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In Chicago gab es, wie hier zu sehen, im Nachgang zum Tode von George Floyd Proteste. Manche davon eskalierten.

© Chris Dilts/imago

Interview mit dem Präsidenten der Polizeigewerkschaft von Chicago: „Rassismus ist kein so großes systemisches Problem, wie die Demonstranten sagen“

John Catanzara vertritt die Polizisten von Chicago als Gewerkschaftspräsident. Im Interview spricht er über Rassismus innerhalb der Polizei - und die Demonstrationen in seiner Stadt.

Das nachfolgende Interview stammt aus der Ausgabe des „Twenty/Twenty“-Newsletters des Tagesspiegels zur US-Wahl vom 18.06.2020. Hier können Sie den kostenlosen Newsletter für aktuelle und exklusive Inhalte abonnieren.

John Catanzara (52) ist seit 25 Jahren Polizist in Chicago und seit Mai 2020 Präsident des „Fraternal Order of Police“, der Polizeigewerkschaft von Chicago, die 13.000 aktive Mitglieder hat. Bevor er ins Amt kam, gab es Diskussionen um frühere Disziplinarverfahren gegen ihn. Er ist ein Unterstützer von Präsident Donald Trump, des Rechts auf Waffenbesitz und ein Kritiker der Bürgermeisterin von Chicago, Lori Lightfoot. 

Herr Catanzara, wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?
Es gab viele Proteste, das war eine intensive Zeit am Beginn meiner dreijährigen Amtszeit. So etwas hatten wir hier noch nie, das war einzigartig. Es gab einfach gar keinen Plan seitens der Bürgermeisterin. Es wurde sehr vorsichtig agiert, um es freundlich auszudrücken. Die Bürgermeisterin wollte kein militaristisches Bild der Polizei. Die Stadt hat den Preis dafür gezahlt. Es wurden mehr als 200 Polizisten verletzt. Wir waren nicht darauf vorbereitet, obwohl wir wussten, was auf uns zukommt.
 

Es gibt jetzt viel Kritik an der Polizei, Videos von gewalttätigen Polizei-Beamten verbreiten sich in den sozialen Medien. 
Es gibt diese Art in den sozialen Medien, eine größere Sache aus Dingen zu machen, als sie es eigentlich sind. Die Polizisten empfinden derzeit genauso Frust wie alle anderen - es sind Menschen. Wenn sie an der Front sind, wenn sie mehr als sechs, acht Stunden angeschrien und auf alle denkbaren Arten beleidigt und mit Urin, Fäkalien und Feuerwerkskörpern beworfen werden – es gibt einfach eine Grenze. 

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Gab es Gewalt seitens der Polizei?
Gegen die Demonstranten wurde nicht gewalttätig vorgegangen, sondern gegen die Anarchisten. Man hat die Verpflichtung, sich an die Gesetze zu halten. Bilder von Verhaftungen sehen nie gut aus. Es ist ein notwendiges Übel und ich wünschte, die Leute würden verstehen, dass es Regeln gibt, denen man folgen muss. Das hat aber nichts mit der Hautfarbe zu tun. Ich hatte schon mit ungehobelten Menschen aller Hautfarben und jeglichen Geschlechts zu tun.
 

Können Sie die Demonstranten verstehen?
Die Demonstranten kann ich ein bisschen verstehen, die Anarchisten nicht. Das sind zwei unterschiedliche Gruppen.
 

Können Sie das erklären?
Speziell hier haben die Anarchisten die Türen für alle Kriminellen geöffnet - Sachen abzubrennen, zu plündern und zu klauen, was immer sie konnten. Nachdem das passiert ist, kam es zu den legitimen Protesten. Ich verstehe deren Anliegen, stimme aber nicht mit allem überein, was sie sagen. Ich glaube nicht, dass Rassismus ein so großes systemisches Problem ist, wie sie sagen.


Behandeln Polizisten Menschen mit schwarzer Hautfarbe anders als Weiße?
Wir haben 22 Polizei-Bezirke in der Stadt. Der Großteil der Morde findet in vier Bezirken statt – und das sind afroamerikanische Bezirke. Wir schaffen das Verbrechen nicht – es ist da. Gang- und Drogenprobleme heizen Schusswechsel und Morde an. Wir gehen dahin, wo das Verbrechen ist. Wenn jetzt Zahlen angeführt werden, dass schwarze Menschen in Chicago öfter festgenommen oder angehalten werden – da finden halt die Verbrechen statt. Wir können unsere Ressourcen nicht dort konzentrieren, wo nichts passiert, das macht keinen Sinn.
 

Sie erleben also keinen Rassismus innerhalb der Polizei?
Für mich gibt es eine klare Unterscheidung zwischen einem rassistischen Polizisten und einem Polizisten mit Vorurteilen. Auch bei uns finden Polizisten mit gleicher Hautfarbe eher zueinander. Heißt das zwangsläufig, dass sich das auf die Polizeiarbeit auswirkt? Nein. Wir gesellen uns zu den Leuten, mit denen wir uns wohlfühlen. Ich habe noch nie einen Polizisten gesehen, der seine Arbeit aufgrund seiner Vorurteile anders gemacht hat. Ich habe keine Toleranz für Rassismus. Ich habe selbst eine schwarze Nichte und schwarze Neffen.
 

Was stört Sie in der gegenwärtigen Diskussion über die Polizei am meisten?
Mich stört, dass die Polizei so dargestellt wird, als sei sie an allem Übel der Welt schuld. Für mich ist das Teil einer größeren Agenda, welche Kräfte auch immer das hinter den Kulissen finanzieren. Es gibt eine größere Agenda, Chaos zu stiften. In Seattle haben sie Teile der Stadt abgetrennt, in denen es jetzt nur Bürger gibt und keine Polizei mehr. In Amerika! Wer hätte das gedacht.
 

Welche Agenda meinen Sie, wer soll dahinterstehen?
Irgendwer finanziert diese Anarchisten und ihre Absicht, Chaos zu verbreiten, Sachen zu zerstören, die Polizei verantwortlich zu machen und uns die Gelder zu entziehen. Das ist Teil einer größeren Agenda. Es braucht Finanzierung und Planung, um das in dieser Größenordnung zu machen.

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Was soll denn diese Agenda sein?
Wenn ich das wüsste. Gesetzlosigkeit zu kreieren, scheint ein Teil davon zu sein, eine Welt nach ihren Vorstellungen zu schaffen, wie auch immer die aussehen soll. Es ist aber fehlgeleitet und lächerlich. „Polizei abschaffen“ ist da mein Lieblingsslogan. Aber was passiert, wenn jemand auf dich zukommt und dir eine Pistole an den Kopf hält. Wen ruft man an? Die Polizei!
 

Finden Sie es berechtigt, dass eine Ermittlung gegen den Polizisten läuft, der für den Tod von George Floyd verantwortlich ist?
Ich finde, er hätte noch am gleichen Tag verhaftet werden müssen. An diesem Vorfall war alles falsch. Ich habe gleich gesagt: Es sah so aus, als würde er genießen, was er da tut, er wirkte wie ein Sadist, das ist für mich ein sadistischer Mensch mit Polizei-Marke, der es genießt, Menschen Schmerzen zuzufügen.
 

Was sagen Sie zu der gegenwärtigen Diskussion um eine Polizeireform, zum Beispiel der Polizei die Mittel zu streichen?
Hier in Chicago sind wir unterfinanziert. Wir brauchen aber mehr Leute, mehr Ausrüstung – uns die Mittel zu kürzen, wäre absolut lächerlich. Manche wollen jetzt Seelsorger, die uns unterstützen, wenn wir einen Notfall mit einer psychisch kranken Person haben – das ist ja auch ok, bis die Person gewalttätig wird. Wir hatten schon Polizisten, die dabei getötet wurden. Aber anstatt unsere Leute besser auszubilden, will man neue Leute dazu holen.
 

Es gab auch Demonstranten in anderen Ländern, zum Beispiel in Deutschland. Was sagen Sie denen?
Dass Menschen eine halbe Weltreise entfernt zu wissen glauben, was hier vor sich geht, ist ein bisschen naiv. Die Polizei ist nicht das Monster, zu dem die Medien und Leute mit einer Agenda uns machen wollen. Wir sind der Webstoff unserer Gemeinschaften. Wir sind die Sporttrainer, wir sind die Gemeindemitglieder, neben denen man in der Kirche sitzt.  Wir sind die Leute, die ihr Leben für eures riskieren. Das Narrativ, dass wir hier regelmäßig Schwarze erschießen, ist absolut falsch.

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