zum Hauptinhalt
Polizei nach den nächtlichen Anschlägen in den Straßen von Wien

© imago images

Islamistischer Terror in Wien, Nizza und Dresden: Ein Mentalitätswechsel im Blick auf den starken Staat tut Not

Die Gegenwehr liberaler Demokratien ist immer noch ungenügend. Es braucht jetzt Unterstützung für arbeitsfähige Sicherheitsdienste. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Es geht Schlag auf Schlag. Am 4. Oktober ersticht ein Islamist in Dresden einen schwulen Touristen, am 16. Oktober enthauptet ein Islamist nahe Paris den Lehrer Samuel Paty, am 29. Oktober ersticht ein Islamist in Nizza drei Menschen – und jetzt schießt mindestens ein Islamist in Wien um sich. Fünf Menschen sterben, mehr als ein Dutzend werden verletzt.

Europa wird wieder einmal von einer Serie islamistischen Terrors heimgesucht. Nach einer Zeit relativer Ruhe häufen sich die Angriffe. Und das in Zeiten der Pandemie, die womöglich auch den Zeitplan der Täter in Wien bestimmt hat. Der Terrorist wollte offenbar noch kurz vor dem Lockdown in Österreich möglichst viele Menschen töten, die einen letzten Besuch in Lokale genossen.

Diese Mischung aus Zynismus und Brutalität ist typisch für den islamistischen Terror. Ist Europa dieser andauernden Herausforderung gewachsen?

Die Antwort muss leider lauten: Offenkundig nicht. Der Befund ist zum Verzweifeln. In Wien war der von der Polizei erschossene Attentäter den Sicherheitsbehörden als militanter Extremist bekannt, vorbestraft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Trotzdem konnte er sich mit einem Schnellfeuergewehr bewaffnen und Komplizen um sich scharen. Die Behörden schauten offenbar zu wenig hin.

Die Nachlässigkeit allerorten ist deprimierend

In Dresden ist das Gewissheit. Dort hatten sich Polizei und Verfassungsschutz auf einen „Wirkverbund“ geeinigt, um den als Gefährder eingestuften und Ende September aus der Haft entlassen Syrer Abdullah Al H. H. permanent im Blick zu behalten. Doch als der Mann am 4. Oktober in Dresden auf offener Straße den Touristen erstach und dessen Begleiter schwer verletzte, waren weder ein Polizist noch ein Verfassungsschützer in der Nähe. Die Behörden hatten auch nicht mitbekommen, dass der Syrer kurz zuvor Messer gekauft hatte.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können  ]

Bei den Messerattacken in Frankreich ergibt sich ein ähnlich deprimierendes Bild. Der Lehrer Samuel Paty wurde im Internet beschimpft und bedroht, nachdem er im Unterricht beim Thema Meinungsfreiheit die Mohammed-Karikaturen besprochen hatte. Doch weder die Schule noch die Sicherheitsbehörden kümmerten sich um Schutz für Paty.

Auch die Kirche in Nizza blieb ungesichert, obwohl die Wut von Muslimen über die Mohammed-Karikaturen weiter kocht und christliche Gotteshäuser, gerade auch herausragende wie die Basilika Notre-Dame-de-l’Assomption, bekanntlich Anschlagsziel sein können. Im Juli 2016 hatten zwei Islamisten in einer Kirche in Nordfrankreich einem Priester die Kehle durchgeschnitten.

Liberale Demokratien müssen sich nicht aufgeben, aber Defizite abbauen

Trotz der schweren islamistischen Angriffe, die Europa erlebt hat – in Paris, in Brüssel, in Berlin, in London, in Madrid, in Barcelona und in Nizza schon einmal 2016, als ein IS-Mann mit einem Lkw 86 Menschen totfuhr – trotz all dieses Horrors bleibt die Gegenwehr ungenügend. Natürlich kann kein Staat perfekten Schutz bieten. Und liberale Demokratien wollen sich zu Recht nicht in autoritäre Regime verwandeln. Aber zumindest sollten Defizite verringert werden.

Das beginnt bei der Mentalität. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, Sicherheit energisch durchzusetzen und notfalls zu stärken, ist immer noch unterentwickelt. Gerade auch in Deutschland. Die Symptome sind vielfältig: Nachlässigkeit der sächsischen Behörden bei der Überwachung eines hochgefährlichen Islamisten; endlose Debatten um wirksame Instrumente für den Verfassungsschutz wie Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung; Glaubenskriege um die Vorratsdatenspeicherung; übertriebene Ängste vor einem Einsatz der Bundeswehr im Inland zum Schutz von Objekten und zur Entlastung der Polizei.

Und weit verbreitet: mehr Furcht vor dem Staat, der angeblich mit neuen Kompetenzen zum Überwachungsmonster mutiert, als vor den Feinden der Demokratie, die Anschläge planen. Die Islamisten registrieren jede Schwäche. Und nutzen sie gnadenlos aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false