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Neigen die Deutschen besonders zu Untergangsszenarien? Dunkle Wolken über der Nationalflagge

© dpa/Rolf Vennenbernd

Irankrieg, Artensterben, Buschfeuer in Australien: Die Ängste der Deutschen

Warum sind apokalyptische Warnungen und Untergangsszenarien in Deutschland so beliebt? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Haben die Deutschen einen Hang zur Beschwörung naher Katastrophen? Die Medien sind voll von Weltuntergangswarnungen: ein Krieg am Golf mit Tendenz zum Weltenbrand; Klimakatastrophe; „Ende der Evolution“; steigende Armut; mehr Naturkatastrophen. Das ist kein Grund, auf die Medien zu schimpfen. Aus den vielen Berichten, die sie anbieten, suchen sich die Deutschen das heraus, wonach sie dürsten.

Plädoyer für positive Fakten

In weiten Teilen der Gesellschaft besteht anscheinend ein Bedürfnis nach Untergangsszenarien. Sonst hätten die Medien, die es bedienen, nicht so viel Erfolg beim Publikum. Mitunter wird die Warnung vor der Katastrophe mit der protestantisch-pädagogischen Botschaft gewürzt, das böse Ende sei eventuell zu vermeiden, wenn der Blick in den Abgrund die Menschen zur Umkehr treibe.

Die Faszination an der Apokalypse und das Geschäft mit ihr sind kein deutsches Alleinstellungsmerkmal. Der kürzlich verstorbene schwedische Gesundheitsforscher Hans Rosling berichtet in seinem Bestseller „Factfullness“, dass die meisten Menschen Schlüsselfragen der Weltlage negativer sehen, als sie tatsächlich sind. Dem müsse man positive Fakten entgegenstellen.

Wie hat sich der Anteil extrem armer Menschen an der Bevölkerung in den letzten 20 Jahren entwickelt? Er ist nicht gestiegen, wie viele Befragte meinen. Er hat sich halbiert. Kriege und Gewalt haben im Vergleich zu früheren Jahrhunderten nicht zu-, sondern abgenommen, hat Harvard-Professor Steven Pinker belegt.

Artensterben: Relationen zurechtrücken

Die begründeten Warnungen eines UN-Berichts vor einem beschleunigten Artensterben wurden in manchen Schlagzeilen dramatisiert: „Der Mensch tilgt die Natur von der Erde.“ Andy Purvis, Forschungsleiter am Natural History Museum London und Mitautor des Berichts, rückt die Relationen zurecht. 8,1 Millionen Tier- und Pflanzenarten sind bekannt, davon gelten eine Million als gefährdet.

„Gefährdet bedeutet aber nicht, dass sie aussterben werden“, betont Purvis. Es hänge vom Verhalten des Menschen und anderen Entwicklungen ab. 900 Säugetiere und Vogelarten sind seit dem Jahr 1500 ausgestorben. Die Zahl der neu entdeckten Arten steigt schneller, um mehr als Zehntausend pro Jahr.

Auch die Warnungen der vergangenen Wochen vor dem großen Irankrieg standen in bemerkenswertem Widerspruch zu den Analysen der Fachleute. Deren Befund war: Weder der Iran noch die USA wollen einen Krieg. Iran wäre nicht fähig, ihn zu führen; Präsident Trump hat den Wählern ein Ende der „Endless Wars“ versprochen, die Menschenleben und Steuergeld kosten, den USA aber wenig Vorteile bringen. Im Wahljahr will er erst recht keine Kriegsrisiken eingehen.

Iran-Krieg: Experten halten ihn für unwahrscheinlich

Diese eigentlich beruhigende Sicht der Experten wurde nicht verschwiegen. Sie ging jedoch unter in der emotionalen Wucht der Kriegswarnungen von Politikern und Medien. Die Frage nach ihrer Verantwortung – Ängste in der Bevölkerung verstärken oder beruhigend einwirken? – wurde kaum diskutiert.

Wer europäische Pressestimmen zur Eskalation am Golf miteinander verglich, konnte den Eindruck gewinnen, dass die Kriegsangst in Deutschland virulenter ist als in Frankreich und Großbritannien. Das ist nicht neu, wird aber in Deutschland gerne verdrängt. In der Regel halten Nationen ihr kollektives Verhalten für rational und ein abweichendes Verhalten anderer Gesellschaften für irrational. Die Selbstreflexion, ob vielleicht das eigene Verhalten ein Minderheitenphänomen in Europa ist, ist eine seltene Übung.

Wer sich gängige Endzeitprognosen der letzten Jahrzehnte anschaut – Ende des Wachstums; die Lichter gehen aus (Ende der Ölreserven); atomare Apokalypse durch Wettrüsten; Waldsterben; „y2k“ (Zusammenbruch der Computersysteme beim Jahrtausendwechsel); Implosion des globalen Finanzsystems; Klimakatastrophe – darf, erstens, festhalten, dass sie nicht eingetreten sind. Und, zweitens, dass die Deutschen sich mit ihren Ängsten hervortun.

"German Angst" als internationales Schlagwort

Das gilt besonders, wenn es um die Natur, zugespitzt in der romantischen Verklärung des Walds, oder um Krieg geht. Das ist einerseits verständlich. Krieg ist ein besonderes deutsches Trauma wegen der speziell deutschen Verquickung aus verbrecherischer Aggression und der Erfahrung der Wehrlosigkeit in Bombenkrieg und bedingungsloser Niederlage. Nur, warum macht diese Disposition die Deutschen nicht empfänglicher für jedes rationale Argument, das ihre Angst vor dem Krieg mildern könnte?

Zudem geht der Befund zu den deutschen Ängsten über das Spezialthema Krieg hinaus. Die Zahl der deutschen Buchtitel, die mit Ängsten werben, ist erdrückend. „German Angst“ hat es zum internationalen Schlagwort gebracht.

Wenn man sich was wünschen dürfte: mehr Lust am positiven Widerspruch. Mehr Neugier auf Fakten und Argumente gegen die Angst. Zum Beispiel, dass Interessierte die Regenstatistik des Meteorologischen Dienstes für Australien zu Rat ziehen, wenn sie die Nachricht hören, die Buschfeuer seien durch eine sich seit langem hinziehende Klimaveränderung mit seit Jahren sinkenden Niederschlägen verursacht worden. Laut der Jahrhundertkarte war 2019 ein extrem trockenes Jahr, die zwei Jahrzehnte seit 2000 waren aber keineswegs trockener als frühere Dekaden.

Gewiss geschehen viele schlimme Dinge rund um die Erde. Aber ganz so nah am Weltuntergang, wie man in Deutschland gerne behauptet, ist die Menschheit dann doch nicht.

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