leben im Ausland macht.“ Damit arbeite Salvini für sein Ziel Nummer eins, seine Wählerschaft zu vergrößern. Dass das funktioniert, sagt Saraceno, hat sich gerade bei den Kommunalwahlen in der Toskana gezeigt. Dort eroberte die Lega sogar die Rathäuser in Siena und Pisa, die die ganze Nachkriegszeit über immer von der Linken regiert wurden.

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