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Die EU sieht sich als Vorreiter bei der Bekämpfung des Klimawandels.

© Getty Images/iStockphoto

Update

Ist die Welt doch noch zu retten?: Zum Handeln getrieben

Europa, China und die USA verstärken ihren Kampf gegen die Erderwärmung.

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Die Aufgabe ist gewaltig und der Weg wird geprägt sein von schwierigen Verhandlungen und Verteilungskonflikten. Doch erstmals, nach vielen verlorenen Jahrzehnten, bahnt sich ein weltpolitischer Durchbruch in der Klimaschutzpolitik an.

In der EU hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, das mehr getan werden muss. Nun sind viele weitere große Industriestaaten gefolgt, am wichtigsten sind aufgrund ihrer hohen Emissionen China und Japan – und die Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten.

Die Gesamtlage hat UN-Generalsekretär António Guterres kürzlich gut zusammengefasst. Noch führe der Mensch einen ökologischen „Krieg gegen den Planeten“. Aber: 2021 könne eine „neue Art Schaltjahr“ werden, das Jahr in dem ein Quantensprung Richtung CO2-Neutralität möglich werde.

Viel hängt von den kommenden Tagen, Wochen und Monaten ab, in denen wichtige, grundsätzliche Entscheidungen fallen werden.

Was sind die Auslöser der neuen Dynamik?

Ein wichtiger Teil der Erklärung ist ganz simpel: Es wird schnell wärmer und die vor vielen Jahren gehegte Hoffnung, dass der Klimawandel aufgrund wissenschaftlicher Unsicherheiten bei den Prognosen doch weniger schlimm ausfallen könnte, hat sich in Luft aufgelöst. Schon jetzt liegt die Erderwärmung global bei rund 1,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, in Westeuropa sogar bei rund zwei Grad.

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Wenn sich die Klimawissenschaftler getäuscht haben, dann eher in der anderen Richtung. Die Folgen sind unmittelbar spürbar: mehr Hitzewellen, katastrophale Erwärmung im hohen Norden des Planeten, stärkere Stürme, ein steigender Meeresspiegel.

Fridays-For-Future-Aktivistin: Die Bewegung hat viel Einfluss gewonnen.
Fridays-For-Future-Aktivistin: Die Bewegung hat viel Einfluss gewonnen.

© Hendrik Schmidt/dpa

Zweitens: Gerade in Europa haben Klimaschutzaktivisten sehr viel bewegt, allen voran die Jugendlichen von Fridays for Future. Aus dem Schulstreik, in den zuerst Greta Thunberg trat, ist eine einflussreiche Bewegung geworden, die sich inzwischen auf einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt stützen kann.

Sogar die Grünen – einst die Klimaschutz-Radikalos – werden inzwischen unter Druck gesetzt. Die Klimaschutzdebatte hat sich ins Zentrum der Gesellschaft geschoben und wird bis tief ins konservative Lager viel ernsthafter geführt. Auch Spitzenpolitiker, die sich vor einigen Jahren kaum mit dem Thema beschäftigten, haben es ins Zentrum ihrer Agenda gehoben – als Beispiele genannt seien Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).

Befürchtungen, die Corona-Pandemie könnte den Klimaschutz wieder vergessen machen, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Der Vorsorgegedanke hat Auftrieb.

Und auch die Warnungen aus der Wissenschaft werden möglicherweise ein Stück ernster genommen. Schließlich: Es gibt mehr und mehr Techniken, die Klimaschutz zu bezahlbaren Preisen ermöglichen. Allen voran die erneuerbaren Energien wie Windkraft und vor allem Fotovoltaik sind deutlich günstiger geworden.

Was plant die EU?

In der EU möchte man beim Klimaschutz weiter internationaler Vorreiter sein. Spätestens 2050 soll Europa der weltweit erste klimaneutrale Kontinent sein.

Wie sich dieses Ziel erreichen lässt, wird derzeit verhandelt. Beim EU-Gipfel in Brüssel zeichnete sich am späten Donnerstagabend nach Angaben aus EU-Kreisen eine Einigung ab, die Klimaziele für Europa zu verschärfen. Die vorbereitete Gipfelerklärung sieht vor, dass die EU bis 2030 ihre Treibhausgase um 55 Prozent senkt, im Vergleich zu 1990. Bisher ist das Ziel minus 40 Prozent. Auch dies wäre international ein wichtiges Zeichen. Doch der Beschluss zum Klimaziel verzögerte sich am Donnerstagabend. Polen und andere Staaten forderten nach Angaben von Diplomaten weitere Zusagen für finanzielle Hilfen bei der Energiewende.

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Eingebunden werden soll dieses Ziel in ein Klimagesetz, das seit Ende November zwischen den EU-Ländern und dem Parlament verhandelt wird. Einfach wird das nicht, hat die EU-Kommission ausgerechnet: Bis 2030 fallen jährlich 350 Milliarden Euro an Investitionen zusätzlich an und das derzeitige Klimaziel müsste schon 2025 erreicht werden.

Das Parlament fordert sogar ein Ziel von 60 Prozent. Besonders die osteuropäischen Länder, allen voran Polen und Ungarn, tun sich mit der Verschärfung der Zieleschwer. Sie fürchten den teuren Umbau ihrer Kohleindustrie und fordern weitere entsprechende Finanzhilfen.

Was passiert im Rest der Welt?

Das Ziel der Klimaneutralität ist auf einem Siegeszug um die ganze Welt. Erstaunlich, denn noch vor fünf Jahren war es harte Arbeit, das Konzept im Abkommen von Paris zu verankern. Aber nachdem die EU mit ihrer großen Wirtschaftsmacht sich 2019 dazu bekannt hatte, folgten viele andere Staaten nach.

Der wichtigste ist China. Der größte Emittent weltweit hat im September verkündet, bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden. Nach China streben nun auch Japan, immerhin der fünftgrößte Emittent, und Südkorea Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts an. Neuseeland beschloss kürzlich sogar, dass der gesamte öffentliche Sektor bis 2025 klimaneutral sein muss. Übrigens gibt es auch viele Unternehmen, die das Ziel bis 2040 oder sogar 2030 erreichen wollen.

Wichtig ist jetzt, nicht nur auf ein fernes Ziel für 2050 hinzuarbeiten, sondern einen klaren Weg zum Ziel 2030 vorzuzeichnen. Hier wird es vor allem auf den zweitgrößten Emittenten der Welt ankommen, die USA. Ihr neuer Präsident Joe Biden muss erst einmal die gesellschaftlichen Debatten um ein neues Ziel für 2030 führen. Bisher blieben die USA in diesem Punkt außen vor, weil sie aus dem Abkommen von Paris ausgestiegen waren.

Was ist vom UN-Gipfel in New York am Wochenende zu erwarten?

Noch weitere gute Nachrichten. Der Gipfel ist als Ersatz für die coronabedingt um ein Jahr verschobene Klimakonferenz in Glasgow angesetzt. Reden darf beim virtuellen Treffen nur, wer neue, bessere Zusagen zum Klimaschutz macht. 70 Staats- und Regierungschefs werden sprechen, darunter auch die deutsche Kanzlerin. Mit Spannung erwartet wird, mit welchen Zusagen für 2030 China kommt. Denn klar ist: Die aktuellen Klimapolitiken bringen die Welt laut Vorausberechnungen auf etwa drei Grad Erwärmung. Das ist noch lange nicht gut genug.

Wo werden die Verbraucher das zu spüren bekommen?

Eine klimaneutrale Welt und Wirtschaft wird anders sein. Weil neue Technologien zum Einsatz kommen, vom grünen Stahlwerk, das mit Wasserstoff statt Kohle als Energiequelle arbeitet, bis zum Elektroauto und der Wärmepumpe statt der Gas- oder Ölheizung.

Es werden mehr Windräder in der Landschaft stehen, möglicherweise tun sich neue Konflikte um erneuerbare Ressourcen auf. Individuelle Verhaltensänderungen allein können das Klima nicht retten, aber sie müssen die Umstellung komplementieren. Es ist schwer vorstellbar, dass der Fleischkonsum in den Industrieländern und die Langstrecken-Mobilität auf dem heutigen Niveau verbleiben können.

Vieles wird über Preise geregelt werden. In Deutschland startet zum Beispiel zum Jahreswechsel ein nationaler CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne für Sprit, Heizöl und anderen Energieverbrauch – das ist vermutlich erst der Anfang. Alles, was hohe Emissionen verursacht, wird bald deutlich teurer werden.

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