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Eine Kundgebung für den inhaftierten russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny in St. Petersburg.

© Anton Vaganov/Reuters

Interview mit Litauens Außenminister Landsbergis: „Russland wird sich selbst isolieren“

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis über die Entwicklung Russlands unter Putin, die Lage in Belarus - und Altkanzler Gerhard Schröder.

Herr Landsbergis, Ihr Großvater war einer der Gründer der litauischen Unabhängigkeitsbewegung und 1990 der erste Staatspräsident. Was haben Sie von ihm für Ihre politische Arbeit gelernt?
Die Bedeutung freier Wahl und der Freiheit. Er machte aus dem Freiheitswillen der Menschen eine politische Bewegung, eine demokratische Kraft, die die Wahlen gewonnen und uns die Freiheit gebracht hat. Diese Lektion ist heute immer noch sehr wichtig, unser Nachbarland Belarus versucht gerade, das Gleiche zu schaffen.

Sie sehen also Parallelen zwischen der Situation in Litauen vor drei Jahrzehnten und der belarussischen Demokratiebewegung heute?
Die Menschen in Belarus protestieren gegen eine gestohlene Wahl. Sie haben das Gefühl, dass ihnen damit auch ein Teil ihrer Würde genommen wurde. Der Protest ist getragen von Emotionen. Auch diese Bewegung wird politisch werden müssen, daraus werden Parteien entstehen müssen, die dem Land einen Weg in die Zukunft anbieten.

Die Proteste in Belarus dauern nun schon mehr als sieben Monate, aber Staatschef Alexander Lukaschenko ist noch im Amt. Verliert die Protestbewegung an Schwung?
Wir können uns nicht vorstellen, was die Menschen in Belarus durchmachen, wie viele von ihnen ins Gefängnis mussten, wie viele misshandelt wurden, wie viele ihren Arbeitsplatz verloren haben. Die kleinen Freiheiten, die sie noch haben, werden ihnen genommen. Aber mein Eindruck ist, dass in Belarus eine Linie überschritten wurde, hinter die es kein Zurück mehr gibt. Die Menschen vertrauen dem Regime nicht mehr. Die Frage ist nur, wie lange sich das Regime noch halten kann.

Gabrielius Landsbergis ist seit Dezember vergangenen Jahres Außenminister Litauens.
Gabrielius Landsbergis ist seit Dezember vergangenen Jahres Außenminister Litauens.

© Hannibal Hanschke/Reuters

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die in Litauen lebt, hat die EU wiederholt aufgerufen, sich stärker für Belarus einzusetzen. In welchen Bereichen sollte die EU mehr tun?
Bei uns in Litauen kommen ständig politische Flüchtlinge aus Belarus an, viele von ihnen wurden misshandelt. Bis sie von der Justiz in Belarus Gerechtigkeit erwarten können, wird es lange dauern. Hier können wir helfen. In Litauen wurden in einigen Fällen Ermittlungen gegen belarussische Sicherheitskräfte eingeleitet. Ich appelliere an die europäischen Staaten, in denen es durch das Weltrechtsprinzip die Möglichkeit gibt, solche Fälle zu verfolgen, das auch zu tun. Das wäre ein Zeichen echter Solidarität. Außerdem sollte die EU den Menschen in Belarus zeigen, dass Europa auf ihrem Weg zu einem demokratischen und prosperienden Land ihr Verbündeter ist. Wir sollten nicht einfach abwarten, was passiert. Denn der russische Präsident Putin wird ebenfalls zur Stelle sein, er wird Parteien und deren Führungsfiguren erschaffen, wie er das in anderen Staaten getan hat. Dann müssen die Europäer ihr Engagement erhöhen.

Gerade jährt sich zum siebten Mal die Annexion der Krim durch Russland. Seitdem gab es den Krieg in der Ostukraine, Hackerangriffe, einen politischen Mord im Zentrum von Berlin und zuletzt die Vergiftung eines russischen Oppositionsführers mit einem chemischen Kampfstoff. All das belastet das Verhältnis zu Russland. Wie sollten die Europäer darauf reagieren?
Russland steuert vor den Wahlen im Herbst auf eine sehr wichtige Schwelle zu. Im ersten Drittel seiner Amtszeit war Putin ein Staatschef, der dem Land Wohlstand brachte. Er kämpfte gegen die Oligarchen, verkaufte Öl und verstaatlichte Firmen. Die zweite Phase war geprägt von einem nationalistischen, aggressiven Russland, mit Kriegen in Georgien und der Ukraine und Morden an Gegnern außerhalb der eigenen Grenzen. Im letzten Teil von Putins Amtszeit könnte Russland sich in Richtung Nordkorea entwickeln. Die wirtschaftliche Situation ist nicht gut, der Westen wird weniger abhängig vom Gas – mal abgesehen von einer gewissen Pipeline. Putins einzige Option ist es, die Proteste niederzuschlagen und das Land abzuschotten. Das beginnt bereits.

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Was bedeutet das für das europäische Verhältnis zu Russland?
Russland wird sich selbst isolieren. Denn wenn das Regime in den nächsten Monaten gewaltsam gegen die Opposition vorgeht, wird Europa dazu nicht schweigen können. Das ist der Wendepunkt, an dem Europa die nötigen Hebel einsetzen muss.

Welche könnten das sein?
Es gibt verschiedene Optionen im Bereich der Wirtschaft. Nord Stream 2 wäre so ein Hebel. Die Europäer sollten konkrete Schritte einfordern: dass die Proteste geduldet werden, Oppositionelle freikommen, Wahlbeobachter zugelassen werden. Es ist wie mit Belarus: Europa muss an der Seite der Menschen stehen.  

Aber ist es realistisch, dass die EU das tun wird? Nord Stream 2 wurde nach dem Giftanschlag auf Nawalny und seiner späteren Inhaftierung ja auch nicht gestoppt.
Wir werden reagieren müssen, wenn sich die Lage in Russland verschlechtert.

Litauen hat die Pipeline Nord Stream 2 von Anfang an abgelehnt. Hat das deutsche Festhalten an dem Projekt das bilaterale Verhältnis beeinträchtigt?
Nein, das würde ich nicht sagen. Deutschland hat in Litauen einen wirklich guten Freund, wir haben praktisch eine strategische Partnerschaft. Aber das Thema Nord Stream 2 schmerzt uns. Das Projekt spaltet, es ist gegen die baltischen Staaten und gegen die Länder der östlichen Partnerschaft und letztlich gegen die europäische Einheit gerichtet, die Deutschland mit so viel Energie mit aufgebaut hat.  

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ist heute für Nord Stream 2 tätig und sitzt außerdem im Aufsichtsrat von Rosneft. Wie bewerten Sie das?
Die freundliche Antwort wäre: Das ist sehr unglücklich für Deutschland.

Sehr diplomatisch…
Wissen Sie, das gibt es in anderen Ländern auch. Wir haben ebenfalls Leute, die für sehr gutes Geld manchmal die Interessen ihres Landes verkaufen.

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