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Trauer um die Opfer des Anschlags in Suweida.

© AFP/Sana

IS-Anschlagsserie in Syrien: Wo der "Islamische Staat" noch gefährlich ist

Syriens Herrscher und seine Verbündeten erklärten die Terrormiliz "Islamischer Staat" schon für besiegt. Doch verheerende Anschläge in Syrien beweisen das Gegenteil.

Von Frank Jansen

Es ist eingetreten, was die deutschen Sicherheitsbehörden und ihre Partner im Ausland schon länger befürchten. Mit der Serie von Anschlägen in der syrischen Provinz Suweida hat die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) demonstriert, dass sie trotz des weitgehenden Verlusts ihres Herrschaftsgebiets in Syrien und Irak immer noch zu monströsen Verbrechen fähig ist. Und Suweida ist nur ein Beispiel für die Gefahr, die weiterhin vom IS ausgeht. In Syrien und international und gerade auch in Deutschland.

Was geschah in Suweida?

Der IS kombinierte am Mittwoch mehrere Terrormethoden. Gegen vier Uhr früh überfielen Dutzende Kämpfer in der südsyrischen Provinz mehrere Dörfer in der Umgebung der Hauptstadt, die auch Suweida heißt. Die Dschihadisten stürmten Häuser und erstachen schlafende Bewohner. Dann attackierte der IS mit Selbstmordattentätern die Hauptstadt.

Was dort passierte, ist nicht in allen Details geklärt. Sicher ist offenbar, dass ein Dschihadist auf einem Gemüsemarkt und ein weiterer auf einem anderen belebten Platz Sprengstoffwesten zündeten. Angeblich sollen zwei weitere Selbstmordattentäter Checkpoints der Sicherheitskräfte angegriffen haben. Die Angaben syrischer Staatsmedien und der meist gut informierten oppositionellen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind widersprüchlich. Wie auch immer: Der Blutzoll in der Hauptstadt und den Dörfern war hoch. Die Terroristen töteten mehr als 240 Menschen.

Die von dem Großangriff überraschten Sicherheitskräfte hatten Mühe, gemeinsam mit verbündeten Milizen die Dschihadisten niederzukämpfen. Es dauerte mehrere Stunden, die syrische Luftwaffe musste eingreifen. Mehr als 50 IS-Kämpfer sollen getötet worden sein.

Die Terrormiliz hatte offenbar gezielt Suweida ausgewählt. Hier leben viele Drusen, die Glaubensgemeinschaft gilt bei sunnitischen Islamisten als ketzerische Sekte. Außerdem haben sich die Drusen im Bürgerkrieg nicht dem Widerstand gegen Diktator Baschar al Assad angeschlossen. Der IS kann nun den Angriff propagandistisch als Bestrafung von Ungläubigen feiern. Außerdem sind das Assad-Regime und seine wichtigsten Verbündeten, der Iran und Russland, blamiert. Alle drei hatten behauptet, die Terrormiliz sei besiegt. Das Massaker in Suweida zeigt das Gegenteil.

Der IS hat auf die militärischen Niederlagen mit der Rückkehr zu Guerilla-Taktik und klassischem Terror reagiert. In Sicherheitskreisen ist der Spruch im Umlauf, „die IS-Kämpfer sind schlechte Soldaten, aber perfekte Mörder“.

Womit ist Deutschland konfrontiert?

Suweida ist weit weg, doch für die deutschen Behörden bleibt ein Angriff des IS mit mehreren Selbstmordattentätern eines der denkbaren Szenarien. Die Anschläge vom November 2015 in Paris sind unvergessen. Im Juni kam nun ein weiteres Szenario hinzu, das selbst erfahrene Experten in Polizei und Nachrichtendiensten erschreckt hat. Nach einem Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz nahm ein Spezialeinsatzkommando im Kölner Stadtteil Chorweiler den tunesischen Islamisten Sief Allah H. fest. Der IS-Anhänger bereitete einen Anschlag mit einer Biobombe vor. Das hatte es bisher in Deutschland nicht gegeben.

Sief Allah H. stand nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft seit Herbst 2017 in Kontakt mit dem IS. Die Terrormiliz animierte ihn, einen Anschlag in Deutschland zu verüben. Der Tunesier beschaffte sich, offenbar mit Hilfe seiner Frau Yasmin, mehr als 3000 Rizinussamen, um den hochgiftigen biologischen Kampfstoff Rizin herzustellen. Als die Polizei gemeinsam mit der Feuerwehr am 12. Juni in die Wohnung des Paares eindrang, hatte der IS-Sympathisant bereits 84,3 Milligramm Rizin produziert. Um die Wirksamkeit zu testen, hätten Sief Allah H. und seine Frau in einer Kölner Zoohandlung einen Zwerghamster gekauft, teilte die Bundesanwaltschaft am Dienstag anlässlich der nun auch erfolgten Festnahme von Yasmin H. mit.

Der Fall zeugt vom ungeheuren Ideenreichtum des IS, wenn es um Anschläge geht. Generalbundesanwalt Peter Frank warnte in der ARD-Tagesschau nach der Festnahme von Sief Allah H.: „Wir müssen uns davon verabschieden, dass terroristische Straftaten immer nach dem gleichen Muster erfolgen.“ Sicherheitskreise halten eine Vielzahl von Terrorattacken für möglich.

Das kann eine Wiederholung dessen sein, was in Deutschland schon passiert ist: Terror von Islamisten mit Pistole (Frankfurt am Main 2011, zwei Tote, zwei Verletzte), mit einem Sprengsatz (Essen 2016, drei Verletzte), mit Axt (Würzburg 2016, fünf Verletzte), mit Rucksackbombe (Ansbach 2016, 15 Verletzte), mit einem Lkw (Anis Amri 2016 in Berlin, zwölf Tote und mehr als 70 Verletzte) und mit einem Messer (Hannover 2016, ein Verletzter, und: Amoklauf in Hamburg 2017, ein Toter, sechs Verletzte). Es fällt auf, dass die Einzeltäter außer in Frankfurt und Hamburg immer Islamisten mit Verbindungen zum IS waren. Und spätestens nach dem vereitelten Angriff in Köln erscheint auch ein Anschlag der Terrormiliz mit einem biologischen Giftstoff realistisch. Sicherheitsexperten schließen zudem Attacken mit einem chemischen Kampfmittel – der IS hat in Syrien Senfgas eingesetzt und mit Sarin experimentiert – nicht aus.

Wo sonst ist der IS besonders gefährlich?

Nicht nur in Syrien, auch im Irak hat die Terrormiliz noch Restgebiete in ihrer Gewalt. Von dort greifen immer wieder Dschihadisten Soldaten, Polizisten, kurdische Milizionäre und Dörfer an, wenn die Bevölkerung den IS nicht unterstützt. Doch auch außerhalb der Bürgerkriegszone Syrien-Irak ist die Terrormiliz aktiv. Sicherheitsexperten nennen Libyen, Jemen und weitere Länder – und einen Schwerpunkt: Von der Öffentlichkeit im Westen kaum bemerkt, ist der IS vor allem in Afghanistan zu einer beachtlichen Gefahr herangewachsen. Nicht nur für den überforderten Staat. Sicherheitskreise berichten von schweren Kämpfen zwischen Taliban und IS. Seit Wochen werden Gefechte mit vielen Toten aus der nordafghanischen Provinz Dschuzdschan gemeldet. Die verfeindeten Milizen agieren gegeneinander nicht weniger brutal als gegen die afghanische Armee und die verhassten Amerikaner. Obwohl oder gerade weil die meisten afghanischen Kämpfer des IS selbst einst Taliban waren.

Anfang Juli eroberte der IS Stellungen der Taliban in der Provinz. Die IS-Kämpfer machten Gefangene und gingen mit ihnen so um, wie sie es auch mit westlichen Geiseln taten: Zehn Taliban wurden enthauptet. Die Taliban schlugen zurück und töteten IS-Leute. Der IS startete einen Gegenangriff und nahm sogar einen Kommandeur der Taliban gefangen – auch ihm wurde der Kopf abgeschlagen. Sicherheitskreise schätzen, dass bei den Kämpfen mehr als 250 Dschihadisten von Taliban und IS ums Leben kamen.

Die beiden Terrormilizen liefern sich offenbar auch ein blutiges Wettrennen bei den Anschlägen gegen den afghanischen Staat. Zwei aktuelle Beispiele: Am vergangenen Sonntag sprengte sich ein Selbstmordattentäter des IS nahe dem internationalen Flughafen von Kabul in die Luft. 14 Menschen starben, mehrere Dutzend erlitten Verletzungen. Der Täter verfehlte allerdings sein Ziel, den kurz zuvor aus seinem Exil in der Türkei zurückgekehrten Vizepräsidenten Afghanistans und berüchtigten Warlord Abdul Raschid Dostum. Am Donnerstag tötete dann ein Selbstmordattentäter der Taliban in Kabul vier Mitarbeiter des afghanischen Geheimdiensts Amaniyat.

Der IS bombte auch im gerade abgelaufenen Wahlkampf in Pakistan. Am 13. Juli riss ein Selbstmordattentäter in der Stadt Mastung mehr als 120 Menschen mit sich in den Tod.

Kein Ende des IS-Terrors in Sicht?

Islamisten bleiben meist ihrer Agenda treu. Das entspricht ihrer extrem gottesfürchtigen Mentalität, kombiniert mit einem Langzeithorizont. Alles was kommt, hat Allah so gewollt. Will er den Sieg der Rechtgläubigen nicht heute, dann später. Aber Allah will es, da sind sich der IS, Al Qaida, die Taliban und alle anderen militanten und auch legalistisch agierende Islamisten ganz sicher.

Für den IS und seinen Anführer Abu Bakr al Baghdadi alias „Kalif Ibrahim“, der sich vermutlich in einer der verbliebenen Enklaven versteckt, gibt es zum Terror keine Alternative. Und die Miliz verfügt immer noch über einige tausend Kämpfer. Schon im Februar warnte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, im Interview des Tagesspiegels, „in ganz Syrien und im ganzen Irak rechnen wir damit, dass der IS weiter zu schweren Anschlägen in der Lage sein wird. Auch die Fähigkeit, Anschläge in Europa zu organisieren, hat nicht nachgelassen.“ Dass Kahl richtig lag, zeigen nicht nur der Angriff in Suweida und der verhinderte Anschlag in Köln.

Diese Woche meldete die US-geführte Task Force der internationalen Allianz gegen den IS, bei Luftschlägen in Syrien und Irak seien hochrangige Mitglieder der Terrormiliz getötet worden, die Anschläge in den Vereinigten Staaten, in Schweden und in Saudi-Arabien geplant hätten. Sicherheitskreise betonen allerdings, der IS begnüge sich nicht damit, selbst zu attackieren. Die martialische Propaganda im Internet solle Salafisten, aber auch schlicht labile Menschen anstacheln, selbst zu morden. Ein Beispiel könnte der Amoklauf vom vergangenen Sonntag in Toronto sein. Ein arabischstämmiger Mann erschoss eine junge Frau und ein Mädchen. Die kanadischen Behörden haben Erkenntnisse, dass der psychisch kranke Täter auf Websites des IS surfte. Die Terrormiliz reklamierte die Tat schon am Mittwoch für sich.

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