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Trübe Aussichten. Käme es bald zu Neuwahlen, könnte das für Benny Gantz mit einem Debakel enden.

© Emmanuel Dunand/AFP

Israel vor Neuwahlen: Die Regierung zerlegt sich

Israels Koalition ist kaum noch zu retten. Die Zeichen stehen wieder mal auf Neuwahlen – sie könnten das Ende der Karriere von Benny Gantz bedeuten.

Israel droht die vierte Wahl in nur zwei Jahren – und das inmitten der Covid19-Pandemie. Am Mittwoch stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten für die Auflösung der Knesset, des israelischen Parlaments. Zwar ist damit noch nichts endgültig entschieden. Der Antrag muss noch eine Ausschussdebatte und drei weitere Abstimmungsrunden überstehen. Doch dass diese Koalition noch zu retten ist, glaubt in Israel kaum jemand mehr.

Für den Antrag, den Oppositionsführer Yair Lapid vorgelegt hatte, stimmten 61 von 120 Abgeordnete, darunter Vertreter der Arbeitspartei sowie des zentristischen Blau-Weiß-Bündnisses – beides Parteien, die an der Regierung beteiligt sind.

Der Blau-Weiß-Vorsitzende und Verteidigungsminister Benny Gantz hatte die Koalition gemeinsam mit dem derzeitigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erst vor sieben Monaten nach schwerem Ringen begründet. Doch das gegenseitige Vertrauen, von Anfang an Mangelware in dieser Konstellation, scheint endgültig aufgebraucht.

Der Auslöser des Eklats ist ein Streit über den Haushalt

Der jüngste Streit dreht sich um den Staatshaushalt. Der Koalitionsvereinbarung zufolge müsste die Regierung bald ein Zwei-Jahres-Budget für 2020 und 2021 verabschieden. Netanjahu besteht jedoch mit Verweis auf die besondere Notlage angesichts der Covid-19-Pandemie auf zwei separaten Haushalten, worauf Gantz sich nicht einlassen will. Gibt es keine Einigung bis zum 23. Dezember, kommt es automatisch zu Neuwahlen.

Dieses Szenario haben die Blau-Weiß- und die Arbeitspartei mit ihrer Abstimmung nun vermutlich vorweggenommen. Gantz, offenbar schon im Wahlkampfmodus, geht Netanjahu seitdem hart an.

„Millionen Bürger stehen mit gebrochenem Herzen vor der Zerstörung ihres Lebenswerks“, sagte er am Mittwoch in einer Videoansprache. „Und zu dieser Zeit hat der Staat Israel kein Budget. Das ist ein unverzeihlicher ökonomischer Anschlag.“ Netanjahu wiederum geriert sich als Bewahrer von Stabilität. „Dies ist nicht die Zeit für Wahlen. Dies ist die Zeit für Einigkeit“, sagte er in einem von ihm verbreiteten Video.

Was will Netanjahu?

Es ist ein verwirrendes Bild, das die beiden abliefern. Denn in Wahrheit, so vermuten Analysten, sei die Interessenlage genau andersherum: Netanjahu will Wahlen, während Gantz sich davor fürchten müsse.

„Netanjahu hat gegen die Auflösung (der Knesset) gestimmt, obwohl er sich eine Wahl wünscht, von der er glaubt, dass sie letztendlich zu einer rechten Koalition führen wird“, sagt Yohanan Plesner, Präsident des Israel Democracy Institute, eines liberalen Think Tanks.

Denn eine solche Regierung könnte Netanjahu, der sich wegen Verdacht auf Untreue, Betrug und Bestechlichkeit vor Gericht verantworten muss, Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung verschaffen. Jüngsten Umfragen zufolge käme eine Koalition aus rechten und religiösen Parteien auf eine Mehrheit.

Benjamin Netanjahu beteuert, er wolle die Koalition am Leben erhalten, zum Wohle des Landes.
Benjamin Netanjahu beteuert, er wolle die Koalition am Leben erhalten, zum Wohle des Landes.

© Amos Ben Gershon/Knesset Spokesperson/Reuters

Dass Netanjahu dennoch auf Einigkeit pocht, halten Beobachter für ein taktisches Manöver. Er wolle die Wahl herauszögern, bis ein Impfstoff gegen das Covid-19-Virus die Gesundheits- und Wirtschaftskrise lindert und ihm damit bessere Chancen verschafft. Denn sein Likud würde nach derzeitigem Stand fünf bis sechs Mandate verlieren, während die rechtsgerichtete Yemina-Partei ihm in Umfragen gefährlich nahe kommt.

Deren charismatischer Vorsitzender Naftali Bennett wird bereits als zukünftiger Premierminister gehandelt. Auch Bennett, der seine Chance zu wittern scheint, stimmte für die Auflösung der Knesset. „Entweder kollabiert heute die die Regierung“, rief er in einer Rede vor dem Parlament. „Oder es kollabiert der israelische Staat.“

Am meisten zu verlieren hätte wohl Blau-Weiß. Nur neun bis zwölf Sitze sagen ihm Umfragen voraus, ein tiefer Fall seit der Wahl im Frühling, die der Partei 33 Mandate bescherte. „Gantz denkt, wenn Netanjahu die Wahlen so weit wie möglich schieben will, dann ist es vermutlich im Interesse von Blau-Weiß, die Wahl so früh wie möglich zu haben“, vermutet Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir von der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Gantz' kämpferische Pose wirkt wie ein Akt der Verzweiflung

In der Tat wirkt Gantz’ Entscheidung trotz seiner kämpferischen Pose – er war früher Chef der israelischen Armee – wie ein Akt der Verzweiflung. Dazu passt, dass Blau-Weiß jüngst drei Gesetzesvorhaben angekündigt hat, die seinen Anhängern gefallen, jedoch auf Widerstand im rechten Lage stoßen, darunter die Ausweitung der Rechte homosexueller Paare. Das Manöver wirkt wie ein Versuch der Partei, auf den letzten Metern ihr soziales Profil zu schärfen.

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Ob solche Gesten ausreichen, um das Bündnis und die Politkarriere ihres Vorsitzenden zu retten, ist fraglich. Parteien der politischen Mitte haben es in Israel traditionell schwer; viele verschwanden nach einem kurzen Strohfeuer wieder in der Versenkung.

Womöglich könnte Blau-Weiß dem Abstieg in die Bedeutungslosigkeit entkommen, wenn die Partei sich erneut mit der säkularen Partei Yesh Atid zusammentäte, ihrem einstigem Bündnispartner. Doch selbst dann blieben Benny Gantz’ Aussichten trübe.

Denn Lapid, der mit robustem Selbstbewusstsein gesegnete Vorsitzende von Yesh Atid, hat bereits eine Bedingung gestellt: Vereinte sich seine Partei erneut mit Blau-Weiß, dann käme nur einer als Anführer in Frage – er selbst.

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