zum Hauptinhalt
Gaza, am Tag eins des Waffenstillstands. Zwei palästinensische Kinder blicken auf Ruinen in ihrer Nachbarschaft.

© Mohammed Abed / AFP

Israel nach dem Waffenstillstand: Es ist Zeit, mit der Hamas zu reden

Weder die Ein- noch die Zweistaatenlösung scheint zu funktionieren. Was aber dann? Um das auszuloten, sollte Israel mit einem Prinzip brechen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Alles ist besser als Krieg, Raketen, Tod und Leid. Deshalb wölbt sich Erleichterung über jene Bitternis, die durch die Kämpfe zwischen Israel und der militanten Hamas-Organisation ausgelöst worden war. Ein Waffenstillstand aber ist kein Frieden. Die Gefahr ist groß, dass sich die Bilder in wenigen Jahren wiederholen. Denn womöglich handelt es sich um einen Konflikt, der nicht gelöst, sondern nur verwaltet werden kann. Dann wird er noch lange dauern und viele weitere Opfer kosten. Die Verharrungstendenzen im Status quo sind auf beiden Seiten sehr stark ausgeprägt.

Dabei scheint die Lage auf den ersten Blick klar zu sein. Im Nahen Osten leben zwei Völker auf engstem Raum, die beide in ihrem tiefsten Inneren davon überzeugt sind, dass das Land, auf dem sie leben, ihnen gehört. Es lassen sich Dutzende von Abhandlungen darüber schreiben, welche Unterschiede es zwischen ihren Ansprüchen gibt in puncto Moral, Recht, Geschichte und Religion. Aber das ändert nichts an dem Konflikt. Gerade Zionisten müssten verstehen, wie ausgeprägt das Nationalbewusstsein eines Volkes sein kann. Gerade Palästinenser müssten verstehen, warum Israel über die Grundlagen seiner Staatlichkeit nicht verhandelt.

Es gibt drei Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen. Erstens: Das Land wird geteilt. Zwei Völker, zwei Staaten, Land gegen Frieden. Das wurde im sogenannten Osloer Friedensprozess versucht. Nach der Ermordung von Israels Premier Jitzhak Rabin brach dieser Prozess zusammen. Sämtliche Reanimierungsversuche blieben erfolglos. Erst wurde der Mitchell-Plan ins Leben gerufen, dann der Tenet-Waffenstillstand ausprobiert, dann der Zinni-Plan, dann wurde Colin Powell entsandt, eine Roadmap erfunden, gefolgt von einer Annapolis-Konferenz. Israel beschwerte sich, kein verhandlungsfähiges Gegenüber zu haben. Die Palästinenser taten alles, um diesen Eindruck zu untermauern. Hamas und Fatah sind einander bis heute spinnefeind.

Ein Staat, zwei Völker, aber eines beherrscht das andere

Zweitens: Ein Staat, zwei Völker. Keiner beherrscht den anderen, Israelis und Palästinenser haben dieselben Rechte. Diese Idee hat in letzter Zeit Auftrieb bekommen. Allerdings würde ihre Realisierung das Ende des Zionismus ebenso bedeuten wie das Ende des Strebens nach einem unabhängigen Palästina. Im Gazastreifen und der Westbank leben rund vier Millionen Palästinenser, in Israel rund zwei Millionen Araber und 6,7 Millionen Juden. Was in Belgien zwischen Flamen und Wallonen einigermaßen funktionieren mag, lässt sich als Modell kaum auf die hyperempfindliche Bevölkerung des Nahen Ostens übertragen.

Drittens: Ein Staat, zwei Völker, aber eines beherrscht das andere. Das ist, trotz diverser Änderungen, der Zustand seit 1967. Obwohl Israel sich einseitig und vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen und sich in der Westbank mit der palästinensischen Regierung auf unterschiedliche Verwaltungszonen geeinigt hat, gilt das Land nach internationalem Recht wegen seiner weitgehenden Kontrolle dieser Gebiete nach wie vor als Besatzungsmacht. Insbesondere Benjamin Netanjahu hatte erwartet, dass sich die Palästinenser mit einer Teilautonomie abfinden, außerdem scheut er jeden Konflikt mit den rund 400.000 israelischen Siedlern.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wenn aber weder die Ein- noch die Zweistaatenlösung erfolgversprechend ist, was dann? Israel ist in jeder Hinsicht die stärkere Kraft in dem Konflikt – militärisch, ökonomisch, diplomatisch. Die Hoffnung aber, dass das palästinensische Nationalbewusstsein abebbt, erfüllt sich nicht. Weltweit wachsen eher, vor allem unter jungen Menschen, die Sympathien für die Palästinenser. Das hat auch mit der moralisch aufgeladenen Anti-Rassismus- und Anti-Kolonialismus-Bewegung im Zusammenhang mit „Black-Lives-Matter“ zu tun.

Auch die PLO galt einst als Terrororganisation

Vielleicht ist es an der Zeit, dass Israel der Hamas ein Verhandlungsangebot macht. An dieser Stelle sind empörte Einwände zu hören: Kein Appeasement! Mit Terroristen spricht man nicht! Doch erstens stimmt das nicht, weil Israel, zumindest indirekt, ohnehin Kommunikationskanäle zur Hamas unterhält. Und zweitens ist es historisch falsch. Als in Oslo mit der PLO verhandelt wurde, galt diese auch als Terrororganisation, Kontakte zu ihren Mitgliedern waren verboten. Dennoch entwickelte sich aus den Geheimverhandlungen eine politische Dynamik, die lange Zeit vielversprechend war.

Und überhaupt: Was gibt es zu verlieren? Nichts. Die Gespräche können jederzeit wieder abgebrochen werden. Was gibt es zu gewinnen? Das wäre auszuloten. Warum es aus Stolz und Prinzip richtig sein soll, einen solchen Versuch zu unterlassen, ist nur schwer zu verstehen. Alles ist besser als Krieg, Raketen, Tod und Leid.

Zur Startseite