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Update

Italien mit Höchstzahl an Corona-Toten: Armee transportiert Leichen mit Lkw ab – Ausnahmezustand im Land verlängert

Noch nie sind so viele Menschen in Italien an einem Tag an Covid-19 gestorben. Jetzt liegt die Zahl der Opfer sogar über der ganz Chinas. Rom reagiert

Italien, ohnehin seit Wochen im Ausnahmezustand, ist an diesem Morgen mit neuen erschreckenden Bildern aufgewacht. Eines davon: Ein nächtlicher Konvoi von Militärfahrzeugen, aufgereiht in einer Straße nahe des Friedhofs von Bergamo. Die ganze Nacht über werden sie den Friedhof anfahren. In der Aussegnungshalle immer neue Särge, die darauf warten, aufgeladen zu werden.

Das einzige Krematorium der Stadt in der Lombardei  kann, obwohl es Tag und Nacht in Betrieb ist, die Leichen der vielen Corona-Opfer nicht mehr aufnehmen.  Mehrere Kommunen in der angrenzenden Provinz von Monza, in Modena und der Emilia-Romagna, haben sich bereiterklärt zu helfen. Jetzt braucht es Italiens Heer, um die Särge dorthin zu transportieren.

Die 24 Stunden zwischen Dienstag- und Mittwoch waren die bisher tödlichsten der Epidemie. 475 Tote in nur einem Tag, meldete am Mittwochabend die Zivilschutzbehörde, die dem Innenministerium untersteht.  Das wären mehr als selbst in China an einem Tag an Covid-19 verstarben. Allein auf die Lombardei entfielen 319 Tote; Bergamo gilt als Wuhan Italiens. Die nächste Schreckensnachricht folgte am Donnerstagabend: Mit nunmehr 3405 Toten hat Italien nun auch insgesamt die chinesischen Zahlen hinter sich gelassen.

Covid-19: "Das Wohl aller hängt von uns ab"

Während Deutschland es noch beim Appell der Kanzlerin an das Verantwortungsgefühl der Bürgerinnen und Bürger belässt, sieht sich Italiens Regierung und die regionale Politik  unterdessen zu mehr Zwang gezwungen. „Restate a casa“, bleibt zu Hause, das ist seit Wochen ein Gruß so italienisch wie „Ciao“, die Socials, Leuchtschriften in den Städten, jede Politikerrede wiederholt den Satz.

Das Video zeigt Trucks des Militärs, die Särge aus der Stadt Bergamo bringen, um sie andernorts begraben oder einäschern zu können:

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Aber noch immer wird er zu wenig beachtet. Für die am dramatischsten betroffene Lombardei haben Mobiltelefontrackings nachgewiesen, dass nach wie vor 40 Prozent der Menschen sich weiter als 300 Meter vom eigenen Haus entfernen – zehn bis höchstens zwanzig Prozent dürften es den amtlichen Schätzungen zufolge sein, wenn es dabei nur um erlaubte Einkäufe, Arztbesuche, Wege zur Arbeit und von dort nach Hause ginge.

[Die Covid-19-Deutschlandkarte: Sehen Sie hier alle Coronavirus-Infektionen nach Landkreisen und Bundesländern]

Allein am Mittwoch bekamen 8300 Personen Bußgelder aufgebrummt – und das sind nur die, die das Pech hatten, in eine Kontrolle zu geraten. Innenministerin Luciana Lamorgese kündigte in einem Interview mit der römischen „La repubblica“ weitere Strafen und Verschärfungen der Ausgangssperre an, wenn die Leute nicht mehr Disziplin zeigten:  „Jeder einzelne von uns muss seine eigene Kontrollinstanz werden.“ Sie wiederholte, was alle seit Wochen sagen: „Von dem, was wir persönlich entscheiden, hängt das Wohl aller ab.“

Corona-Shutdown wird verlängert

Dem Bericht zufolge denkt das Kabinett von Ministerpräsident Conte derzeit an ein komplettes Verbot auch für Spaziergänge, Jogging und Radeln – was bisher, weil gesund, noch erlaubt ist – oder doch die Beschränkung der im letzten Dekret genannten „Bewegung im Freien“ auf den Morgen.

Blick in die Leichenkammer des Krankenhauses von Ponte San Pietro, einer Gemeinde nahe Bergamo. Das Hospital versorgt den Osten der Provinz.
Blick in die Leichenkammer des Krankenhauses von Ponte San Pietro, einer Gemeinde nahe Bergamo. Das Hospital versorgt den Osten der Provinz.

© Carlo Cozzoli/imago

Auch Supermärkte könnten demnächst sonntags schließen, um große Menschenansammlungen dann zu verhindern, wenn die meisten nicht arbeiten und daher mehr Zeit fürs Shopping haben.

Im heutigen "Corriere della sera" stimmte Conte das Land auch auf eine Verlängerung des Shutdowns ein, der seit gut einer Woche für ganz Italien gilt. Es sei „klar, dass die bisher getroffenen Maßnahmen, sowohl die Schließung vieler Unternehmen und der Schulen wie auch die Einschränkungen für Private zwangsläufig über den Termin hinaus verlängert werden müssen.“

Auch wenn der Scheitelpunkt der Ansteckungen womöglich bald erreicht sei, „hoffentlich in ein paar Tagen, werden wir nicht sofort unser früheres Leben wieder aufnehmen können“.  

Bisher war der 3. April als Verfallsdatum der Notstandsmaßnahmen benannt, die seit der zweiten Märzwoche für ganz Italien gelten. Der hart geprüfte Norden ist schon seit Februar dabei. Doch jetzt ist von einer Verschiebung auf Anfang Mai die Rede. Unterrichtsministerin Lucia Azzolina lehnte es am Donnerstag ab, ein genaues Datum für die Wiederöffnung der Schulen zu nennen: „Ich bitte in diesen Tagen alle um maximal verantwortliches Handeln. Es ist einfach nicht möglich, einen Zeitpunkt zu nennen. Es hängt alles von der Entwicklung in diesen Tagen und von den epidemiologischen Szenarien ab. Die Schulen werden erst dann wieder geöffnet, wenn wir die Sicherheit haben, dass sie absolut sicher sind.“

Fünf Ärzte im Norden in dieser Woche an Covid-19 gestorben

Der Virologe Massimo Galli, der mit seinem Team im Mailänder Sacco-Krankenhaus seit Langem in vorderster Linie gegen das Virus steht, sprach am Donnerstag in einem Interview von einem Zeitraum von einem Vierteljahr: „Ich hoffe, dass wir uns von dem Virus frühestens in drei Monaten befreien werden“, sagte Galli im Fernsehen – dies aber gerechnet vom Zeitpunkt an, da weitere Maßnahmen zur sozialen Isolation greifen würden.

Italiens Ärzte und Krankenpflegepersonal kämpfen nicht nur mit der Behandlung einer großen Zahl Kranker, viele davon in Intensivtherapie. Auch sie selbst werden Opfer des Virus. Am Wochenende nannte der Ärzteverband die Zahl von 1674 Fällen von Ansteckung mit Covid-19 – ein Zehntel der Krankenhausbelegschaften. Die Zahl stieg kurz danach auf 2000 Personen, die entweder nicht mehr arbeiten dürfen oder schon tot sind. In den vergangenen drei Tagen starben im Norden, in Como, Crema, Bergamo und Cremona, weitere fünf Ärzte. Sie waren in Krankenhäusern und in eigenen Praxen tätig.

Mit dem Kampf gegen das Virus scheint auch das Misstrauen gegen Europa zu steigen: In einer Meinungsumfrage meinten kürzlich 88 Prozent der Italiener, die EU helfen ihnen aktuell nicht genug. 67 Prozent hielten die EU-Mitgliedschaft ihres Landes für nachteilig.

In einer früheren Version war von 70 Militärfahrzeugen die Rede, die in Bergamo im Einsatz waren. Dank an die User, die auf konkurrierende Zahlen aufmerksam machten, die ebenfalls im Umlauf waren - wir haben die Zahl jetzt gestrichen.

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