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Gläubige Palästinenser in der Altstadt von Jerusalem

© dpa/AP/Oded Balilty

Israel: Die Wut der Muslime am Tempelberg

Die Lage in Jerusalem ist angespannt: Die Araber protestieren vor dem Tempelberg gegen neue Maßnahmen der israelischen Polizei. Am Freitag werden Zehntausende erwartet.

Die kleinen Gebetsteppiche liegen bereit, dicht an dicht, mehrere Meter lang, in vier Reihen, an diesem Mittag wenige Minuten vor 12 Uhr 46 am Löwentor in Jerusalem. Hunderte Muslime, die meisten Männer, ganz hinten auch einige Frauen, sind zum Mittagsgebet zu diesem ungewöhnlichen Ort gekommen, einer der Zufahrtsstraßen zur Altstadt. Autofahrer müssen warten. Die Julisonne brennt erbarmungslos senkrecht auf die Straße. Die meisten Betenden haben die Schuhe ausnahmsweise angelassen, der Boden ist glühend heiß. Dann ruft der Muezzin vom angrenzenden Tempelberg aus zum Gebet: Allahu Akbar, Gott ist groß. Das Gebet geht los, bewacht von schwer bewaffneten Polizisten, die sich auch auf den Mauern positioniert haben.

Die Lage ist angespannt in Jerusalem. Die Muslime sind verärgert und sehen das Gebet vor dem Altstadttor auch als Protest. Auf den Tempelberg, den drittheiligsten Ort für Muslime, wollen sie nicht mehr gehen, seit israelische Sicherheitsbeamte an den drei momentan geöffneten Eingängen Metalldetektoren aufgebaut haben, um die Betenden zu überprüfen. „Das geht es doch nicht um unsere Sicherheit, sondern um deren Sicherheit“, schimpft der 27-jährige Moussab Hirbawhi nach dem Gebet. „Wir weigern uns, da durchzugehen. Das ist unsere Moschee, unser religiöser Ort. Es sind die Israelis, die Probleme machen. Es wird erst Ruhe geben, wenn sie Palästina verlassen, und zwar das ganze Palästina, das alles hier gehört uns“, erklärt der junge Jerusalemer, der in Ägypten Medizin studiert hat.

Die Wut der Muslime ist groß an diesem Tag, den Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zum „Tag des Zorns“ ernannt hat. Nach dem Gebet ruft die Menge : „Mit unseren Seelen, mit unserem Blut erlösen wir Al Aksa.“ Kurz darauf fliegen Flaschen auf Polizisten, die antworten mit Blendgranaten. Und unter den Betenden kursieren Verschwörungstheorien über die Ereignisse vom Freitag: Könne man glauben, was da passiert sein soll? Sei es nicht vielmehr Propaganda Israels?

Am Freitag hatten arabisch-israelische Terroristen auf dem Tempelberg zwei israelische Polizisten erschossen. Sicherheitskräfte töteten daraufhin drei Angreifer. Es folgte eine ungewöhnliche Maßnahme: Der Tempelberg blieb bis Sonntag zu. „Seither haben wir zusätzliche Einheiten mobilisiert und Überwachungskameras und Metalldetektoren aufgebaut, um weitere Angriffe zu verhindern“, erklärt Polizeisprecher Micky Rosenfeld.

Kleine Veränderung kann die fragile Sicherheitslage ändern

Metalldetektoren, wie man sie von Flughäfen kennt, wie sie auch vor den Eingängen zur Klagemauer stehen und an anderen Orten in Israel. Jeder muss durch, ob Tourist, Jude oder Muslim. Doch die Muslime, die derzeit auf der Straße vor dem Löwentor beten, halten die Detektoren für einen ersten Schritt hin zur jüdischen Eroberung des Berges. „Was wir derzeit beobachten, ist, dass die Israelis planen, den Status quo zu verändern, indem sie elektronische Tore aufstellen und die Bewegungsfreiheit der Betenden verhindern. Das ist inakzeptabel“, erklärt Scheich Azzam Khatib, ein weißhaariger Herr, Direktor der islamischen Waqf. Die Waqf ist jene jordanische Organisation, die den Tempelberg religiös verwaltet. So sieht es der Status quo vor, die Israelis sind demnach verantwortlich für die Sicherheit auf dem Tempelberg. Jede noch so kleine Veränderung auf diesem Stückchen Erde kann die fragile Sicherheitslage ganz plötzlich verändern. Denn hier steht die Al-Aksa-Moschee. Doch auch den Juden ist der Berg heilig: Hier standen einst die beiden jüdischen Tempel. Übrig geblieben ist vom Zweiten Tempel nach der Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 nach Christus nur die Westmauer, also die Klagemauer, der wichtigste religiöse Ort der Juden.

Israelische Grenzpolizisten stehen in Jerusalem am Löwentor, wo palästinensische Männer zum Gebet zusammenkommen.
Israelische Grenzpolizisten stehen in Jerusalem am Löwentor, wo palästinensische Männer zum Gebet zusammenkommen.

© dpa

So ist der Streit um den Tempelberg immer wieder Auslöser von Gewalt und Hass. Als der damalige israelische Oppositionsführer Ariel Scharon im September 2000 den Berg mit einem Aufgebot an Sicherheitsleuten besuchte, war das der Funke, der die zweite Intifada mitentfachte, den blutigen Aufstand der Palästinenser. Denn der Besuch verdeutlichte Israels Anspruch auf ganz Jerusalem und den Tempelberg. Auch in den Jahren 2014 und 2015 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Jerusalem, weil radikale jüdische Gruppen immer wieder versuchten, auf den Tempelberg zu gelangen, um dort zu beten. Das ist nur Muslimen erlaubt. Um die Gewalt zu stoppen, wurde der Zugang für männliche Muslime unter 50 Jahren immer wieder gesperrt. Und auch die Murabitat und Murabitun, muslimische Glaubenswächter, die auf dem Tempelberg jüdische Besucher beschimpften, erhielten Zutrittsverbot. 2015 verschanzten sich daraufhin junge Angreifer in der Al-Aksa-Moschee, die von Israels Polizei gestürmt wurde.

Nun sind die Metalldetektoren Auslöser der Proteste. „Die Augen aller Muslime richten sich derzeit auf die Al-Aksa-Moschee, sie sind sehr besorgt darüber, was derzeit passiert, und sie sind besorgt über die jüdischen Angriffe gegen Al Aksa und gegen die Betenden“, erklärt Sheikh Yousef Abu Snaineh, der Imam und Prediger der Moschee, ein Mann im langen, weißen Gewand, der vor dem Ratstor, einem der Eingänge zum Tempelberg, mit Journalisten spricht. „Wir sind gegen diese elektronischen Tore, wir werden sie nicht passieren, wir werden draußen bleiben.“

Auf dem Plateau erstrahlt die goldene Kuppel des Felsendoms im Glanz der Hochsommersonne. Ruhig, ja friedlich scheint es hier. Die Schuhschränke vor der Moschee sind leer. Die Muslime fehlen, die sonst unter den Schatten spendenden Bäumen sitzen. Doch die Idylle trügt. Der Inlandsgeheimdienst Schin Bet und die Armee raten Regierungschef Benjamin Netanjahu, bei den Detektoren nachzugeben und so eine weitere Eskalation zu verhindern. Die ist nämlich vor allem am heutigen Freitag zu erwarten, wenn mehrere zehntausend Muslime am Tempelberg erwartet werden.

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