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US-Präsident Joe Biden bei der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2021.

© imago images/Xinhua

Interview zu einem Jahr Biden: „US-Präsident Biden verdient eine Drei Plus“

Der Transatlantik-Experte Jack Janes über das erste Amtsjahr des US-Präsidenten, die starke Polarisierung im Land und die Folgen für die Außenpolitik.

Herr Janes, vor genau einem Jahr wurde Joe Biden als US-Präsident vereidigt. Wie bewerten Sie seine bisherige Arbeit?

Seine Note wäre wohl eine Drei Plus. In den ersten sechs Monaten war er ziemlich erfolgreich, die Menschen waren wohl einfach froh, dass er nicht Donald Trump ist. Er hat mehrere Gesetze durch den Kongress gebracht. Aber dann haben die Republikaner im Senat dieses Momentum beendet. Bei den Wahlrechtsreformen und seinem Klima- und Sozialpaket hat er nun ein Problem. Joe Biden geht es wie vielen Präsidenten: Sie treten mit großen Plänen ihr Amt an und erleben dann den Realitätscheck in einem Kongress, der sich aus 435 Abgeordneten und 100 Senatoren zusammensetzt, die alle denken, sie könnten selbst Präsident sein. Der jetzige Kongress ist zudem genau in der Mitte geteilt. In diesem Jahr, in dem am Ende ein Teil des Kongresses neu gewählt wird, wird es noch schwieriger für Biden, seine Vorhaben durchzubringen.

Welche Note hat er sich in der Außenpolitik verdient? Auch hier lief es anfangs gut, mit der Rückkehr ins Pariser Klimaschutzabkommen und dem Verbleib in der Weltgesundheitsorganisation. Dann kam der chaotische Abzug aus Afghanistan.

Bei seinem Auftritt auf der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz 2021 und seiner Europa-Reise im Juni hat der Präsident klargemacht, dass Amerika zurück ist. Die Partner reagierten erleichtert. Während es aber einerseits klar war, was es brauchte, um die transatlantische Gemeinschaft wieder auf Kurs zu bringen, zeigte sich schnell auch, dass es bei den Entscheidungsprozessen weiter Unterschiede geben würde. Bei Afghanistan wurde das besonders deutlich.

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Die Verbündeten fühlten sich zu wenig eingebunden. Und dann hat Biden die Richtung seiner Außenpolitik mit dem Satz umschrieben, dass diese der amerikanische Mittelschicht nutzen müsse. Kritiker haben das mit der „America first“-Politik seines Vorgängers verglichen. Haben sie Recht?

Hierzulande findet eine große öffentliche Debatte über die Frage statt, welche Verantwortung die USA auf der Weltbühne tragen und welche Lasten andere übernehmen müssen. Das ist keine neue Debatte. Aber es gibt nun viele, die sagen, wie sind nicht mehr das gleiche Land wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir können nicht mehr bestimmen, was passieren soll. Es gibt Widerstand – ganz sicher in China, aber nicht nur dort. Es gibt keine bipolare Weltordnung mehr. Die Europäer und besonders die Deutschen müssen verstehen, dass der US-Präsident eine eindeutige Botschaft für die Amerikaner haben muss, warum es in ihrem Interesse ist, Partner zu haben. Biden regiert ein Land, das extrem gespalten ist. Eine Außenpolitik, die nicht von der Mehrheit der Amerikaner unterstützt wird, kann er kaum umsetzen.

Jack Janes ist Senior Fellow beim German Marshall Fund und ehemaliger Präsident des American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University in Washington.
Jack Janes ist Senior Fellow beim German Marshall Fund und ehemaliger Präsident des American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University in Washington.

© GMF

Was bedeutet das für die Partner?

Da geht es um das alte Thema Lastenteilung. Die Europäer müssen ihrerseits die Debatte führen, wozu sie willens und in der Lage sind. Es wäre gut, wenn besonders die Deutschen dann von sich aus sagen: Hier, diese Probleme, die wir zusammen definiert haben, können wir gemeinsam lösen. Das kann die Pandemie betreffen, den Klimawandel, China, Russland oder anderes. Aber es braucht das Signal, dass man diese globalen Probleme gemeinsam angehen will. Der neue Koalitionsvertrag in Berlin ist ein guter Anfang.

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Angesichts der tiefen Polarisierung der USA, wo ein Ex-Präsident seine Niederlage leugnet und gegen seinen Nachfolger hetzt, fragen sich viele Partner: Wie widerstandsfähig ist die US-Demokratie?

Die amerikanische Demokratie ist fragil. Ich bin besorgt darüber, dass es eine Wiederholung dessen geben könnte, was wir unter Trump erlebt haben. Das würde es ungemein erschweren, die Debatte über unsere Verantwortung zu führen. Die Republikaner tun alles dafür, die Kontrolle über den Kongress zurückzubekommen – und öffnen die Tür zu einer möglichen zweiten Amtszeit von Trump oder jemandem anderen, der sich ähnlich verhält. Das macht Bidens Job in den kommenden zwei, drei Jahren nicht einfacher.

Können die Europäer da helfen?

Sagen wir so: Es wäre problematisch, wenn Biden sagen müsste, dass er bei seiner China- oder Russland-Politik keine Unterstützer erfahre. Er hat die Herausforderung als den Wettstreit zwischen Demokratien und autoritären Staaten beschrieben. Umso fester die Europäer, unsere engsten Verbündeten, in diesem Ringen an seiner Seite stehen, umso besser.

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Der „Economist“ hat gerade über Biden geschrieben, er sei zum Scheitern verurteilt gewesen – als Mensch mit Fehlern und in einem unmöglichen Job. Sind die Erwartungen an den politischen Gestaltungsspielraum des US-Präsidenten zu groß?

Das ist wohl so. Der Kongress, und hier vor allem der Senat, der die Außenpolitik des Präsidenten ja kontrollieren soll, ist genau in der Mitte gespalten. Da einfach mal was durchzusetzen, ist nicht möglich. Das sehen wir gerade am Konflikt um Nord Stream 2

… wo sich Biden im vergangenen Jahr mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel geeinigt hatte, aber die Republikaner im Senat weiter auf Strafmaßnahmen gegen das Pipeline-Projekt pochen.

Genau. Die angespannte innenpolitische Lage macht es nicht einfacher, Außenpolitik mit den Verbündeten zu koordinieren. Und dann gibt es die Situation in der Ukraine, bei der sich die Frage stellt, wie die USA und ihre Partner innerhalb der Nato mit dieser Krise umgehen. Es gibt eine große Unsicherheit, was außenpolitisch passiert und was der Präsident zuhause erreichen kann. Das lässt ihn schwach aussehen.

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In Deutschland wurden die vergangenen US-Präsidenten extrem unterschiedlich beurteilt und damit auch das Verhältnis zu den USA als Ganzes. Viele fürchten angesichts von Bidens Schwäche das Schlimmste: dass Trump zurückkehrt. Das weckt Zweifel an der Verlässlichkeit des amerikanischen Partners.

Die Deutschen neigen in der Tat dazu, sich sehr stark auf die Präsidentschaft zu fokussieren. Das ist dann häufig eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Bill Clinton war sehr beliebt, George W. Bush sehr unbeliebt. Barack Obama war super populär, und dann kam Trump. Aber trotzdem gibt es doch Konstanten, Probleme, die uns gleichermaßen betreffen wie derzeit die Lage an der ukrainischen Grenze, China, die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie oder des Klimawandels. Daraus ergibt sich die Chance, zu verstehen, dass wir diese Herausforderungen nur gemeinsam lösen können.

Wie groß ist Ihrer Ansicht nach die Gefahr, dass Trump zurückkehrt?

Wir wissen noch nicht genau, wie sich die Dynamik innerhalb der Republikanischen Partei entwickelt. Ich denke, es gibt keinen Automatismus, dass Trump 2024 der Kandidat wird. Aber selbst wenn nicht, wird sein Einfluss auf diese Frage erheblich sein. Dennoch: Die Europäer und speziell die Deutschen sollten die Tür für Kooperation mit den Vereinigten Staaten immer offen halten. Amerika ist kein hoffnungsloser Fall.

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