zum Hauptinhalt
Struck

© Rückeis

Interview: Struck: Werden Union beim Mindestlohn treiben

Fraktionschef Peter Struck spricht im Tagesspiegel-Interview über den SPD-Streit um das Arbeitslosengeld, das Klima in der großen Koalition und die geplante Bahn-Privatisierung.

Was wird nach diesem Parteitag für die SPD besser, Herr Struck?

Das Verhältnis zu den Gewerkschaften wird deutlich besser werden. Mit dem Vorschlag für längere Arbeitslosengeldzahlungen an Ältere hat Kurt Beck ein wichtiges Signal gesetzt. Außerdem rechne ich mit einer Beruhigung der Partei. Die Debatte über das Arbeitslosengeld I hat viele verstört.

Wer gibt der SPD eigentlich die Linie vor - Franz Müntefering, Kurt Beck oder Oskar Lafontaine?

Die Partei und damit der Parteivorsitzende gibt die Linie vor. Die so genannte Linke macht Populismus, wir machen verantwortliche Politik.
        
Ist es nicht so, dass die SPD-Führung erst unter dem wachsenden Druck von Lafontaines Linkspartei den Entschluss gefasst hat, das Arbeitslosengeld I zu verlängern?

Nein. Entscheidend waren die Probleme und Gefühle der Menschen, die Kurt Beck schneller erfasst hat, als andere. Er hat mit vielen Menschen in seinem Land, mit Arbeitslosen und mit Älteren gesprochen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Dabei ist ihm klar geworden: die Menschen empfinden die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I als massive Ungerechtigkeit. Sie verstehen nicht, dass sie nach zwölf Monaten genauso in Hartz IV rutschen wie die Jüngeren, die weniger Beiträge eingezahlt haben und leichter wieder Arbeit finden.

War die SPD in der Vergangenheit nicht nah genug bei den Menschen?

Es ist Erkenntniswandel eingetreten. Wir sind uns darüber klar geworden, dass die Agenda 2010 in diesem Punkt zu weit gegangen ist.

Sie haben sich im Streit zwischen Müntefering und Beck schnell auf die Seite des Vorsitzenden geschlagen. Zur Begründung heißt es aus Ihrer Fraktion, Beck hätte andernfalls zurücktreten müssen. Hat diese Überlegung für Sie eine Rolle gespielt?

Nein. Das ist doch völliger Unsinn. Für mich war völlig klar, dass es Handlungsbedarf gibt. Wenn ein Parteichef feststellen muss, dass jeden Monat Hunderte von Menschen aus der SPD austreten, weil sie das Gefühl haben, die SPD sei nicht mehr die Partei der sozialen Gerechtigkeit, dann muss er Konsequenzen ziehen.

Auch wenn diese Konsequenzen in der Sache falsch sind, wie Arbeitsminister Müntefering sagt?

Ich will gar nicht bestreiten, dass Franz Müntefering gute fachpolitische Gründe für seine Meinung hat. Die politische Notwendigkeit dieser Revision steht für mich aber außer Frage. Es geht darum, eine große gefühlte Ungerechtigkeit zu beseitigen, ohne die Agenda 2010 zu kippen.

Was sagen Sie eigentlich den Abgeordneten, die sich wegen des verkürzten Arbeitslosengeldes jahrelang an der Basis beschimpfen lassen mussten und sich jetzt - " wir zitieren - "wie der letzte Depp vorkommen"?

Dass manche den Erkenntniswandel nicht so schnell nachvollziehen wollen, kann ich verstehen. Trotzdem ist der neue Weg richtig. Ich erwarte, dass die Abgeordneten die Politik der Partei nach dem Parteitag auch an der Parteibasis vertreten. Das ist ihre Aufgabe. Franz Müntefering hat für seine Position viel Beifall in der Fraktion bekommen.

Sind Sie sicher, dass es eine Mehrheit für längere Arbeitslosengeldzahlungen unter der SPD-Angeordneten gibt?

Wenn der Parteitag darüber beschlossen hat, werden wir das Thema sehr zügig in den Koalitionsausschuss bringen. Ich bin sicher: Die Union wird auf uns zugehen. Wenn die Details besprochen sind, wird das Arbeitsministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeiten, den wir dann im Bundestag beraten. Der Arbeitsminister erwartet von beiden Regierungsfraktionen ein gemeinsames Konzept. Es gibt die Möglichkeit einer Initiative beider Fraktionen. Aber auch dabei arbeitet das Ministerium an Formulierungshilfen mit. Da gibt es keine Probleme.

Erwarten Sie von Müntefering, dass er den Parteitagsbeschluss in der Koalition durchsetzt?

Natürlich. Wir hatten einen Streit in einer Sache. Und da ist es zweitrangig, ob Müntefering anderer Auffassung ist als Beck und ich. Zuerst beschließt der Parteitag in Hamburg. Danach werden wir gemeinsam an der Umsetzung arbeiten.

Rechnen Sie bereits im Koalitionsausschuss Anfang November mit einer Einigung?

Das ist nicht ausgeschlossen. Wie ich höre, will auch die Union schnell entscheiden. Allerdings hat die Union in Dresden beschlossen, für eine längere Zahldauer des Arbeitslosengeldes an Ältere die Jungen bezahlen zu lassen. Und das machen wir nicht mit.

Wer soll dann bezahlen?

Es gibt kein Finanzierungsproblem. Die Arbeitsagentur verfügt über so umfangreiche Überschüsse, dass wir die Beitragssenkung auf 3,5 Prozent, die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und den Erwerbstätigenzuschuss finanzieren können. Es werden Forderungen in der Union laut, längere Arbeitslosengeldzahlungen mit der Lockerung des Kündigungsschutzes zu verbinden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union da eine Verbindung ziehen wird. Wir würden das keinesfalls mitmachen.

Wann wird das längere Arbeitslosengeld im Gesetz stehen?

Das kann sehr schnell gehen. Vielleicht schon im ersten Quartal 2008. Weniger populär als längere Arbeitslosengeldzahlungen sind die Pläne zur Bahnprivatisierung.

Wird der Parteitag dennoch zustimmen?

Davon gehe ich fest aus. Es gibt keine Alternative, wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn erhalten wollen. In wenigen Jahren werden die Verkehrsmärkte in ganz Europa geöffnet sein. Wenn wir jetzt nicht für optimale Startbedingungen sorgen - und das bewirkt die Bahnreform - dann wird die Deutsche Bahn mit Polen, Franzosen oder Italienern in Deutschland konkurrieren müssen. Experte sagen, mit dem Volksaktienmodell der SPD wird die Bahn-Privatisierung zum Flop. Das ist Quatsch. Wir müssen jetzt verhindern, dass die Bahn zerschlagen wird. Deshalb brauchen wir in Hamburg einen Beschluss, der sicherstellt, dass die Bahn mehr Geld für den Wettbewerb bekommt. Die Koalitionsfraktionen werden dann schon dafür sorgen, dass das Unternehmen nicht in die Hände von Heuschrecken gerät.

Herr Struck, kann das Klima in der Koalition noch schlechter werden?

Es sollte besser werden.

Übertreibt Kurt Beck, wenn er beklagt, die Kanzlerin verstoße gegen die guten Sitten?

Es gibt schon ärgerliche Vorgänge. Da geht es vor allem um mangelnde Verlässlichkeit bei Absprachen. Wir können es nicht akzeptieren, dass die Gesprächspartner auf Unionsseite dauernd sagen, sie bekämen das Verabredete in ihrer Fraktion nicht durch.

Muss die SPD nach dem Parteitag eine härtere Gangart gegenüber der Union an den Tag legen?

Wir werden die Auseinandersetzung in der Koalition vor allem bei den branchenspezifischen Mindestlöhnen führen. Wir werden die Union hier treiben. Bei diesem Thema wird der Streit ausgetragen, wer in diesem Land für soziale Gerechtigkeit sorgt. Ich sage erhebliche Debatten mit dem Koalitionspartner voraus, wenn es etwa darum geht, für gerechte Löhne für Zeit- und Leiharbeiter zu sorgen. Da kann die Union dann zeigen, ob sie sozialer geworden ist, oder sich nur den Anschein gibt.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov.
  

Zur Startseite